Der CS-Lobbyist: Alles nur für Land und Kinder

Nr. 16 –

Als Verwaltungsrat einer Tochterfirma der Credit Suisse steht Ruedi Noser mitten im Greensill-Skandal. Als Ständerat hat er der Grossbank neue Finanzprodukte verschafft. Über einen Interessenkonflikt made in Switzerland.

der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser im Ständeratssaal
«Ich kann Ihnen keine Interna zu Greensill sagen, weil ich dazu nicht autorisiert bin»: Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser. Foto: Alessandro della Valle, Keystone

Ruedi Noser hat lange gewartet. Fast die Hälfte der Ständerät:innen hat sich in der Eintretensdebatte an der ausserordentlichen Session zur Rettung der Credit Suisse im Bundeshaus vergangene Woche zu Wort gemeldet. Man ist schon bei den Ergänzungen, als Noser die Hand hebt. Auffällig ist weniger, was er sagt: «Der Bundesrat hat alles ausgehandelt. Was der Bundesrat beschlossen hat, gilt auch.» Auffällig ist, was Noser nicht angibt: dass er, der FDP-Ständerat aus Zürich, auch Verwaltungsrat der Credit Suisse Asset Management Schweiz ist. Laut Gesetz müssten Parlamentarier:innen auf Interessenbindungen hinweisen, wenn sie von einem Geschäft persönlich betroffen sind.

Als ob nichts wäre, tritt Noser am Freitag nach der Session auch in der «Arena» auf. Die Rettung der Credit Suisse, für die Bund und Nationalbank 259 Milliarden Franken bereitstellen mussten, preist er dreist als Deal an, von dem die Steuer­zahler:innen finanziell sogar profitieren könnten. «Das Nein des Parlaments ist verantwortungslos.» Zwar weist der Moderator kurz darauf hin, Noser sei Verwaltungsrat einer Tochtergesellschaft der CS. Dieser wischt den Einwand beiseite: Zuerst sei er Kunde der Bank.

Seit seiner Wahl ins Parlament vor zwanzig Jahren hat Noser das Bild von sich als Wirtschaftspolitiker kultiviert. Mal polternd, mal charmant, immer liberal im Geist. Noser, der Selfmademan, der es vom Schüler mit Legasthenie zum Softwareunternehmer mit 600 Angestellten brachte. Noser, der Unabhängige, der als Glarner heute den mächtigen Zürcher Freisinn vertritt. «Friisinn» nennt ihn Noser und lässt dabei den Dialekt aus den Bergen anklingen. Bloss, was hat es mit dieser CS-Tochtergesellschaft auf sich?

Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Ruedi Noser steckt wie kein anderer Politiker im CS-Sumpf. Die Credit Suisse Asset Management Schweiz (CSAM) steht im Zentrum eines der grössten Skandale, die in der öffentlichen Wahrnehmung zum Ruin der Grossbank beigetragen haben – jenem um die Lieferketten-Finanzierungsgesellschaft Greensill Capital.

Treibstoff in die Tanks

Die CSAM wurde 2017 als neue rechtliche Einheit innerhalb der CS-Vermögensverwaltung für institutionelle Anleger und schwerreiche Privatpersonen gegründet. Als Verwaltungsratspräsident wurde Bruno Pfister gewählt, vormals Chef des Lebensversicherers Swiss Life, als einer von sieben Verwaltungsräten Ruedi Noser. Die Geschäftsleitung übernahm Michel Degen, der eine steile Karriere hinter sich hatte, vom Banklehrling bis zum Leiter des Asset-Managements der CS für die Schweiz, Europa, Nahost und Afrika. In Baselland aufgewachsen, war Degen ins steuergünstige Wollerau gezogen. Ein Ausflug in die Politik als «Bankangestellter» auf der Liste der FDP für den Schwyzer Kantonsrat blieb erfolglos.

Bereits 2016 traf Degen, so berichtet es die «Handelszeitung», den australischen Banker Lex Greensill, der im Privatjet nach Zürich geflogen kam. Mit seiner Gesellschaft mit Hauptsitz in London widmete sich Greensill der Vorfinanzierung von Firmenkrediten. Das Prinzip war simpel: Ein Lieferant wartete nicht die übliche Frist einer Bezahlung durch einen Kunden ab, sondern verkaufte die Forderung an Greensill. Dieser zahlte den Lieferanten sofort aus, allerdings mit einem Abschlag von beispielsweise zwei Prozent. Die offene Forderung an den Kunden wurde in ein Wertpapier verpackt und an einen Fonds verkauft. Wenn der Kunde nun dem Fonds den ursprünglichen Preis bezahlte, ergab sich für diesen ein Gewinn von zwei Prozent. So weit die Theorie.

Was es in der Praxis nun noch brauchte, waren Anleger:innen, die für solche Fonds das nötige Geld hatten. Hier kam das Asset-Management der CS ins Spiel: Sie verwaltete damals wie heute Vermögen in der Höhe von rund 400 Milliarden Franken. Viel Treibstoff also, den man in Hunderte von Fonds füllen konnte, darunter in vier speziell für Greensill bereitgestellte Tanks – auf dass die Lieferketten zu rattern beginnen. Bloss wurde spätestens 2019 klar: Diese Lieferketten laufen ins Leere.

Greensill gewährte hochverschuldeten Firmen fragwürdige Kredite im Umfang von mehreren Milliarden für Geschäfte, die es nie geben würde. Dazu gehörten namentlich der britische Stahlmagnat Sanjeev Gupta, die US-Baufirma Katerra und der US-Kohlekonzern Bluestone Resources (siehe WOZ Nr. 12/21).* Bald ging die Übersicht über die Risiken verloren, vieles zu den Hintergründen und den Interessen der Kreditvergabe ist bis heute ungeklärt. Als die Versicherung den Schutz kündigte, ging Greensill 2021 pleite. Es war ein «Crash der Kingsize-Dimension» («Inside Paradeplatz»).

Tatort Zürich

Heute heisst es in Kommentaren gerne, die CS sei an einer spekulativen US-Kultur gescheitert, im Gegensatz zum anständigen «Swiss Banking». Die Geschichte von Greensill zeigt eine andere Wahrheit: Der Tatort liegt in Zürich. Michel Degen steuerte mit einer loyalen Truppe die Geschäfte vom Sihlcity-Komplex aus, gefördert von seinem Chef Eric Varvel, der über beste Verbindungen nach Katar verfügte. Wie die «SonntagsZeitung» berichtete, wurde das Vorgehen vom obersten Verantwortlichen für das Asset-Management, Iqbal Khan, unterstützt, der später zur UBS wechselte, mit der bekannten Spionage durch seine frühere Bank als Folge. Und über den ganzen Zeitraum sass der Zürcher Ständerat Noser im Verwaltungsrat der Tochtergesellschaft, die laut aktuellem CS-Jahresbericht für das Portfoliomanagement der Greensill-Fonds verantwortlich war.

Ruedi Noser ist während der Bankensession für ein Gespräch ins Vorzimmer des Ständerats gekommen. Er betont, dass er in den CSAM-Verwaltungsrat gewählt wurde, weil die Finanzmarktaufsicht Finma bankexterne Mitglieder verlangt hatte. «Ich bin als IT-Spezialist dabei, nicht als Fachmann für Fonds.» Die CS habe eine neue IT für ihre Fonds eingeführt, deshalb sei er von einem Headhunter angefragt worden. Auf Greensill angesprochen, tritt er sofort in den Ausstand: «Ich kann Ihnen keine Interna sagen, weil ich dazu nicht autorisiert bin. Zitieren können Sie von mir gar nichts.»

Mit 10 Milliarden Franken hatte die Credit Suisse die Greensill-Fonds gefüllt. Gemäss CS-Jahresbericht 2022 stehen Rückzahlungen von 3,2 Milliarden an die Anleger:innen aus. Sie betreffen Geschäfte mit Gupta, Katerra und Bluestone. Privatkläger:innen haben Zivilklagen gegen die CS eingereicht, bei der Zürcher Staatsanwaltschaft läuft ein Verfahren gegen die Bank wegen des Verdachts auf unlauteren Wettbewerb. Die CS leitete eine interne Überprüfung ein. Degen und Varvel mussten ihre Posten räumen. Die Finma schloss diesen Frühling ihr Verfahren mit einem harschen Urteil ab: Die Credit Suisse habe «in schwerer Weise gegen die aufsichtsrechtlichen Pflichten verstossen». Gegen vier beteiligte Manager wurde ein Verfahren für ein mögliches Berufsverbot gestartet. Und wie steht es um die Verantwortung der Verwaltungsräte – jener der ganzen CS-Gruppe wie jener der Tochterfirma? Der Finma-Bericht, der individuellem Fehlverhalten nachspürt, äussert sich dazu nicht.

Noser will auf diese Frage ebenfalls nichts Konkretes sagen. Dass er als Einziger seit 2017 noch als Verwaltungsrat amtiert, mag ein Hinweis sein, dass ihm die Bank nichts vorzuwerfen hat. Auf alle Fälle scheint ihn kein schlechtes Gewissen zu plagen. «Die Greensill-Fonds verursachten einen grossen Reputationsschaden. Der Fall hat aber nichts dazu beigetragen, dass die CS in finanzielle Schieflage geriet.» Der Verlust liege ja nicht bei der Bank als Fondsanbieterin, sondern bei den Kund:innen, die in die Fonds investiert hätten. «Diese waren nur für professionelle Anleger:innen zugelassen.» Noser blendet also aus, dass es zum Bank Run bei der CS wegen des fehlenden Vertrauens und der angeschlagenen Reputation kam. Bezüglich laufender Klagen gibt er sich zuversichtlich: Es würden «gute Lösungen» gefunden.

Die Tätigkeit von Noser im Verwaltungsrat der CSAM ist das eine, sein Einsatz für die CSAM, die Fondsbranche und die Banken im Ständerat das andere. Beispielhaft dafür steht eine Motion, mit der er 2018 «international konkurrenzfähige kollektive Kapitalanlagen» ermöglichen wollte. Der Bundesrat entwickelte daraus ein Gesetz für sogenannte Limited Qualified Investor Funds (L-QIF). Eine Definition der Fonds fehlt in der Botschaft. Entscheidend aber ist: Sie sind nicht der Finma unterstellt. Und nur qualifizierte Anleger wie Pensionskassen oder Schwerreiche dürfen sie nutzen. Also wieder Kund:innen von Firmen wie der CSAM.

«Eine verdammte Sauerei»

«Die Fondsbranche kam mit dem Vorschlag auf Thomas Matter und mich zu», erinnert sich Noser an die Entstehung. Gemeinsam mit dem SVP-Banker habe er entschieden, einen Antrag im Ständerat einzureichen. «Da geht es schneller.» Noser will es nicht für die CS, sondern für das Land getan haben: «Das Ziel des Vorstosses lag darin, Geschäfte in die Schweiz zu holen, die heute bereits in Luxemburg stattfinden – und damit auch die Arbeitsplätze.» Er mache sich nicht für eine einzelne Firma stark, betont Noser, sondern für einen erfolgreichen Finanzplatz: «Da arbeiten 150 000 Zürcher:innen. Für die setze ich mich ein. Jeden Tag. Ich setze mich mehr für Arbeitsplätze ein als jeder Gewerkschafter hier drin im Bundeshaus.»

Eine scharfe Kritikerin der L-QIF-Vehikel ist SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Sie befürchtet, dass sie unter anderem einen hohen Druck auf Immobilien ausüben könnten. «Auch bei allen Steuervorlagen hat sich Ruedi Noser zugunsten der Kapitaleigentümer engagiert.» Besonders aktiv sei er bei der Abschaffung der Verrechnungssteuer gewesen. «Davon hätten vor allem Obligationenfonds und gemischte Fonds profitiert. Also wieder die CS Asset Management AG», folgert Badran. Die Abschaffung scheiterte letzten Herbst dank eines Referendums der linken Parteien.

Noser will von einem Interessenkonflikt nichts wissen. In der Ratsdebatte zur CS-Rettung habe er sein Mandat nicht deklariert, weil er sich nicht an der Grundsatzdiskussion beteiligt habe, redet er sich heraus. «Überhaupt», wird er jetzt laut, sodass auch andere Ratsmitglieder im Vorzimmer herüberblicken: «Ich setze mich nicht für oder gegen die CS ein, auch nicht für die Finanzbranche, sondern für die Gesamtwirtschaft. Es ist eine verdammte Sauerei, dass man bei einem Bürgerlichen immer zuerst den Interessenkonflikt sucht, nur weil man sich für gute und interessante Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten einsetzt!» Die Kinder in der Schweiz, auch seine eigenen, müssten schliesslich eine Zukunftsperspektive haben. «Kinder ohne Zukunftsperspektiven kleben sich am Teer fest.»

Kritik von Transparency

Noser hat auf das Ende der Legislatur seinen Rücktritt angekündigt. Bei der Beratung kommender Regulierungen wird er nicht mehr dabei sein. In den Sessionen, die bis zu den Wahlen bleiben, könnte er aber noch auf den Entscheid über die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Aufarbeitung der CS-Krise Einfluss nehmen. Eine Kommission, die auch politisch-wirtschaftliche Verstrickungen ins Visier nehmen könnte wie die von Ruedi Noser. Warum ist es in der Schweiz möglich, dass jemand bei einem so eklatanten Interessenkonflikt nicht in den Ausstand treten muss? Und am Ende gar noch über eine PUK bestimmen darf?

Martin Hilti ist Geschäftsführer bei Transparency International Schweiz. Er sagt: «Das Beispiel illustriert das grundsätzliche Problem von Nebenmandaten von Parlamentarier:innen. Sie führen dazu, dass Politiker:innen als Lobbyist:innen agieren, was ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit infrage stellt.» Bisher gebe es auf Bundesebene kaum Regeln zum Lobbying – so fehlten Bestimmungen, bei welchen Geschäften jemand in den Ausstand treten müsse. Selbst bescheidene Massnahmen wie die Offenlegung der Entschädigung aus den Nebenmandaten seien im Parlament gescheitert. Im Ländervergleich, das zeigte die Transparency-Studie «Lobbying in der Schweiz», liegt die hiesige Demokratie bei der Integrität des Lobbyings bestenfalls im Mittelfeld.

Ruedi Noser will auch im Gespräch nicht offenlegen, was er für seinen Einsitz im Verwaltungsrat der CSAM bekommt. «Aber ich habe jeden Franken davon in CS-Aktien investiert, das ist meine Loyalität zur Firma. Damit haben Sie meine Antwort: Ich habe nichts verdient, sondern einen Haufen Geld verloren.» Wobei diese Aktien nach der Staatsrettung nun auch nicht ganz wertlos sind.

* Korrigenda vom 20. April 2023: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion steht fälschlicherweise, Sanjeev Gupta sei indischer Staatsbürger. Korrekt ist: Sanjeev Gupta ist zwar in Indien geboren, hat aber die britische Staatsbürgerschaft.

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Kommentare

Kommentar von Selim Heers

Mi., 19.04.2023 - 21:25

Hinweis: Sanjeev Gupta ist Brite.

Kommentar von maxmedia@bluewin.ch

Do., 20.04.2023 - 12:14

Toller Artikel. Endlich was zum freisinnigen "Gewerkschafter" Ruedi Noser, der sich "für gute und interessante Arbeitsplätze" einsetzt. Als nächstes würde mich interessieren, wieviel der UBS/CS-Bankenplatz wirklich zu unserer Volkswirtschaft beiträgt. Der Faktor ist offenbar unerheblich, sonst würde die SVP ja nicht auf Abschaffung plädieren. Grad so, dass die Helvetische Bank von Thomas Matter besser zum Zuge käme.