Consulting: Schlechter Rat ist teuer

Nr. 28 –

Optimieren sie Staat und Wirtschaft zu Tode? Beratungsfirmen wie McKinsey profitieren von Verunsicherung. Doch die Branche steht zunehmend in der Kritik.

Illustration Consulting


Wenn die Berater:innen von McKinsey in die Stadt kommen, gibt es Walt Bogdanich und Michael Forsythe zufolge auch mal Tote. Die beiden Journalisten der «New York Times» beginnen ihr «Schwarzbuch McKinsey» mit einer Reihe von Todesfällen, die in enger Beziehung zu Umstrukturierungen durch die Beratungsfirma McKinsey stehen.

Zum Beispiel am «fröhlichsten Ort der Welt», in Disneyland. Mitte der neunziger Jahre bekam McKinsey den Auftrag, das Vergnügungsparkimperium auf finanzielle Optimierungsmöglichkeiten zu durchleuchten. Ihre Strategie: Senkung der Wartungskosten, vorgeschlagen in einem teuren Bericht mit dem hochtrabenden Titel: «Transforming Maintenance. Defining the Disney Standard». Konkret hiess das, die Sicherheitsstandards zu senken.

In einer betriebsfremden Momentaufnahme erscheinen gerade Sicherheitsstandards als ein Ausgabeposten, den man gut reduzieren kann, weil es nicht sofort auffällt, wenn diese Standards wegfallen – bis jemand aus der Achterbahn fällt. Ähnliches geschah 1998 in Disneyland: Eine Besucherin starb, weil die Ersatzleine eines Schiffes riss, ihr Sohn wurde entstellt.

Zuvor hatte McKinsey empfohlen, die Materialüberprüfungen einzuschränken, um zu sparen. Sicherheitsbedenken des Personals wurden nicht ernst genommen. Ein langjähriger Mitarbeiter von Disney erzählte, ein McKinsey-Berater habe ihn damals gefragt, warum man diese Anschnallbügel jeden Tag kontrolliere, wo doch seit Jahrzehnten nichts passiert sei. Darauf habe er ihm wutentbrannt entgegengehalten, dass die Kausalität vielleicht umgekehrt sei: «Der Grund, warum sie nicht kaputtgehen, ist ganz einfach, dass wir sie jeden Abend kontrollieren.»

Mit McKinsey in die Finanzkrise

Man mag das für anekdotische Evidenz halten. Doch Bogdanich und Forsythe zeigen auch die grösseren Zusammenhänge auf, wenn sie herleiten, wie McKinsey-Ideen zur grössten Weltwirtschaftskrise seit 1929 beigetragen haben. Sie beginnt Anfang der achtziger Jahre mit dem McKinsey-Berater Lowell Bryan. Er wollte in der Kreditverbriefung die ökonomische «Technologie» der Zukunft entdeckt haben. Was ist eine Kreditverbriefung? Banken können auf diese Weise Kredite, die sie gewährt haben, zu Finanzprodukten schnüren und an Investoren weiterverkaufen.

So, meinte Bryan, schauten nun nicht mehr nur zwei Marktparteien auf die Kreditqualität, sondern drei. Es ging ihm aber nicht nur um Qualitätsstandards: Das Finanzprodukt ermöglichte seinen Kund:innen vor allem auch, sich aus der Zwangsjacke ihrer Bilanzen zu befreien, weil man ausstehende Kredite als Anlagevehikel aussondern konnte.

Bryan promotete dieses Vorgehen international und publizierte auch mehrere Bücher dazu. 1988 pries er es im deutschen «Manager-Magazin» als Antwort auf eine drohende Schuldenkrise an: «In der einen Richtung liegt ein wirksameres und effizienteres Finanzsystem, in der anderen das ökonomische Chaos.»

Doch das Modell, das McKinsey als innovative Idee verkaufte, trug dazu bei, dass immer mehr faule Kredite ins Finanzsystem gepumpt wurden. Zwischen 2001 und 2008 wurden mehr als 27 Billionen US-Dollar in solchen Papieren verbrieft – mit dem bekannten Resultat: 2007 löste die Immobilienkrise in den USA eine weltweite Krise aus, da die Hochrisikohypotheken in grossen Teilen als verbriefte Kredite weiterhin verkauft worden waren.

Laut Joseph Stiglitz beruht die wunderbare Idee der Kreditverbriefung darauf, «dass jede Minute ein neuer Dummkopf geboren wird». Einige davon sassen bei der UBS. Die Schweizer Grossbank stand in den Jahren vor der Krise (2001–2007) unter der Leitung von Peter Wuffli – einem ehemaligen McKinsey-Berater.

Der Boom nach dem Crash

Beraten wurde wohl schon immer: Wo geherrscht wurde, gab es Menschen, die zurate gezogen wurden oder die anderen ihren Rat aufdrängten. Doch ein eigentlicher Markt für Beratung entstand erst mit der Industrialisierung. Für die Ökonominnen Mariana Mazzucato und Rosie Collington zeigt sich in der Geschichte der modernen Beratungsbranche letztlich auch die Geschichte des modernen Kapitalismus.

In ihrem neuen Buch, «Die grosse Consulting-Show», weiten sie den Blick und nehmen die ganze Beratungsbranche in den Fokus. McKinsey ist ein grosser Player in dieser Show, doch der internationale Markt wird insgesamt dominiert von sieben Firmen: McKinsey, Boston Consulting Group und Bain and Company als die drei grossen Strategieberatungsfirmen sowie EY, Deloitte, Pricewaterhouse Coopers und KPMG als die vier grossen Wirtschaftsprüfungsfirmen, die auch beraten.

1999 wurden die weltweiten Ausgaben für Business-Consulting noch auf 100 bis 110 Milliarden Dollar geschätzt. 2021 waren es bereits 700 bis 900 Milliarden Dollar – und die Coronakrise hat nochmals neue Märkte eröffnet. Beratungsfirmen sind grundsätzlich Krisengewinnler, sie profitieren von Nöten und Verunsicherungen ihrer Kund:innen.

Als Urvater der heutigen Consultants wird oft der Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856–1915) genannt. Er ging davon aus, dass die Arbeiter:innen sich verschworen hatten, um sich «vor der Arbeit zu drücken». Dieser Verschwendung von Arbeitszeit wollte er 1911 mit einem «wissenschaftlichen Management» entgegenwirken. Der Herstellungsprozess wurde in einzelne Arbeitsschritte zerlegt, die so effizient wie möglich ausgeübt werden sollten – die Grundlage für die Fliessbandarbeit und das Arbeitszeitmonitoring.

Die meisten heutigen Topberatungsfirmen haben ihre Ursprünge jedoch nicht im Ingenieurwesen, sondern in der Buchhaltung – so wie die Firma Price Waterhouse, die schon im 19. Jahrhundert Aufträge für Buchprüfungen übernahm. Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich systematische Formen von Management entwickelt, die Betriebe genauer überwachten: Regelmässige Inventarisierungen und eine regelmässige Kostenkontrolle sollten eine transparente Übersicht über das gesamte Unternehmen bieten. Wie Taylor auf die oder den einzelne:n Arbeiter:in, so schauten die Buchhalter:innen auf die Bilanzen. Doch an beiden Fronten war die Aufgabe der beaufsichtigenden Person zentral, wie ein US-Betriebswirtschaftler kurz vor 1900 schrieb: «Der Schreibtisch des Managers sollte das A und O jeder Transaktion sein.»

Nach dem Börsencrash 1929 stiegen die Beratungsverträge in den USA rapide an, weil viele Firmen ins Straucheln gerieten. Dazu kam der Glass-Steagall Banking Act von 1933, mit dem man Banken zwingen wollte, das Geschäft der Privatkund:innen vom Investmentbanking zu trennen – Massnahmen, die heute wieder diskutiert werden. Zuvor hatten Banken oft geschäftsprüfende Beratungen vorgenommen. Das wurde ihnen nun untersagt, um Interessenkonflikte zu unterbinden – was schlagartig einen riesigen Markt für Beratungsfirmen eröffnete.

Auch der Aufstieg von McKinsey, 1926 gegründet, fällt in die Zeit nach dem Crash. Firmen, die ums Überleben kämpften, lieferte McKinsey Vorschläge zur Effizienzsteigerung, aber auch Tipps zur Abwehr von gewerkschaftlichen Forderungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg expandierten die Beratungsunternehmen nach Europa – und zwar in zwei Bereichen: als Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und im Bereich der Informationssysteme. Ab den sechziger Jahren etablieren sich die Beratungsfirmen als Teil des europäischen Wirtschaftslebens. McKinsey beispielsweise eröffnete 1962 ein Büro in Zürich. Zu den ersten Kunden gehörten Nestlé, Sandoz und eine Vorläuferbank der UBS, der Bankverein.

Siegeszug auch in der Schweiz

Der eigentliche internationale Aufstieg der Branche begann nach der Wirtschaftskrise von 1973. Ein Treiber war die Finanzialisierung: Unternehmen mussten zunehmend auf Börsenkapital zurückgreifen, um sich zu finanzieren, und mussten ihr Handeln vor Aktionär:innen rechtfertigen. Diese Legitimation konnten ihnen Beratungsunternehmen liefern. Mazzucato und Collington zitieren dazu einen ehemaligen Consultant: «Oft wissen Vorstände – diejenigen, die ganz oben die Entscheidungen treffen – bereits, was sie wollen, aber sie brauchen einen externen unabhängigen Schiedsrichter, der ihre Position bestätigt oder an ihrer Stelle die Argumente vorträgt.»

Doch die Beratungsunternehmen veränderten nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Staat. Um 1980 kamen in den USA und Grossbritannien Regierungen an die Macht, die dem Glauben anhingen, dass die öffentliche Hand keinerlei Werte schaffen könne. Sie führten Gesetze ein, die staatliche Aufgaben, wo immer möglich, outsourcen sollten oder Wettbewerbsverfahren im öffentlichen Sektor einführten.

Beratungsunternehmen profitierten davon nicht nur, sondern sie trieben diese Entwicklung im Namen der Effizienz voran. Ein Beispiel dafür ist das britische Gesundheitssystem. Berater:innen wurden dort immer weniger als Quelle von Informationen und Expertise eingeschaltet, sie übernahmen vielmehr ganze Managementaufträge, weil das innere Management ausgedünnt worden war. Auch die Privatisierung staatlicher Firmen verschaffte den Unternehmen viele Aufträge. Gleichzeitig mussten Beratungsfirmen keinerlei Kosten für ihr mögliches Scheitern übernehmen. Versandete ein Projekt unter ihrer Aufsicht, galt das nur erneut als Beweis für die Unfähigkeit des Staates.

In den neunziger Jahren traten diese Ideen unter dem Namen «New Public Management» auch in der Schweiz ihren Siegeszug an. Die Verwaltung sollte effizienter, innovativer und «kundenfreundlicher» gemacht werden – mithilfe von Beratungsunternehmen wie McKinsey. Im Jahr 2003 sassen in der Schweiz 500 ehemalige McKinsey-Mitarbeiter:innen in Leitungsfunktionen. Aus Sicht von Historiker:innen wurde McKinsey damals zum «Sammelbecken der neuen Schweizer Eliten».

Auch wenn heute im Parlament wie in den Medien noch immer häufiger auf McKinsey-Reports verwiesen wird als auf die Fehler des Unternehmens: Der Ruf der Firma hat auch hierzulande einen leichten Knick erhalten. Sie beriet die Swissair kurz vor ihrem Niedergang – der frühere McKinsey-Mann Lukas Mühlemann sass damals im Verwaltungsrat. Auch beim Untergang der Credit Suisse taucht die Firma auf: Wirtschaftsjournalist Erik Nolmans von der «Bilanz» etwa erklärt ihren Niedergang mit dem «Geist von McKinsey», der die Bank seit den neunziger Jahren prägte. Und obwohl McKinsey auch die UBS beraten hat: Den Zuschlag für die UBS-CS-Fusionierung hat die Firma nicht bekommen. Die Megabank wird künftig von der Consultingfirma Oliver Wyman beraten – die auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter vor der Abwicklung der Credit Suisse beraten hat.

Powerpoint ersetzt Expertise

Die Geschichte der Credit Suisse hätte gut ins «Schwarzbuch McKinsey» gepasst. Bogdanich und Forsythe liefern darin genaue Recherchen über Momente des Versagens und der moralischen Übertretung. McKinsey bietet sich dafür an, weil das Unternehmen auch mit hehren Werten um Uniabsolvent:innen wirbt. Das «Schwarzbuch» lässt hier einige konsternierte Stimmen von Ehemaligen zu Wort kommen, die voller Idealismus eintraten und sich dann abwandten.

Die beiden Journalisten zeigen auch auf, welche Rolle McKinsey in der Opioidkrise in den USA spielte und wie die Firma mit autoritären Regimes wie China zusammenarbeitet. Sie ergänzen damit die Kritik früherer Bücher, die seit den zehner Jahren über McKinsey erschienen sind, oft mit Titeln, wie sie John-Grisham-Thriller tragen, etwa «The Firm» (2013) von Duff McDonald. An einer Stelle zitieren Bogdanich und Forsythe den ehemaligen McKinsey-Consultant Anand Giridharadas: «Das ist die Banalität des Bösen, MBA-Version.»

Mazzucato und Collington hingegen sehen Unternehmensberatung ganz grundsätzlich als Problem, jenseits von McKinseys Skandalen und moralischen Fehlbarkeiten. So kritisieren sie zunächst, dass hier letztlich Wissen und Kompetenz vorgegaukelt würden. Sie beschreiben Consulting primär als gute Performance: Consultants seien zu oft «Eindrucksmanager» ohne spezifische Fachexpertise, die mit Powerpoint-Folien gute Erzählungen lieferten. «Technisches Wissen», meint auch ein anderer befragter Consultant, sei «zweitrangig».

Das führt dann auch dazu, dass Beratungsfirmen mit starrem Blick aufs Aktionariat regelmässig zu den gleichen Rezepten greifen. Sie empfehlen eher kurzfristige als langfristige Lösungen: Entlassungen, Outsourcing, Einsparungen bei der Forschung – alles Eingriffe, die implizites Wissen vernichten und die Entwicklungsfähigkeit von Institutionen schwächen.

Wie eine Therapie ohne Ende

Mazzucato und Collington kritisieren aber nicht moralisches Versagen, sondern das Geschäftsmodell an sich. Für sie sind Consultingfirmen nicht die falsche Lösung für ein Problem, sodern selbst Ursprung etlicher Probleme. Ihre Hauptthese ist, dass Consulting im heutigen Ausmass grundsätzlich die Lernfähigkeit seiner Kund:innen schwächt – in der Privatwirtschaft, vor allem aber im öffentlichen Sektor. Consultingfirmen leben davon, verunsicherten Institutionen zu suggerieren, dass Lösungen nur dann valide seien, wenn sie durch eine externe Beratung abgesichert seien. Zur «Consulting- Show» gehört deswegen auch, dass interne Schulungsprogramme wie die «Deloitte University» des Wirtschaftsprüfers Deloitte nach aussen wie akademische Institutionen dargestellt werden.

Consulting verhindere, dass Unternehmen und Institutionen in Krisenmomenten lernten, so Mazzucato und Collington – auch weil Consultingfirmen ihr Wissen oft mitnehmen, statt es ihren Kund:innen zur Verfügung zu stellen. Das führt dazu, dass interner Sachverstand verloren geht oder gar nicht erst aufgebaut wird: «Je seltener eine Organisation eine Aufgabe erledigt, desto stärker schrumpft ihr Know-how zu deren Bewältigung. Dies ist ein unaufhaltsamer Prozess.» Gerade in Bezug auf den Staat sei das zunehmend auch ein Problem, weil staatliche Stellen zu vielen Geschäftsbereichen gar keine Lernbeziehung mehr unterhielten: «Stattdessen wurde die Ausarbeitung der Regeln an Akteure ausgelagert, die von diesen selbst betroffen sind.»

Mazzucato und Collington vergleichen Consultants deshalb mit Psychotherapeut:innen, die nicht unbedingt daran interessiert seien, dass ihre Kunden «unabhängig und mental stark» werden. Consultingfirmen haben gar kein Interesse daran, dass sich ihre Kund:innen eigenständig so weit entwickeln, dass sie weitere Beratungen nicht mehr nötig haben. Es ist ihr Geschäftsmodell.

Buchcover von «Schwarzbuch McKinsey. Die fragwürdigen Praktiken der weltweit führenden Unternehmensberatung»
Walt Bogdanich, Michael Forsythe: «Schwarzbuch McKinsey. Die fragwürdigen Praktiken der weltweit führenden Unternehmensberatung». Aus dem Englischen von Karlheinz Dürr, Karsten Petersen und Andreas Thomsen. Econ Verlag. Berlin 2022. 496 Seiten. 40 Franken.
Buchcover von «Die grosse Consulting-Show. Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt»
Mariana Mazzucato, Rosie Collington: «Die grosse Consulting-Show. Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt». Aus dem Englischen von Ursel Schäfer und Enrico Heinemann. Campus Verlag. Frankfurt am Main 2023. 328 Seiten. 40 Franken.