Durch den Monat mit Scorpio (Teil 2): Warum sind acht Wochen Ferien für Lernende so wichtig?

Nr. 37 –

Auf einem Biobauernhof in Lenzburg lässt sich der 27-jährige Timon Essoungou Bony Malong zum Landwirt ausbilden. Es brauche mehr Brücken, findet er – zwischen Lernenden und Angestellten wie auch zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft.

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Timon Essoungou Bony Malong sitzt auf einem Strohballen
«Es ist wichtig, in der Lehre, in dieser sensiblen Lebensphase, Zeit zu bekommen, um sich auszuruhen»: Timon Essoungou Bony Malong ist Mitglied der Lernendenbewegung Scorpio.

WOZ: Timon Essoungou Bony Malong, Sie haben vor wenigen Wochen eine Landwirtschaftslehre begonnen. Wie lange dauert Ihr Arbeitstag?

Timon Essoungou Bony Malong: Timon Essoungou Bony Malong: Wir fangen um sieben an zu arbeiten. Ich wohne hier auf dem Betrieb – also stehe ich um zehn vor sieben auf. Abends um sechs ist dann Feierabend. Ich würde sagen: Für einen Landwirtschaftsbetrieb sind das eher kurze Arbeitstage.

WOZ: War für Sie immer schon klar, dass Sie diesen intensiven Beruf ausüben möchten?

Timon Essoungou Bony Malong: Nicht so ganz. Ich bin in der Stadt Bern aufgewachsen, nach der Matura habe ich mich für ein Studium des Umweltingenieurwesens an der Fachhochschule in Zürich entschieden. Dafür brauchte ich ein Vorstudienpraktikum, weshalb ich ein Jahr lang gebauert habe. So kam ich ein bisschen rein.

WOZ: Wie fiel dann später der Entscheid zur Lehre?

Timon Essoungou Bony Malong: Beim Studieren merkte ich: Ich vermisse das Praktische, Konkrete, Greifbare. Darum brach ich nach drei Semestern ab. Ich war damals Anfang zwanzig, in viele Projekte involviert und einfach noch nicht ready, mich so zu spezialisieren. Darum absolvierte ich erst mal einen Bachelor in Prozessgestaltung an der Kunsthochschule in Basel.

WOZ: Da wussten Sie bereits, dass Sie Landwirt werden wollen?

Timon Essoungou Bony Malong: Ja. Aber allein oder im Paarbetrieb könnte ich mir das nicht vorstellen. Ich bin Teil einer Gruppe von Leuten, die eines Tages im Kollektiv einen Hof betreiben möchten: als Ort, an dem neben Landwirtschaft auch andere Dinge existieren sollen, mit politischem wie auch künstlerischem Anspruch.

WOZ: Als Mitglied der Lernendenbewegung Scorpio unterstützen Sie eine Forderung, die jüngst für Schlagzeilen sorgte: acht Wochen Ferien für Lernende. Warum ist das so wichtig?

Timon Essoungou Bony Malong: Die Forderung hat ihren Ursprung bei einer anderen Gruppe Lernender, die eine entsprechende Petition gestartet haben. Scorpio solidarisiert sich mit dem Anliegen: Bedenkt man, was für eine intensive und anspruchsvolle Zeit die Lehre ist, dann sind acht Wochen Ferien völlig angebracht. Junge Menschen, die sich bereits mit fünfzehn oder sechzehn in die Berufswelt begeben, sollen in dieser sensiblen Lebensphase Zeit bekommen, um sich auszuruhen.

WOZ: Die Landwirtschaft ist ohnehin von vielen arbeitsrechtlichen Bestimmungen ausgenommen. Was bedeutet das für Ihre Ausbildung?

Timon Essoungou Bony Malong: Müsste die Landwirtschaft etwa dieselben Lohnniveaus und Arbeitszeiten einhalten wie andere Branchen, dann würde das in der Schweiz schlicht nicht aufgehen. Ausser natürlich, man wäre als Gesellschaft bereit, extrem viel mehr für Lebensmittel zu bezahlen oder diese stärker zu subventionieren. Für die Lehre heisst das konkret: Die Regelarbeitszeit beträgt nicht 42, sondern 55 Wochenstunden. In meinem Fall ist es etwas weniger, ich arbeite 52 Stunden, aber das ist ein Entscheid meines Betriebs.

WOZ: Ist das ein grosses Thema unter den Lernenden?

Timon Essoungou Bony Malong: Ja, aber generell habe ich den Eindruck, dass in diesem Beruf eine gewisse Haltung vorherrscht, die das grosse Pensum legitimiert. Das gibt es ja auch in anderen Berufssektoren; mein Freund etwa ist Arzt, dort gehört es ebenso zum Selbstverständnis, unglaublich viel zu arbeiten. Umso mehr möchte ich dazu beitragen, dass sich junge Leute früh und auf ihre spezifische Realität bezogen politisieren. Und weil ein signifikanter Teil der Gesellschaft eine Lehre macht, ist diese ein wichtiger Ort dafür.

WOZ: Die Lehre dauert aber nur einige Jahre. Wie soll es da gelingen, unter Lernenden beständige Strukturen zu schaffen?

Timon Essoungou Bony Malong: Kontinuität kann einerseits dadurch gelingen, dass man versucht, ständig neue junge Menschen zu erreichen. Und andererseits, indem man eine Brücke baut zu jenen, die ihre Lehre bereits abgeschlossen haben. Überhaupt ist das ja ganzheitlich zu betrachten: Die Verhältnisse in der Berufslehre sollten alle interessieren, allein schon aus Klassensolidarität. Wenn du zum Beispiel in deinem eigenen Betrieb siehst, dass Lernenden berufsfremde Arbeit aufgezwungen wird oder sie systematisch Überstunden machen müssen, dann liegt es an dir, dich für sie einzusetzen.

WOZ: Ist es dieselbe ganzheitliche Betrachtungsweise, die Sie auch zur Landwirtschaft hingezogen hat?

Timon Essoungou Bony Malong: Auf eine gewisse Art schon. Ein Grund, warum ich in der Landwirtschaft arbeiten möchte – abgesehen vom Interesse für Natur, handwerkliche Arbeit und Lebensmittelproduktion –, ist, dass sie eines der Fundamente der Gesellschaft ist. Sehr konkret, sehr systemrelevant. Zugleich wurde sie historisch stark vom Rest der Gesellschaft abgetrennt. Viele kommen nur dann mit ihr in Berührung, wenn sie sich über den Preis für ein Biorüebli aufregen – ohne zu wissen, was alles dahintersteckt. Die Landwirtschaft ist also stark eingebettet im Alltag der Menschen, aber die Brücken fehlen. Wir müssen mehr zusammenfinden, um zu diskutieren und uns zu organisieren.

Bevor Timon Essoungou Bony Malong für die Lehre nach Lenzburg zog, wohnte er lange in Zürich. Dorthin schafft er es jeweils nicht mehr rechtzeitig an Scorpio-Sitzungen – und ist derzeit vor allem digital dabei.