Medientagebuch: Radioleute im Kongo
Hansjörg Enz über ein Medientraining.
Montag, 12. November 2012, Redaktionssitzung bei Radio Neno La Uzima in Bukavu, Demokratische Republik Kongo. Mit Désiré aus Burundi begleite ich eine Woche lang die Arbeit der JournalistInnen. Seit diesem Jahr machen wir für die Deutsche Welle Akademie solche «Inhouse-Trainings».
Die Redaktionssitzung sagt viel über die Arbeitsweise der Redaktionen. Auch bei diesem Radio gibt es keine mittelfristige Planung. Jeden Morgen wird die Infosendung neu erfunden. Sie geht um 18.15 Uhr in Kisuaheli, um 19 Uhr in Französisch über den Sender.
Um 9.30 Uhr bin ich mit Josué auf dem Motorradtaxi unterwegs ins Untersuchungsgefängnis. Ein Major mit frisch gebügelter Uniform empfängt uns in seinem Büro, Wände aus Sperrholz, vergilbte Polaroids mit Überschriften: «Mord», «Vergewaltigung», «Bewaffneter Überfall». Er zeigt uns das Resultat der Razzia vom Sonntag mit 1200 Mann: sieben Kalaschnikows, Haschisch, Plastikcontainer mit schwarz gebranntem Gesöff. Dann brüllt er für uns die fünf festgenommenen Frauen und den Mann an. Sie haben die Nacht auf einer Holzbank verbracht, eine Frau drückt ihr Kleinkind an sich.
Josué stellt dem Major eine Frage, der antwortet mit minutenlangem Wortschwall. Dann bitte ich den Major um ein Interview, stelle gezielte Fragen, bringe ihn dazu, kurz zu antworten. Josué gefällt die Methode, er will sie morgen ausprobieren, ich werde ihm dabei helfen.
Am Nachmittag drei Stunden Training im Radio mit der Redaktion.
Am Dienstag fragt Siri, ob ich sie an die Medienkonferenz des Panzy-Spitals begleite. Dessen Direktor, Denis Mukwege, lauerten im Oktober Killer auf. Sein Fahrer stellte sich vor ihn und bezahlte mit dem Tod. Mukwege ist in Europa, unter Schock. Geschockt ist auch die Bevölkerung von Bukavu. Wer will Mukwege, den Priester und Chirurgen, töten? Einen Mann, der schon Hunderte vergewaltigter Frauen wieder «zusammengeflickt» hat, der mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Mit Siri bespreche ich das Interview, das wir mit einem Verwandten Mukweges machen können. Dasselbe System: vormachen, nachmachen.
Am Nachmittag zwei Stunden Training zum Thema «Radiosprache». Der Saal ist voll, auch die Sekretärin und die Kassiererin sitzen dabei, auch sie wollen lernen.
Am Mittwoch gehts zum Chef Strassenbau der Stadt Bukavu. Er hat viel guten Willen, aber kein Geld. Die Steuern gehen alle in die Hauptstadt Kinshasa, wo sie auf wundersame Weise versickern. Vizegouverneur Kibala hat mir 2010 erzählt, die Provinz Südkivu, eineinhalbmal so gross wie die Schweiz, habe mit fünf Millionen EinwohnerInnen ein Jahresbudget von zehn Millionen Dollar. Gleich viel wie das Schweizer Städtchen Steckborn am Bodensee.
Siri sagt mir, sie habe noch nie Steuern bezahlt, wofür denn? Die Stadt tue ja nichts für sie. Und wie soll sie, wenn sie kein Geld hat?
In Bukavu erhalten PolizistInnen selten Lohn, auch die SoldatInnen nicht. So hat es mich nicht erstaunt, als ich am 19. November hörte, die Rebellen der M23 hätten Goma in Nordkivu eingenommen. Die Truppen der kongolesischen Armee machten sich davon, nachdem sie über die Frauen hergefallen waren und sich in den Häusern bedient hatten. Die Rebellen sollen sich beim Einrücken zurückgehalten haben. Die M23 hat der Bevölkerung angeboten, nach Bukavu zu marschieren und weiter nach Kinshasa. Auch Kabila senior übernahm 1997 die Macht nach einem Marsch, der in Kivu begann.
Der ehemalige «Tagesschau»-Journalist Hansjörg Enz arbeitet als Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und als Journalismustrainer für die Deutsche Welle Akademie. Von 2008 bis 2010 lebte er als Entwicklungshelfer in Bukavu.