Schweizer Geheimdienst: Dürre Grundlage, schrille Debatte

Nr. 39 –

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«Mit linker Gewalt überfordert», titelt die NZZ, und die SRF-«Tagesschau» vermeldet, der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) sei «übervorsichtig gegenüber Linksextremismus». So schrill die aktuellen Schlagzeilen sind, so dürr ist das Papier, das ihnen zugrunde liegt: Nicht einmal eineinhalb Seiten lang ist der zusammenfassende Prüfbericht über die «Abwehr des gewalttätigen Linksextremismus», den die Geheimdienstaufsicht letzte Woche publiziert hat. Darin stellt die Behörde vor allem zwei Dinge fest: Der NDB verfüge über zu wenig Ressourcen «im Verhältnis zur aktuellen Bedrohungslage» im untersuchten Bereich, und er setze «nicht alle im gesetzlichen Rahmen zur Verfügung stehenden Mittel» ein.

Während diverse Medien diese Folgerungen einfach nachplapperten, blieb völlig unklar, was genau «gewalttätiger Linksextremismus» aus Sicht der Behörden ist. Eigentlich sollte die Erklärung im jährlichen NDB-Lagebericht «Sicherheit Schweiz» stehen. Doch das entsprechende Kapitel mit dem Titel ­«gewalttätiger Extremismus» ist ebenfalls dürr, zwei Seiten bloss, und besteht zentral aus einer Grafik, die aufzeigt, dass «gewalttätig extremistisch motivierte Ereignisse» sehr viel häufiger im Bereich «Linksextremismus» vorkommen (196 letztes Jahr) als im «Rechtsextremismus» (25).

Aber was sind «Ereignisse»? Gemäss NDB-Medienstelle erfasst die Grafik sämtliche Fälle, bei denen Exponent:innen der jeweiligen «gewalttätigen extremistischen» Szene teilgenommen haben – unabhängig davon, ob tatsächlich Gewalt zur Anwendung kam. Eine Demoteilnahme von als linksextrem eingestuften «Exponenten» ist folglich bereits ein «Ereignis». Tatsächlich gewaltsam waren 2024 sechzig «linksextreme» Fälle. Dabei richte sich diese Gewalt in erster Linie gegen Sachen, aber auch gegen Sicherheitskräfte bei Demonstrationen. Die gewalttätige rechtsextremistische Szene indes führe ihre Treffen meist klandestin durch. Besorgniserregend seien hier besonders die zunehmende Onlineradikalisierung Minderjähriger und eine gewisse Affinität zu Waffen. Am Ende zeigt sich: Ein dürrer Prüfbericht einer Behörde, die auf einem Auge blind ist, ist eine denkbar schlechte Grundlage für eine Debatte.