Das Problem mit den Banken: «Die Abwicklungs­pläne sind eine der grössten Lügen»

Nr. 14 –

Die Stanford-Ökonomin Anat Admati ist die vielleicht weltweit gefragteste Expertin für Bankenregulierung. Die neue, riesige UBS erachtet sie für die Schweiz als hochgefährlich.

Portraitfoto von Anat Admati
«Die Bankindustrie hält die Bürger:innen in Geiselhaft»: Anat Admati. Foto: Elena Zhukova

WOZ: Frau Admati, kam die Rettung der Credit Suisse durch die Schweizer Regierung für Sie überraschend?

Anat Admati: Nein! Die Bank steckte schon eine Weile in ernsthaften Schwierigkeiten. Es war seit Monaten klar, dass sie das nächste Beispiel für eine strauchelnde Bank werden könnte, die sich die Regierung nicht scheitern zu lassen getraut, weil sich dies auf das Finanzsystem und die gesamte Wirtschaft auswirken könnte. Meine Studierenden in Stanford und ich haben die Credit Suisse in den letzten Monaten eng verfolgt. Es ist auch ein Fall, den Martin Hellwig und ich für die Neuauflage unseres Buches «Des Bankers neue Kleider» detailliert diskutiert haben.

Nach der Finanzkrise 2008 wurden Banken gezwungen, Pläne vorzulegen, nach denen sie in der Not abgewickelt werden können. Nun hat Finanzministerin Karin Keller-Sutter gesagt, dass eine Abwicklung im Fall der CS nicht möglich gewesen wäre. Sind Sie da mit ihr einverstanden?

Ja. Doch es stellt sich die Frage, warum Banker, Regulatoren und Regierungen über ein Jahrzehnt lang sagten, dass die Pläne funktionieren und das «Too big to fail»-Problem lösen würden. Ich sass mehrere Jahre im Beratungsgremium der US-Bundeseinlagenversicherungsgesellschaft FDIC, die dafür verantwortlich ist, dass die Pläne ausgearbeitet werden. Es war offensichtlich, dass die Pläne der Grossbanken nicht funktionieren, selbst wenn nur eine Bank in Schwierigkeiten gerät – und sowieso nicht, wenn eine grosse Krise eine ganze Reihe von Banken ins Straucheln bringt. Viel Glück an alle, die versuchen, die Pläne umzusetzen!

Die CS-Rettung hat Ihnen nun den Beweis geliefert?

Ja. Die Schweizer Finanzministerin Karin Keller-Sutter hat ausgesprochen, dass es unmöglich ist. Das macht es einfacher, davor zu warnen. Wir sollten uns nicht auf die Pläne verlassen. Sie waren leere Versprechen, eine der grossen Lügen des letzten Jahrzehnts. Wenn Sie etwa Dokumente des Financial Stability Board lesen, das für die globale Bankenregulierung zuständig ist, werden Sie dort ständig das Wort «sollte» lesen. Die Pläne sind lange Wunschlisten. Bezeichnenderweise war das Management der Credit Suisse ein grosser Befürworter dieser Pläne.

Die Bankenkritikerin

Anat Admati (66) ist Finanzprofessorin an der Stanford University in Kalifornien. Mit ihrem internationalen Bestseller «Des Bankers neue Kleider», den sie 2013 mit dem deutschen Ökonomen Martin Hellwig vom Max-Planck-Institut publizierte, wurde Admati zur internationalen Koryphäe für Bankenregulierung. Sie war jahrelang als Beraterin der US-Regulierungsbehörden tätig und arbeitet derzeit mit Hellwig an einer Neuauflage ihres Buches, die im Herbst erscheinen soll.

Warum funktionieren sie nicht?

Banken sind multinationale Konzerne mit vielen Töchtern. Die Töchter liegen jedoch in souveränen Staaten mit eigenen Regeln – es existiert kein globales Konkursrecht, mit dem die Banken global abgewickelt werden könnten. Nun wurde international vereinbart, dass jener Staat für eine Abwicklung zuständig ist, in dem die Bank ihren Hauptsitz hat – im Fall der Credit Suisse also die Schweiz. Warum das nicht geht, zeigte sich bereits bei der US-Bank Lehman Brothers 2008: Als sie ins Strudeln kam, verschob sie ihr Geld in die USA. Als die britischen Behörden in der Tochtergesellschaft in London eintrafen, war alles Geld bereits weg. Die Firmen können ihre Mittel zwischen den Tochtergesellschaften verschieben. Der ehemalige Gouverneur der britischen Zentralbank, Mervyn King, sagte einmal: «Die Banken leben global, sterben jedoch national.» Der FDIC-Vorsitzende Martin Gruenberg hat das Problem auch eingestanden …

Erzählen Sie …

An einer unserer Sitzungen des FDIC-Beratungsgremiums wurde er gefragt, ob die USA den britischen Behörden erlauben würden, etwa die britische Barclay Bank abzuwickeln. Er sagte rundheraus, dass er das nicht versprechen könne. Das Problem ist: Wenn ein Staat eine globale Bank abwickelt, greift er in die Souveränität anderer Staaten ein, was diese nicht wollen.

Finanzministerin Keller-Sutter sagte, dass eine Abwicklung eine globale Finanzkrise ausgelöst hätte. Liegt nicht auch hier ein Problem?

Ja. Darum müssen wir darüber nachdenken, warum das Finanzsystem so anfällig ist und ob es für die Gesellschaft wirklich gut ist, Institutionen zu haben, die so gross, so komplex und so undurchsichtig und miteinander verbunden sind, dass wir Angst haben, sie scheitern zu lassen. Die Kosten, die der Gesellschaft entstehen, wenn wir Banken gemäss diesen noch nie getesteten Plänen abwickeln, sind enorm. Genauso wie die Kosten, die entstehen, wenn wir diese rücksichtslosen Institute aufrechterhalten. Die Credit Suisse hat wiederholt Verluste erlitten und es versäumt, ihre Risiken und Investitionen richtig zu managen. Die Mitarbeiter:innen der Bank wurden durchweg gut entschädigt, und nun wird ein Teil der von ihnen verursachten Verluste auf die Öffentlichkeit abgewälzt.

Eigentlich sollten Grossbanken gar nicht erst in Not kommen: Nach der UBS-Rettung 2008 entschied das Schweizer Parlament, dass Grossbanken wie die CS mindestens fünf Prozent Eigenkapital halten müssen, also Aktienkapital, mit dem sie Verluste auffangen können …

Der «Swiss Finish» (lacht).

Genau. Ist das nicht genug?

Nein. In keiner anderen Branche leben gesunde Firmen mit fünf Prozent Eigenkapital. Statt mit Gewinnen das Eigenkapital weiter auszubauen, zahlen Grossbanken wie die Credit Suisse das Geld lieber ihrem Aktionariat aus – um sich dann vom Staat retten zu lassen, wenn sie zu wenig Eigenkapital haben, das ihre Verluste auffangen kann.

Das Problem der CS bestand ja nicht darin, dass sie Verluste schrieb: Sie erlebte einen Abfluss von Milliarden von Kund:innengeldern, dem sie mangels Liquidität kaum mehr nachkam. Einige bürgerliche Politiker:innen behaupten deshalb, dass mehr Eigenkapital nichts gebracht hätte.

Das ist Unsinn. Die Einleger:innen zogen ihr Geld ab, und die Anleger:innen verkauften Aktien, weil sie zu Recht befürchteten, dass die Bank bald insolvent sein würde oder es bereits war. Je mehr Eigenkapital eine Bank hat, desto weniger schnell verlieren ihre Kund:innen das Vertrauen in sie.

In Ihrem Bestseller «Des Bankers neue Kleider» aus dem Jahr 2013 fordern Sie mit Ihrem Koautor Martin Hellwig hauptsächlich mehr Eigenkapital, und zwar in der Höhe von zwanzig bis dreissig Prozent.

Ja, wir wollten damit vor allem klarmachen, dass wir nicht einfach ein bisschen mehr Eigenkapital fordern, sondern von einer ganz anderen Grössenordnung sprechen. Verliert eine Bank wegen Verlusten einen Teil ihres Eigenkapitals, müssten die Behörden viel früher eingreifen als heute und sie zwingen, ihr Eigenkapital wieder auf ein viel sichereres Niveau zu erhöhen. Sinnvoll wären rund dreissig Prozent – wir haben in den letzten fünfzehn Jahren nie ein vernünftiges Argument gehört, das dagegen spricht. Dafür müsste die Bank auf die Ausschüttung von Dividenden verzichten oder neue Aktien ausgeben – damit sie weiterhin Kredite vergeben und andere Investitionen tätigen kann. Falls niemand ihre Aktien kaufen will, ist dies ein klares Zeichen dafür, dass die Bank ungesund und möglicherweise gar insolvent ist. Wichtig ist, dass wir von zwanzig bis dreissig Prozent Eigenkapital im Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme sprechen – ohne Risikogewichtung.

Dafür wird das Aktienkapital ins Verhältnis zur gesamten Bankbilanz gesetzt. Beim risikogewichteten Eigenkapital müssen angeblich sichere Anlagen nicht zur Bilanz gezählt werden: So erzielt die Bank auch mit viel weniger Aktienkapital eine hohe Eigenkapitalquote.

Es wird immer behauptet, dass risikoreichere Anlagen mehr Eigenkapital benötigen. Das stimmt, doch in Wirklichkeit nutzen Banken das System der Risikogewichtung oft dazu, die Eigenkapitalanforderungen zu senken. Dies, indem sie vorgeben, dass Vermögenswerte weniger risikoreich sind, als es tatsächlich der Fall ist. Für europäische Staatsanleihen und Wertpapiere, die von den Ratingagenturen ein supersicheres AAA-Rating erhalten, brauchen Banken kein Eigenkapital.

Wie spielen die Banken die Risiken herunter?

Sie finden dazu ausgefallene Modelle, die die Aufsichtsbehörden zulassen. Ausserdem konzentrieren sich die Banken auf das Ausfallrisiko und lassen das Risiko steigender Zinsen ausser Acht: Werfen neue Staatsanleihen viel höhere Zinsen ab, verlieren die alten Anleihen in den Büchern der Bank an Wert. Dies hat die Silicon Valley Bank zu Fall gebracht – und die Gefahr zeichnet sich auch für viele andere Banken ab. Es gibt viele Banken, die sich mit hohen risikogewichteten Eigenkapitalquoten brüsten und dann trotzdem kollabieren.

Die UBS wird durch die Übernahme der CS mehr als doppelt so gross wie das Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP). Auf die Frage, ob das nicht zu gefährlich sei, meinte Nationalbankpräsident Thomas Jordan, dass die Risiken der Bank massgebend seien. Sie aber sagen, dass die Banken die Risiken nur ungenügend abschätzten.

Ja, die Situation mit der UBS ist gefährlich. Man kann nur hoffen, dass die neue Bank die Schweizer Wirtschaft nicht irgendwann in den Abgrund reisst. Das ist alles, was ich sagen kann. Die Kredite und die Garantien, die vom Staat für die Übernahme der Credit Suisse eingesetzt wurden, hätte man für etwas anderes verwenden können. Ich war zudem ziemlich geschockt, wie die Schweiz über Nacht Gesetze geändert hat, um die überstürzte Übernahme zu beschleunigen. Einige Leute in den USA bezeichnen die Schweiz bereits als Bananenrepublik.

Politiker:innen in der Schweiz warnen bereits, dass mehr Eigenkapital für die Banken einen Wettbewerbsnachteil bringen würde, solange das Ausland nicht mitzieht.

Gut, aber dann muss man sich bewusst sein, dass das eine Milliardensubvention auf Kosten der Steuerzahlenden ist. Ist der Nutzen für die Bürger:innen tatsächlich so gross, dass es gerechtfertigt ist, das schlechte Management und den Leichtsinn der Banker zu decken? Die Bankindustrie hält die Bürger:innen in Geiselhaft. Es gibt aus gesellschaftlicher Sicht keinen guten Grund, warum Banken so gefährlich leben sollen. Die Aufnahme hoher Kredite wird für Unternehmen zur Sucht. Im Fall der Banken ist es an den Aufsichtsbehörden, dies im Namen der Einleger:innen und anderer Personen zu verhindern. Es ist für sie zu schwierig, die Risiken, die die Bank eingeht, zu kontrollieren.

In der Schweiz wird nun auch die Einführung eines Trennbankensystems gefordert, mit dem etwa das riskante Investmentbanking als separates Geschäft geführt würde. Eine gute Idee?

Tatsächlich ist es ein Problem, dass Bankeinlagen von Kunden mit riskanten Geschäften etwa im Investmentbanking verbunden sind. Viele europäische Banken waren ab den neunziger Jahren vom Investmentbanking und anderen Geschäften in den USA fasziniert und haben sich damit verzockt: Es gibt einen Brief, den mein Koautor Martin Hellwig gerne zitiert, in dem die UBS nach ihrer Rettung 2008 ihren Aktionär:innen ihre Verluste erklärte und im Wesentlichen zugab, dass sie nicht genau wusste, was sie tat, als sie anfing, etwa in US-Hypothekenpapiere zu investieren. Martin und ich ziehen es vor, uns auf das Eigenkapital zu konzentrieren. Dies erfordert weniger Eingriffe in die Anlageentscheidungen der Banken und überlässt die Risiken den Aktionär:innen. Heute liegen diese beim Staat – wie sich derzeit auch in den USA zeigt.

Sie sprechen von den riesigen Kreditsummen, die die US-Zentralbank derzeit vielen Banken vergibt, die in Schwierigkeiten stecken.

Ja, sie retten den gesamten Bankensektor. Sie vergeben Kredite an insolvente Banken gegen Sicherheiten, die weniger wert sind als der Kredit. Die Zentralbanken sind nicht da, um insolventen Banken Geld zu leihen. Das Finanzministerium hat die neuen Kreditprogramme der US-Zentralbank mit 25 Milliarden Dollar abgesichert. Das ist Steuergeld.

Die Welt steht möglicherweise an der Schwelle zu einer neuen Finanzkrise. Bleibt genug Zeit, damit die Banken genügend Eigenkapital aufbauen?

Sie können heute damit beginnen! Der Stopp von Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufen ist das Einfachste, was es gibt, um das Eigenkapital zu stärken.

Als die UBS kürzlich in Zürich ihren neuen CEO Sergio Ermotti vorstellte, sagt dieser, dass er sich nicht um das «Too big to fail»-Problem Sorgen mache, sondern um das «Too small to survive» – dass Banken zu klein seien, um zu überleben. Ihre Reaktion?

(Zögert lange.) Ich weiss nicht, was ich «on the record» darauf sagen soll …Wie gesagt: Wir müssen uns als Bürger:innen fragen, ob wir so grosse Banken und einen so grossen Finanzsektor brauchen. Gibt es genug Beweise, dass sie uns mehr Vorteile als Nachteile bringen? Ich bezweifle es. Das Geschäftsmodell dieser Banken hängt zu sehr von impliziten wie auch expliziten Subventionen ab. Sie machen das Geld – die Gesellschaft trägt zu viele der Risiken.

Bürgerliche Parlamentarier:innen in der Schweiz warnen, dass man nun zuerst in Ruhe alles analysieren solle.

Das tun wir doch schon seit Jahren. Die nötigen Reformen sind seit langem jedem bekannt, der sich mit der Situation und den verschiedenen Optionen auseinandersetzt. Der Schlüssel zur Reform ist der politische Wille.