Single, selbst und bestimmt
Du bist eine Frau, dreissig Jahre alt und siehst verdammt gut aus. Du bist Single und eigentlich auch sehr zufrieden damit. Du bist eine liebevolle Freundin, und du kümmerst dich um deine Familie. Auch in deinem beruflichen Leben läuft es gut. Und trotzdem: Deine Familie, dein Umfeld, die Gesellschaft hinterfragen konstant und ungefragt dein Leben.
Deine Eltern machen sich stets Sorgen um dich, und bei Familientreffen wird dein Liebesleben einer semi-öffentlichen Debatte ausgesetzt. Deine Tanten, die Freundinnen deiner Mutter, die Nachbarin, alle fühlen sich dazu bemächtigt, ihren Kommentar abzugeben. Energisch entwerfen sie Pläne, um dich zu heilen, als wäre Singlesein eine Krankheit. Irgendwann drohen sie dir dann damit, jemanden aus der Heimat zu holen.
Du hingegen bist gerade in eine Dreizimmerwohnung gezogen. «Was machst du nur in dieser grossen Wohnung? Fühlst du dich da nicht einsam?», fragen sie dich. «Nein, denn ich bin gerne mit mir selbst», möchtest du antworten, aber schweigst aus Anstand. Deine Grenzen werden stets überschritten, und wenn du sie verteidigen möchtest, giltst du als respektlos. Gleichzeitig erwartet deine Familie mehr Präsenz von dir als von deinen Geschwistern, und sie wälzt auch mehr Verantwortung auf dich ab. Du bist ja schliesslich Single und hast folglich kein echtes Leben mit echten Aufgaben.
In ihren Augen fehlt dir etwas Essenzielles: ein Mann. Als würden sie dir sagen wollen: Ganz komplett kannst du nicht sein, so ganz ohne Mann.
Was die Leute also beunruhigt, ist die freie, selbstbestimmte Frau. Frauen, die ausserhalb der gesellschaftlichen Erwartung leben. Frauen, die sich selbst genügen und ihr Leben nicht von der Suche nach einem Mann abhängig machen. Frauen, die auch ausserhalb des Kinderkriegens ein Leben für sich selbst definieren. Das passt irgendwie immer noch nicht ins Bild. Noch heute führt der Vater seine Tochter zum Altar und übergibt sie dem Mann. Aber wir sind kein Männerbesitz mehr. Wenn wir unser Leben nach eigenen Regeln leben, werden wir als Gefahr wahrgenommen, weil wir beweisen, dass es als Frau möglich ist, ein freies Leben zu führen. Ein Leben, in dem wir uns als Menschen - und nicht als Partnerin, Ehefrau oder Mutter definieren.
An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text unserer Kolumnistin Migmar Dolma. Sie ist Gewerkschafterin, Vorstandsmitglied des postmigrantischen Thinktanks Institut Neue Schweiz und aktiv in der tibetischen Unabhängigkeitsbewegung. Dolma ist 32 Jahre alt und lebt in Zürich.