Ausländergesetz: Straftatbestand Solidarität

Nr. 29 –

In der Schweiz kann Hilfe für Geflüchtete strafrechtlich verfolgt werden. Im Kanton Jura hat sich eine Asylaktivistin dagegen gewehrt. Nun setzt sie sich für eine generelle Abschaffung dieser Kriminalisierung ein.

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Foto der Unterstützer:innen der Angeklagten Caroline Meijers vor dem Bezirksgericht in Porrentruy
Solidarisch mit der wegen ihrer Solidarität angeklagten Caroline Meijers: 
Unterstützer:innen vor dem Bezirksgericht in Porrentruy.
Foto: Marieke Braun

Ist jetzt alles gut? Eine Woche nachdem sie vom Vorwurf der «Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts eines Ausländers» freigesprochen wurde, sitzt Caroline Meijers mit einem grossen Sonnenhut in ihrem grossen Garten im jurassischen Undervelier. Die Antwort ist klar: «Pas du tout», ganz und gar nicht. Durch den Freispruch vor dem erstinstanzlichen Strafgericht in Porrentruy gebe es zwar für sie persönlich ein Ärgernis weniger. «Doch die Gesellschaft, in der wir leben, ist noch immer die gleiche.» Es ist eine Gesellschaft, die migrantische Personen kriminalisiert, weil sie migrantisch sind. Und eine Gesellschaft, die auch Menschen kriminalisiert, die sich mit Migrant:innen solidarisieren.

Anfang 2024 trifft Meijers einen jungen Syrer. Er lebt in einem Bundesasylzentrum, möchte aber von dort weg. Er fragt sie, ob er ihre Wohnung als seine Wohnadresse angeben könne. Meijers sagt zu, danach hat sie keinen Kontakt mehr mit ihm. Mitte März 2024 liegt ein an den Geflüchteten adressierter Brief in ihrem Briefkasten. Der Mann wird aufgefordert, «innert drei Tagen» ins Bundesasylzentrum zurückzukehren. Wenige Tage später steht die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Tür. Doch die gesuchte Person ist nicht da – und die Beamt:innen finden auch keine Hinweise darauf, dass der Asylsuchende bei Meijers gelebt hat.

Laut gegen das System

Die 61-jährige Meijers sagt, der Besuch der Polizei sei nicht überraschend gekommen. Wer sich für Geflüchtete einsetze, müsse in der Schweiz leider damit rechnen, dass so etwas passiere. Sie solidarisiere sich seit dreissig Jahren mit geflüchteten Menschen. Für sie sei das nicht ein besonders politisches Engagement, sondern schlicht Pflicht, sagt die bekennende Anarchistin, die sich als Teil eines Genfer Kollektivs gegen den Kapitalismus starkmacht. Sie engagiert sich auch in der «Jurassischen Bewegung zur Unterstützung von Sans-Papiers und Migrant:innen», deren Präsidentin sie heute ist. Dass sie lange von Besuchen der Polizei verschont geblieben sei, könne daran liegen, dass ihre Bewegung im Kanton gut vernetzt sei und respektiert werde. Zudem sei die jurassische Gesellschaft grundsätzlich offener und weniger angepasst als anderswo. Die in den Niederlanden aufgewachsene Meijers ist Anfang der neunziger Jahre als Mitglied der Kooperative Longo Maï, die in Undervelier einen Bauernhof betreibt, in die Schweiz gekommen.

Nach dem Besuch der Polizei erhält Meijers eine Anzeige wegen Verstoss gegen Artikel 116 des sogenannten Ausländergesetzes. Ihr droht eine Geldstrafe von dreissig Tagessätzen. Meijers ist nicht bereit, das hinzunehmen. Sie macht die Anzeige publik und tritt unter anderem in einer Sendung des Westschweizer Radios RTS auf. Für die auf Anfang Juli angesetzte Gerichtsverhandlung konnte sie zahlreich Unterstützer:innen mobilisieren. Gegen hundert Menschen, inklusive Medienschaffende aus der ganzen Schweiz, versammelten sich im Gerichtssaal in Porrentruy. Der Applaus nach dem erfolgten Freispruch war laut. Der Richter hatte argumentiert, dass selbst bei einer effektiven mehrwöchigen Unterbringung der besagte Straftatbestand nicht erfüllt gewesen wäre. Meijers erhält seit Wochen viele solidarische Briefe – von Politprominenz ebenso wie von Unbekannten.

Nun wollen Meijers und ihre Unterstützer:innen die gesetzliche Basis angreifen, den erwähnten Artikel 116, der die Kriminalisierung von solidarischen Menschen erst möglich macht. Seit 2008 ist «Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts eines Ausländers» selbst dann strafbar, wenn aus Solidarität gehandelt wurde. Allein 2024 sind 927 Menschen wegen Verstoss gegen Artikel 116 angeklagt worden – im selben Jahr wurden 592 deswegen verurteilt. Die Mehrheit davon wegen minderer Vergehen, was nahelegt, dass es überwiegend Fälle von kriminalisierter Solidarität waren – dass die Verurteilten also ohne eigennützige wirtschaftliche Interessen handelten. Die Statistik zeigt auch: Mit Artikel 116 werden vor allem migrantische Menschen kriminalisiert. Fast drei Viertel aller Verurteilten verfügen über keinen Schweizer Pass. Sehr oft trifft es dabei Personen, die Verwandte oder Freund:innen unterstützen, wie mehrere Asylaktivist:innen bestätigen.

Strenger als die meisten in Europa

In der Vergangenheit sind auf Bundesebene mehrere politische Versuche gescheitert, die eine Abschaffung dieses sogenannten Solidaritätsdelikts zum Ziel hatten – zuletzt 2020 ein Vorstoss der Grünen. Auch Amnesty International hat den Artikel 116 wiederholt stark kritisiert. Die Menschenrechtsorganisation hatte in einer länderübergreifenden Analyse aufgezeigt, dass die Schweiz mit der Kriminalisierung von solidarischer Unterstützung von Geflüchteten viel weiter geht als die meisten Länder in Europa.

Im malerischen, nur durch Schluchten zu erreichenden Undervelier hat Caroline Meijers inzwischen die grosse Sonnenbrille abgenommen. «Ich werde weitermachen – etwas vorsichtiger vielleicht, aber nicht weniger hartnäckig.» Sie hoffe, dass die Publizität ihres Falls andere nicht von solidarischen Handlungen abhalte, sondern dazu beitragen werde, dass Solidarität künftig nicht mehr kriminalisiert werde. «Denn», so fragt Meijers rhetorisch, «was anderes als Solidarität kann das Grundprinzip einer friedlichen Gesellschaft sein?»