Der amerikanische Ausnahmezustand

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Ich bereite mich zurzeit auf die jährlichen Sommerferien in der Schweiz vor. Und auf die unvermeidliche Frage an mich Auslandschweizerin, wie es in den USA unter Trump weitergehen wird. Beim geselligen Zusammensein kann ich ja nicht einfach entnervt losbrüllen: «Wie soll ich das denn wissen?»

«Die USA im Ausnahmezustand» war der Titel meines ersten Amerikabuches, das kurz nach dem 11. September 2001 erschien. Ich thematisierte darin aber nicht bloss den schrecklichen Terrorangriff auf die USA und den ebenso schrecklichen US-Krieg gegen den Terror. Ich erforschte den Ausnahmezustand, der mir Zugewanderten ziemlich zusetzte, aus historischer, kultureller, ökonomischer und politischer Perspektive. Ich begriff den Überlebensmodus als Basis des American Way of Life: «Extremsituationen bündeln die Aufmerksamkeit und konzentrieren sie auf das unmittelbare – und vor allem auf das eigene! – Überleben. Extremsituationen entlasten vom Alltag, von der Routine, von der Verantwortung fürs Ganze, von Kontinuität. Sie sind das Lebenselixier einer ruhelosen Gesellschaft.»

Ein zweites Buch, «Die USA im Kriegszustand», entstand während des Irakkriegs und erforschte das Gewaltpotenzial dieser bis an die Zähne bewaffneten Supermacht. Was herauskommt, wenn eine Nation vom latenten in den akuten Ausnahmezustand gerät. Ich berichtete, wie der Aggressionskrieg im Nahen Osten die USA auch im Innern aggressiver und kriegerischer machte. Wie die Rechtlosigkeit im besetzten Irak und Afghanistan auch den US-Rechtsstaat verluderte. Wie die ausgedehnte militärische Operation den Aufbau eines Katastrophenkapitalismus förderte, der sich auf Krisen und Kriege spezialisierte. Wie die fiebrige und propagandistische Kriegsberichterstattung den Journalismus insgesamt schwächte. Wie Foltermethoden den Weg von Bagdad in US-amerikanische Polizeistationen und Gefängnisse fanden. Wie der Krieg dem Machismus neuen Aufschwung gab.

2008 wurde Barack Obama, der erste Schwarze Präsident, gewählt. Sein Wahlspruch hiess «Yes, We Can» oder schlicht «Hope». Er trat ein schwieriges Erbe an und schaffte längst nicht alles, was er wollte. Doch seine zwei Amtszeiten vermochten etliche innen- und aussenpolitische Krisen zu entschärfen. Er verbesserte mit Obamacare die Gesundheitsvorsorge von Millionen von US-Amerikaner:innen. Er setzte sich für ein multiethnisches und multinational denkendes Amerika ein. Kurz: Er führte die USA so nahe an einen politischen «Normalzustand», wie ich mir das für dieses Land überhaupt vorstellen konnte.

Und schon kam die nächste Krise. Donald Trump erhielt im November 2016 zwar nicht die Mehrheit der Stimmen, wurde aber dank des komplizierten Wahlsystems der USA trotzdem gewählt. Im dritten Amerikabuch, «Amerikanerin werden», konnte ich mich nicht mehr zu sinnstiftenden Analysen aufraffen. Tagebuchartig dokumentierte ich das erste Jahr unter Präsident Trump. Am 1. Juni 2017 notierte ich: «Henkerstricke, Klimaleugner - es scheint, als würde das Land, in dem ich Bürgerin werden will, vor meinen Augen implodieren.»

Und jetzt, nach der schwer zu verdauenden Wiederwahl eines Autokraten, frage ich mich wieder: Wie nähere ich mich den USA an, einem Land mit unheimlich heftigen Widersprüchen und Spannungen zwischen Schwarz und Weiss, Reich und Arm, Gut und Böse, Grosszügigkeit und Ressentiment, Fortschritt und Rückfall? Wie ertrage ich den unversöhnlichen Gegensatz von Freund und Feind? Ich verwarf die Idee, je stimmberechtigte US-Amerikanerin zu werden. Mit dem amerikanischen Exzeptionalismus werde ich mich nie abfinden können. Wenn schon träumen, dann stelle ich mir lieber vor, dass eine andere Welt möglich ist.

Seit April hat Lotta Suter in «Fussnoten aus dem Trumpozän» von den Auswirkungen der grossen Politik auf die amerikanische Peripherie berichtet. Mit diesem Text endet die Serie. Lotta Suter wird uns aber auch künftig mit klugen Einordnungen zur US-Politik begleiten. Bis dahin: Vielen Dank, liebe Lotta!