Kuzeb: «Du kannst hier auch kurz ein Arschloch sein, das ist dein Menschenrecht. Aber du wirst halt darauf angesprochen.» Ich nehme mir vor, die ganzen Ohrstöpsel wieder zurückzubringen, die ich eingesteckt habe.
Die ehemaligen Fabrikgebäude, die seit über dreissig Jahren vom Kulturzentrum Bremgarten (KuZeB) besetzt sind, stehen zum Verkauf. Die Aktivist:innen haben schon einen Grossteil des nötigen Geldes gesammelt. Doch was passiert mit einem autonomen Raum, wenn er gekauft wird? Eine literarische Reportage.

Ich bin in einem Raum voller Punks. Und wer jetzt denkt, ah, die mit den ausgefransten Frisuren, Jeansjacken und Leben, die Dosenbier auf dem Trottoir trinken, hat zwar irgendwie das richtige Bild im Kopf, und doch ist das nicht, was ich meine.
Die Wand des Vorraums ist gesäumt von Menschen, die auf Stühlen sitzen oder an der Wand lehnen, wie in einem Wartezimmer. Ich vermute, sie ruhen sich hier etwas aus, machen eine Pause vom Lärm, und sie sehen aus, als hätten sie das nötig. Ich werde von zwei Menschen, die hinter einem Tisch sitzen, nett begrüsst. «Der Richtpreis wäre fünfzehn Franken.» Ich nehme mir ein kleines Plastikschächtelchen mit Ohrstöpseln vom Tisch.
Es ist Ostersonntagabend. Im Kulturzentrum Bremgarten, das alle nur KuZeB nennen, läuft das jährliche Osterfestival. Ich frage mich, ob ich das letzte Mal ein Konzert in dieser Besetzung besuche. Auch wenn die Kampagne der Aktivist:innen, die das KuZeB selber kaufen wollen, erfolgreich angelaufen ist – eine Besetzung wird es nicht mehr sein. Mir ist noch nicht ganz klar, was das bedeutet. An der Bar sehe ich mich um, erkenne ein paar Leute, die an Partytischen oder auf Sofas sitzen, ich kenne sie aber bloss vom Sehen. Also bestelle ich ein Bier, das auf einer Tafel mit seinem Einkaufspreis angeschrieben ist. Dann gehe ich die Treppen runter in den Keller.
Ich stelle mich neben einen Freund, wir umarmen uns, viel Gespräch ist nicht möglich, es ist gerade Soundcheck, nehme ich an, obwohl der Übergang zum Konzert dann fliessend verläuft. Der Raum vor der Bühne ist voll, Leute schreien sich über die Musik hinweg an.
Auf der Toilette lese ich auf einem Awareness-Plakat: «Alle, die hier etwas machen, tun dies aus Idealismus oder absolutem Realitätsverlust und Wahnsinn – oder beidem.» Ich habe mich dem Fotoverbot nicht widersetzt, der Satz hat sich mir eingebrannt. Im Vorraum finde ich eine Packung WC-Papier und verteile die Rollen gleichmässig auf beide Kabinen, danach spüre ich meinen Realitätsbezug ein bisschen deutlicher als zuvor.
Zurück vor der Bühne treffe ich Dave, der seit Jahren im KuZeB aktiv ist. Ich frage ihn mit rudimentären Handzeichen, wie es ihm geht. Er hebt den Daumen, legt dann den Kopf schräg auf die aneinandergelegten Handflächen. Ich will ihn mehr dazu fragen, höre durch die Ohrstöpsel jedoch meine eigene Stimme etwas besser, als mir lieb ist. Wir geben auf und schauen das Konzert. Wobei ich nach einer Weile merke, dass ich vor allem an eine Betonsäule starre.
Was ich meine mit Punk: die sanften Berührungen an der Schulter, wenn jemand an mir vorbei zur Bar will, wie vorsichtig sich alle aus dem Weg gehen. Das breite Grinsen, wenn man sich in die Augen schaut und nicht sicher ist, von wo man sich kennt. Punk ist, im Moshpit gemeinsam nach einer Brille zu suchen. Möglichst wenig Lohnarbeit zu machen, um umso mehr Zeit für Musik, Siebdruck, Fotoatelier, für Freundschaften zu haben. Ich frage mich, vor wem wir unsere Herzlichkeit hinter den schwarzen Kleidern und den Piercings verstecken. Jedenfalls nicht voreinander. Vielleicht tun wir es, weil wir es gewohnt sind, uns in Räumen zu bewegen, in denen Regeln gelten, die wir missachten. Mit Normen konfrontiert zu sein, die wir ablehnen.
Auf der Bar im Raum neben der Bühne klebt ein laminiertes Blatt Papier. Da hat jemand was ernst gemeint. Ich lese, nicht allen Leuten, die sich im KuZeB aufhielten, sei klar, was die Werte dieses Ortes seien. Dass es sich um ein politisches Projekt handle, einen selbstorganisierten Raum. Der Text ist so klein geschrieben, dass ich schnell aufgebe und mir stattdessen die politischen Sticker und Veranstaltungsflyer auf der Bar anschaue. Dabei finde ich noch ein Schächtelchen Ohropax. Ich setze mich auf einen der seltenen Barhocker und beobachte ein Töggelispiel. Ein Spieler hält immer wieder die Stange des Spielers gegenüber fest, sodass dieser seine Torchancen nicht wahrnehmen kann, und lacht. Sein Mitspieler schiebt seine Hand immer wieder beiseite, überredet ihn mit leiser Stimme, damit aufzuhören.
Als ich am Obertor auf die Bahn warte, läuft weiterhin Punk. Aus einer Boombox. Neben mir steht Sicherheitspersonal, auf dessen Westen «Protecta» steht und das unter Sicherheit etwas ganz anderes versteht als ich. Meine Hosentaschen sind voll von diesen kleinen Plastikschächtelchen, ich finde meine Kaugummis kaum.
Die Gebäude wurden erstmals 1990 besetzt. Ein Jahr später fand die erste Vollversammlung statt, an der seither jeden Monat diskutiert und entschieden wird, wie die Räume genutzt werden. Das KuZeB ist somit der älteste besetzte Kulturraum der Schweiz. Seit Oktober 1992 überweist der Verein KuZeB der Familie Meyer, die in den Gebäuden einst eine Kleiderfabrik betrieb, monatlich eine kleine Miete. Der Mietvertrag wurde von den Meyers nie unterschrieben. Anfang dieses Jahres kam überraschend die Nachricht, dass die Eigentümer die Gebäude verkaufen wollten. Das KuZeB setzte eine Kampagne auf, um Geld für den Kauf zu sammeln. Ein bisschen ist das der Grund, wieso ich hier bin.
Es ist eiskalt im Gym des KuZeB. Dass man sich im Gym befindet, weiss man nur, wenn man nicht zum ersten Mal hier ist. Im Raum ist eine Auswahl zusammengewürfelter Stühle aufgestellt, die nach und nach alle besetzt werden. Jumbo-Matten lehnen hinter den Tischen, auf denen sich brandneuer KuZeB-Merch stapelt: T-Shirts, Fahnen, Jutebeutel, Sticker. In einem aufwendigen Manöver klettere ich über einen Stuhl und stolpere fast. Hinter mir steht eine Person auf und stellt den Stuhl wieder an seinen vorgesehenen Platz. «Ah, aufstellen hätte man den auch können, hä», sage ich nach hinten, wie immer überrascht, wie nett Menschen ausserhalb der Zürcher Politszene zueinander sind, und setze mich mit rotem Kopf.
Vor uns auf einer kleinen Bühne sitzen sieben Leute vor einer Leinwand. Sie sind Teil der Kampagne, ihre genauen Rollen oder Namen nennen sie nicht.
Als Erstes wird in perfektem Bühnendeutsch gefragt, ob Schweizerdeutsch okay sei. Scheint so. Es folgen einige allgemeine Informationen, zum Beispiel, dass Medien anwesend seien und sich Leute doch direkt beim Medienteam der Kampagne melden sollen, damit es nicht zu ungewollten Interviews komme. Die Aufforderung, Sackgeld am Merch-Stand liegen zu lassen. Und die Bitte, zum Rauchen nach draussen zu gehen. Dann entschuldigt sich jemand für die schwierigen Lichtverhältnisse, die die «souveräne Präsentation» auf der Leinwand unleserlich machen. Eine Mischung aus Professionalität und Improvisation, wie die nachfolgende Pressekonferenz.

Die Aktivist:innen benennen die Widersprüche, die sich durch einen Kauf ergeben: «Boden wie Luft und Wasser lässt sich nicht vermehren und sollte keine Ware sein.» Sie und viele vor ihnen haben über die letzten dreissig Jahre eine Selbstverwaltungsstruktur aufgebaut, die Infrastruktur instand gehalten, ausgebessert, ausdiskutiert. In den Diskussionen über den Kauf einigten sie sich auf einige «erhaltenswerte Grundsätze». Dazu gehört, dass der Raum unkommerziell genutzt wird. Die Eintrittspreise sind tief, Getränke werden zum Einkaufspreis angeboten. Es gibt keinen Konsumzwang, keine staatlichen Gelder, keine Polizei im Haus und keine Lohnarbeit. Stattdessen soll die Arbeit, die anfällt, gerecht verteilt werden. Diese Grundsätze sind gleichzeitig die Motivation und die Bedingung, dass das KuZeB erhalten wird.
Ich treffe Dave wieder, der mir eine Führung durchs Haus anbietet. Zuerst machen wir einen Boxenstopp bei der Toilette, weil ich mir auch nach mehreren Besuchen den Weg dahin nicht merken kann. Dann machen wir uns auf den Weg durch die drei aneinander klebenden Gebäude. Wir gehen Treppen hoch, um scharfe Ecken und durch winzige Türen. Wir blättern uns durchs Archiv im Dachstock, sehen ein paar Kindern beim Transpimalen im Nähatelier zu, kommentieren den Teppich mit Gipfelimuster im Bandraum, ich staune über die gut ausgerüstete Holz- und Metallwerkstatt, die aufgeräumten Lagerräume im Keller. So viel Arbeit, denke ich, die hier reingesteckt wurde. «So viel», sagt Dave, «das es noch zu tun gäbe.» Er fragt sich, wie man die Räume noch besser nutzen, wie die Leute motivieren könnte, das Werkzeug an den richtigen Ort zurückzulegen. Was man alles noch entsorgen könnte. Ich sehe, wie viel hier schon passiert sein muss. Und ahne, was alles noch möglich wäre.
Ich mache einen dummen Spruch darüber, dass im hauseigenen Kino wohl jede Couch steht, die je jemand auf den Strassen von Bremgarten entsorgen wollte, und Dave meint, ich hätte noch gar nichts gesehen. Er führt mich zum Gratisladen, wo noch brauchbare Möbel gelagert werden, die jederzeit mitgenommen werden können. Zwischen Sesseln, Esstischen, Stühlen und Bettgestellen schauen wir uns eine alte Presse der Kleiderfabrik an. Wie die wohl hier reingekommen ist? Das Fotolabor wirkt etwas ausgestorben. Es gibt mehrere solche Räume, die Platz für Neues bieten würden. «Wenn jemand mit einer guten Idee an eine Vollversammlung kommt, dann schauen wir, wo wir das unterbringen können.»
Erhaltenswert ist das alles – aber lässt sich in Geld ausdrücken, wie viel Wert es hat?
Die jetzigen Eigentümer kommen auf vier Millionen Franken. Die Verhandlungen laufen, und die Aktivist:innen gehen von einem Betrag zwischen dreieinhalb und vier Millionen Franken aus. An der Pressekonferenz ist mir der Optimismus aufgefallen. Vier Millionen Franken bis Ende August. Am Merch-Stand treffe ich einen Bekannten. «Wieso seid ihr eigentlich so zuversichtlich?», frage ich ihn. Er grinst. «Weil wir einen grossen Spender haben.»
Mit dem Grossspender gilt die Abmachung: Wenn die Kampagne eine halbe Million auftreibt, bezahlt er den Rest. Später wird mir versichert, es sei jetzt schon nicht Blutgeld. Und immerhin sei man durch Spenden im Vergleich zu Darlehen nicht abhängig. Die Gerüchteküche brodelt trotzdem. Auch in meinem Umfeld in Zürich schwirren Theorien umher, wer das sein könnte und woher jemand im Besetzer:innenumfeld so viel Geld haben könnte. Eigentlich auch egal, weil klar ist: Niemand verdient einen Grossteil von vier Millionen Franken mit Arbeit. Zumindest nicht mit der eigenen.
Graue Wolken türmen sich über dem Stadtkern von Bremgarten, als ich die Hauptstrasse entlanggehe. Am Hauptplatz steht das KuZeB. Man könnte sagen: thront. An der denkmalgeschützten Fassade hängt ein riesiges Transparent mit dem Logo und der Parole der Kampagne: «KuZeB bleibt. Freiräume statt freiräumen». Ein Gewitter braut sich über dem KuZeB zusammen, und mir fehlt die Kamera, um dieses Symbolbild einzufangen. An der Fassade des Hauses hängt noch das alte Schild der Familie Meyer. Drinnen ist es warm. Eine leichte Brise strömt durch die offenen Fenster. «Ach so, du bist es», sagt Kri, die ich seit Jahren vom Sehen kenne, «ich habe mich schon auf irgendeinen Bürgi gefasst gemacht.»
Christian kocht Kaffee für alle, und Mel hat noch warmes Olivenbrot dabei. Wir reden übers Zuspätkommen oder Überpünktlichsein, über den Stress, wenn man an einen unbekannten Ort gehen muss. Ich erzähle von meinem Besuch des Osterfestivals letztes Wochenende, und Kri sagt, dann hätten sie ja nichts mehr vor mir zu verbergen. Sie entschuldigt sich dann doch, dass nicht aufgeräumt ist. Gestern war «Küche für alle», ein Abendessen, an dem man für einen Fünfliber einen Teller warmes Essen bekommt. Bio und vegan und ausgeglichen, wie Mel präzisiert.
Niemand will sich mit dem Rücken zur Tür setzen, weshalb unser Sofakreis zu einem Sofahalbkreis wird.
Mel sagt, sie entspreche manchmal schon dem Klischee der Person, die sich die Leute vorstellten, wenn sie ans KuZeB dächten. «Die Sozialhilfeempfängerin mit dem Drogenproblem», ergänzt sie und blickt auf den Joint zwischen ihren Fingern. «Der ist übrigens ärztlich verschrieben.» Ich lache, weil das gar nicht mein Bild von ihr ist und mich das Bild von aussen auch nicht besonders interessiert.
Die Menschen, die sich bereit erklärt haben, mir vom KuZeB zu erzählen, sind alle entweder in der Umgebung aufgewachsen oder haben einmal in der Gegend gewohnt. «Ich habe in der Oberstufe aus dem Fenster geschaut und gedacht, dieses Haus sieht mega spannend aus», sagt Kri. «Es hat mich wesentlich mehr interessiert als Chemie.» Sie hat in ihrer Jugend mit Freund:innen lange auf den Sofas rumgehangen oder im Garten Brettspiele gespielt, bis sie sich an den Tresen vorgewagt hat, zu den Leuten, die schon länger im Haus aktiv gewesen waren. Sie hat sich schnell verantwortlich gefühlt, zum Beispiel für die Küche. «Ich habe mir gedacht: Okay, die Küche ist mega am Veroggen, ich räume mal auf. Das war ein einfacher Zugang, weil Küche machen, das können alle.» «Veroggen» ist KuZeB-Slang für «versiffen». Das Wort taucht in unserem Gespräch noch öfter auf, meistens als Motivation, sich zu engagieren.
So merkte Mel, dass der Garten nach der Covid-Zeit zunehmend verwilderte, und fragte an einer Versammlung, ob sich noch jemand um ihn kümmere oder ob sie ihn als Permakultur erhalten solle. «Gewisse Leute würden noch immer sagen, dass wir einen sehr wilden Garten haben, aber er ist eigentlich sehr kultiviert», sagt sie. Sie verbringt viel Zeit in diesem Garten, seit sie keinen eigenen mehr hat, und betont, wie wichtig die ökologische Vielfalt für die Umgebung sei. Es gibt Igel, Holzbienen, diverse andere Wildbienen, Molche im Teich. Im alten Haus leben auch Fledermäuse.
Mel zog vor elf Jahren ins Nachbardorf und kam immer wieder am KuZeB vorbei. Lange traute sie sich nicht zu klingeln. «Zu viele unbekannte Faktoren.» Dann begann sie, in der Tofurei Engel zu arbeiten, einem Genossenschaftsbetrieb im Nachbardorf Widen. Bereits nach ihrem zweiten Arbeitstag sass sie bei einer Feierabendlimonade im KuZeB. Seither verbringt sie viel Zeit damit, aufzuräumen, zu sortieren. «Im Aussen Ordnung schaffen zu können, hilft mir, wenn ich Chaos im Kopf habe.» Einmal im Monat organisiert sie mit Christian ein «Gourmet Dinner». Auch Christian ging in Bremgarten in die Oberstufe, allerdings vor dreissig Jahren. «In meinen Zwanzigern bin ich meistens freitagabends hinein- und hinausgetorkelt.» Inzwischen benutzt er gemeinsam mit seinem Sohn regelmässig die Werkstatt. Sie alle haben Stück für Stück ins Haus reingefunden.
«So viele Dinge auf der Welt, an denen ich nichts ändern kann, machen mich wütend und hilflos», sagt Mel. «Hier kann ich handeln. Ich bin nicht nur ausgeliefert.»
Vor ein paar Wochen hat eine Gruppe Jugendlicher geklingelt und wollte fragen, ob sie den Gym mieten könnten. Das passiere oft, sagt Kri. Ihre Antwort: «Nein, du kannst diesen Raum nicht mieten. Und bitte siez mich nicht.» Mel hat ihnen dann angeboten, eine fixe Zeit abzumachen, zu der sie den Gym benutzen können, und im Gegenzug könnten sie einmal monatlich Harassen stapeln.
«Das politisiert auch, dass man merkt, dass dieser Raum anders funktioniert», meint Kri. «Im KuZeB gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Die Frage ist nicht: Darf man etwas oder nicht?, sondern: Was sind die Konsequenzen meines Verhaltens für andere?»
Junge Menschen sind grundsätzlich nirgends willkommen. Wenn ich an meine eigene Jugend zurückdenke, kommt mir dieses Gefühl hoch, nicht verstanden zu werden. Und deshalb aus Prinzip immer dagegen zu sein. Alles kaputt zu machen. Alles zu klauen, auch wenn es gratis ist. Das KuZeB ist ein Ort, an dem man lernen kann, was man ablehnt, und wo es keinen Sinn ergibt, sich destruktiv zu verhalten. In Kris Worten: «Du kannst hier auch kurz ein Arschloch sein, das ist dein Menschenrecht. Aber du wirst halt darauf angesprochen.»
Ich nehme mir vor, die ganzen Ohrstöpsel wieder zurückzubringen, die ich am Osterfestival eingesteckt habe.
Die Bedeutung des KuZeB für die Umgebung besteht auch darin, dass es eine Alternative sichtbar macht. Das Haus fällt auf. Hier sind viele Leute unterwegs, die nicht den Normen der Gesellschaft entsprechen. Das wird zum Beispiel am Weihnachtsmarkt offensichtlich, an dem die Aktivist:innen jedes Jahr einen Glühweinstand betreiben «Wir machen den frisch auf dem Feuer», erzählt Kri. «Das beeindruckt die Leute. Sie denken: Krass, ihr krampft hier. Das durchbricht ihre Vorstellung, dieses Klischee, dass wir alle rumhängen und unproduktiv sind.»
Das Thema Arbeit kommt im Lauf des Gesprächs immer wieder auf. Wie viel Arbeit in diesem Haus steckt. Wie man die Arbeit aufteilt. Dass man im KuZeB keine Lohnarbeit machen will. «Es ist ganz viel Arbeit und Liebe für die Arbeit», so Kri. Klar ist das ein Gegensatz zum Klischee von Punks und Besetzer:innen. Trotzdem frage ich mich, ob man auch in diesem Raum arbeiten muss, um angesehen zu werden.
Mel benennt einen weiteren Widerspruch: dass sich das KuZeB auch mit dem Verkauf der «Droge Alkohol» finanziert. Das sei eine Grundsatzdiskussion. Wie auch die Frage nach dem Rauchen im Haus. Mel meint: «Es ist wichtig, das immer wieder zu diskutieren und nicht zu sagen: Das ist ungesund, wir machen das nicht mehr. Oder: In der Schweiz ist es verboten, also ist es hier auch verboten.» Kri ergänzt: «Oder auch nicht zu sagen: Das war schon immer so, wir haben schon immer hier drin geraucht.»
Die Grundsätze des KuZeB werden immer wieder diskutiert. «Wenn dieses Haus mit meinen Grundwerten nicht mehr übereinstimmt, ist es auch egal, dass es das KuZeB ist», sagt Kri. «Dann habe ich überall ein Problem. Die Widersprüche bleiben die gleichen, ob es uns gehört oder nicht.»
Das gilt auch beim Geld. Die Kampagne läuft gut. «Wir glauben es selbst fast nicht», sagt Kri. Es gibt diese Person, die einen Grossteil spendet. Es gibt Kulturorganisationen, die Geld lockermachen. Und viele Einzelpersonen, die in der ganzen Schweiz Soliaktionen organisieren. Bereits über 333 000 Franken sind bei Redaktionsschluss beisammen. «Natürlich ist das ein bürgerlicher Weg, der Kauf mit Privatspenden», sagt Kri. «Der einzige Unterschied ist, dass es am Ende keine Privatnutzung, sondern eine kollektive Nutzung geben wird.» Für sie ist klar, dass der Kauf ein Kompromiss wäre. «Man hätte auch sagen können: Wir besetzen das einfach, wir bezahlen sicher nicht. Aber es wäre der weniger realistische Weg, der Weg mit mehr Steinen. Wir nehmen halt den mit weniger.»
Es ist absurd, dass das Auftreiben von vier Millionen Franken der Weg des geringsten Widerstands ist. Aber ich weiss, wie wir alle, wie viel Geld da ist, in der Schweiz, aber auch im Umfeld der linken Szene.
Und was würde sich nun konkret verändern mit dem Kauf?
«Verdammt viel Büroarbeit», sagt Kri. Eine Stiftung und ein Förderverein mussten gegründet werden. Es braucht eine Gebäudeversicherung. Und dazu kommen die Machtfragen, das Potenzial für neue Hierarchien.
Es hat auch etwas Hoffnungsvolles, wie sie über die Kampagne sprechen. Es fühlt sich gut an, Geld zusammenzulegen, um einen Raum erhalten zu können. Das ist nicht dasselbe Gefühl, wie wenn man Geld für Repressionskosten spendet und jeder Rappen in die Staatskasse fliesst. «Klar, das motiviert», sagt Christian, «du hast das Gefühl, du bekommst was fürs Geld, das du gibst.» Ausserdem eröffnet ein Kauf auch eine längerfristige Perspektive. Umbauten, Sanierungen, ökologische Verbesserungen der Infrastruktur würden sich plötzlich lohnen. «Man muss niemandem die Hütte vergolden, der sie einem wieder wegnimmt», sagt Kri, «aber für sich selbst, ja klar», und meint damit eben nicht sich selbst, sondern das Kollektiv.
Ich frage nochmals nach dem Widerspruch, jemandem vier Millionen Franken zu geben, um etwas zu kaufen, das man bereits seit dreissig Jahren besitzt. Kri sieht es pragmatisch: «Es ist ein unfassbarer Betrag dafür, dass wir seit dreissig Jahren Miete bezahlen für Räume, die man sonst niemandem hätte vermieten können. Aber sie wollen diesen Stutz, und wir treiben ihn irgendwie auf. Ich muss das einfach aushalten und hoffen, dass das am Ende nicht für nichts war.»
Ich verabschiede mich und renne durch den strömenden Regen Richtung Bahnhof. Vielleicht ist das Gewitter doch kein gutes Symbolbild. Vielleicht ist es einfach ein neues Aushandeln, das auf das KuZeB zukommt. Ein Aushalten von Widersprüchen, ein neuer pragmatischer Weg, mit dem System klarzukommen und doch alles anders zu machen.
Annegret Saladin studiert literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie empfiehlt allen, die Geld (egal aus welcher Quelle) übrig haben, dies unter kuzeb-bleibt.ch zu spenden.