Türkei: Schaut noch wer hin?
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan räumt seine Opponent:innen weiterhin unerbittlich aus dem Weg. Vor hundert Tagen liess er seinen grössten Widersacher, den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu, ins Gefängnis stecken. Seither reisst die Serie von Festnahmen demokratisch gewählter Amtsträger:innen nicht ab. Am Montag wurde der Bürgermeister der südtürkischen Stadt Antalya, Muhittin Böcek, des Amtes enthoben. Die Polizei hatte ihn wenige Tage zuvor aufgrund von Vorwürfen angeblicher Korruption verhaftet. Damit wurde bereits der 13. Bürgermeister innerhalb weniger Monate entmachtet. Alle gehören sie der sozialdemokratischen CHP an. Zu den Inhaftierten zählen auch die Bürgermeister von Adana und Izmir. Allein in Izmir wurden am 1. Juli bei einer Razzia im Rathaus rund 140 Mitarbeiter:innen der Verwaltung verhaftet, meist wegen angeblicher Korruption.
Die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters löste noch einen internationalen Aufschrei aus. Politiker:innen vieler Länder bekundeten ihre Solidarität. In der Türkei waren riesige Proteste die Folge. Inzwischen ist es ruhig geworden. Die aktuellen Inhaftierungen und die systematische Demontage des institutionellen Gefüges finden in den ausländischen Medien kaum mehr ein Echo.
Erdoğan sitzt in geopolitischer Hinsicht fest im Sattel. Donald Trump nennt ihn einen «grossartigen Freund». Für die Nato ist er ein unverzichtbarer Verbündeter. Wladimir Putin und Erdoğan pflegen ebenfalls einvernehmliche Beziehungen. Kooperative Gespräche gibt es auch mit Chinas Präsident Xi Jinping – die Türkei will der von China angeführten Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit beitreten. Zudem ist das Land eine wichtige Militärmacht im Syrien der Ära nach Assad. Es prägt die Neuordnung im Nahen Osten mit. Im Konflikt zwischen Israel und dem Iran sowie im Krieg um die Ukraine tritt es als Vermittler auf. Angesichts dieser globalen Rolle wollen sich auch die westlichen Staaten nicht mit der türkischen Innenpolitik befassen. Sie überlassen die Zivilgesellschaft und die Opposition im Land ihrem Schicksal. Das ist eine Tragödie.