Pakistan: Millionen droht die Abschiebung

Nr. 14 –

Die pakistanische Regierung will alle Afghan:innen ausweisen. Diese Woche begann die zweite Phase ihres «Repatriierungsplans».

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Zu Beginn des Fastenmonats Ramadan, Anfang März, habe die pakistanische Polizei Razzien in ihrer Nachbarschaft durchgeführt, erzählt Lida Asisi. Die afghanische Frauenrechtlerin lebt mit ihrer Familie am Rand von Islamabad. Die meisten ihrer afghanischen Nachbar:innen seien verhaftet worden. «Wir konnten gerade noch rechtzeitig in einen nahe gelegenen Wald fliehen», sagt Asisi. «Sie kamen direkt nach dem Fastenbrechen, es regnete, und überall war Schlamm, aber wir mussten mehrere Stunden ausharren.»

Es sei nun ausreichend Zeit für eine würdige Rückkehr nach Afghanistan gewährt worden, vermeldete das pakistanische Innenministerium etwa zur gleichen Zeit in einer Medienmitteilung. Es war eine letzte Warnung. Am Montag, dem 31. März, lief für viele Afghan:innen die Frist zur Ausreise ab. Im Oktober 2023 hatte die Regierung einen sogenannten Repatriierungsplan vorgestellt.* Der Plan sieht vor, dass alle rund vier Millionen Afghan:innen Pakistan verlassen sollen. Viele von ihnen sind während der zahlreichen Konflikte der letzten vier Jahrzehnte geflohen und haben keinen regulären Aufenthaltsstatus.

840 000 Personen sind gemäss Angaben der Internationalen Organisation für Migration bereits nach Afghanistan zurückgekehrt, zum Teil wurden sie gewaltsam abgeschoben. Die Bemühungen sollen nun noch intensiviert werden. Seit dem 31. März droht die Zwangsabschiebung auch den rund 850 000 Afghan:innen, die über eine sogenannte Afghan Citizen Card verfügen. 

Bis spätestens Ende Juni sollen ausserdem auch die 1,3 Millionen Afghan:innen mit einem sogenannten Proof of Registration (POR) Pakistan verlassen haben. Der POR ist ein Aufenthaltstitel, den die Behörden in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen ausgestellt hatten.

Ende der Willkommenskultur

Viele Afghan:innen halten sich ausserdem dank regulärer Visa, etwa für Tourist:innen, in Pakistan auf. Auch gegen sie gehen die Behörden vor. Liessen sich diese Visa bis anhin jeweils um sechs Monate verlängern, sind sie nun nur noch für einen Monat gültig. Die bei einer Verlängerung anfallenden Gebühren hat die Regierung erheblich erhöht.

Von dieser Gebührenerhöhung ist auch Lida Asisi betroffen. Bis zur Machtübernahme der Taliban 2021 hatte die heute Dreissigjährige als Fotojournalistin für eine afghanische Nachrichtenagentur gearbeitet. Als die Taliban begonnen hätten, die Rechte von Frauen und Mädchen immer weiter zu begrenzen, habe sie mit anderen Frauen in Kabul öffentlich dagegen demonstriert, erzählt sie. Bis die Taliban vor drei Jahren ihr Haus durchsucht hätten. Schon jener Razzia sei sie nur knapp entkommen – durch die Hintertür. Asisi floh nach Pakistan. Ihre Familie erhielt ein Visum, doch «mittlerweile können wir uns die Verlängerung nicht mehr leisten», sagt die Journalistin.

Dabei, sagt Lida Asisi, sei die Stimmung in der pakistanischen Bevölkerung noch gut gewesen, als sie eingereist sei: «Die Leute waren sehr respektvoll und haben uns willkommen geheissen.» Inzwischen üben die Behörden Druck auf Vermieter:innen aus, kontrollieren die Moscheen und die Imame. Viele Pakistaner:innen seien von der eigenen Regierung verängstigt. Auch der Vermieter von Asisi und ihrer Familie: Nur mit viel Mühe hätten sie ihn dazu überreden können, sie vorerst noch im kleinen Haus wohnen zu lassen.

Im ganzen Land komme es zu Hausdurchsuchungen, gewaltsamen Übergriffen auf Afghan:innen, willkürlichen Festnahmen und der Zerstörung von Eigentum, berichten auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch.

Taliban gegen Taliban

Die Regierung von Präsident Shehbaz Sharif rechtfertigt die Abschiebungen vor allem mit der schwierigen Sicherheitslage im Land, für die sie die afghanische Bevölkerung verantwortlich macht. Sie steht innenpolitisch und wirtschaftlich unter Druck und will mit den Massnahmen bei der eigenen Bevölkerung punkten. So hatten pakistanische Politiker zuletzt immer wieder Afghan:innen beschuldigt, mutmasslich in die Aktivitäten der pakistanischen Taliban, Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP), verwickelt zu sein, die zuletzt vermehrt Anschläge im Land verübt hatten.

Gleichzeitig will Pakistan Druck auf die afghanischen Taliban ausüben. Sie wirft ihnen vor, der TTP in Afghanistan Unterschlupf zu gewähren, was die Regierung in Kabul jedoch bestreitet. Der afghanische Aussenminister forderte zuletzt erneut, die Abschiebungen auszusetzen und eine würdige und schrittweise Rückkehr der afghanischen Geflüchteten zu ermöglichen.

Für Lida Asisi ist eine Rückkehr ausgeschlossen. Als Frauenrechtsaktivistin sei es unter den Taliban in ihrem Heimatland zu gefährlich. «Die einzige Hoffnung, die wir haben, ist, einen neuen Ort zu finden und uns zu verstecken», sagt sie. In den letzten Wochen habe sie deswegen in der Nachbarschaft und im Freundeskreis nach einer neuen Unterkunft gesucht. Bisher vergeblich.

*Korrigenda vom 3. April 2025: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion wurde der «Repatriierungsplan» fehlerhaft dargestellt.