Klima und Demokratie: «Mein Vertrauen ist erschüttert»
Angesichts der Demokratie- und Klimakrise allein auf staatliches Handeln zu hoffen, sei sinnlos, sagt der Wiener Künstler Oliver Ressler – und erklärt, warum eine Kamera vor Polizeigewalt schützen kann.


WOZ: Oliver Ressler, in Ihrer Basler Ausstellung «Scenes from the Invention of Democracy» zeigen Sie auch die Videoinstallation «What Is Democracy?», die bereits vor über fünfzehn Jahren entstand. Warum?
Oliver Ressler: In den letzten Jahren habe ich primär zu Klimagerechtigkeitsbewegungen und zum Klimakollaps gearbeitet. Nun wollte ich – auf Einladung des Museums Tinguely – einige dieser Arbeiten mit der älteren Videoinstallation «What Is Democracy», für die ich damals auch zwei Schweizer Protagonist:innen interviewte, in Verbindung setzen. Inhaltlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Reduktion von Demokratie und der Frage, warum es mit Dekarbonisierung und Klimagerechtigkeit nicht wirklich vorwärtsgeht.
WOZ: Daran ist also der Zustand der Demokratie schuld?
Oliver Ressler: Das Projekt «What Is Democracy?» zeigt auf, was die Demokratie entgegen ihrem Versprechen nicht leistet und was daran kritisiert werden kann. Das hat sich bis heute nicht geändert. Aber der Kontext, in dem diese Diskussion stattfindet, hat sich stark verschoben.

WOZ: Inwiefern?
Oliver Ressler: 2009 entwickelte ich diese Arbeit aus einer Situation heraus, in der das System der liberalen Demokratien zumindest an den Orten, wo es sie gab, relativ gefestigt schien. Heute erscheint mir das nicht mehr so. Man könnte die Kritik, die in der Installation geäussert wird, sogar noch verschärfen, weil auch die Widersprüche zugenommen haben: Der Graben zwischen den Reichsten und den Ärmsten ist grösser geworden. Diese ökonomische Ungleichheit unterminiert auch die demokratischen Mechanismen.
WOZ: Sie setzen sich in Ihren Arbeiten mit sehr komplexen Themen auseinander: Klimagerechtigkeit, Ökonomie, soziale Ungerechtigkeit. Wie orientieren Sie sich dabei?
Oliver Ressler: Diese Themen lassen sich weder in einer künstlerischen Arbeit noch einem Buch oder einer fünftägigen Konferenz umfassend behandeln. Meine Arbeit stellt fokussierte Blickwinkel aus der Perspektive von Aktivistinnen und Aktivisten her. Mein Vertrauen, dass die Veränderung direkt von Staaten oder transnationalen Organisationen ausgeht, ist erschüttert. Aus meiner Sicht können nur kollektive Aktivitäten den notwendigen Druck ausüben, der etwa zur Abwicklung von klimazerstörerischen Infrastrukturen führt.
WOZ: Wie stehen Sie persönlich zu Protestbewegungen und zivilem Ungehorsam?
Oliver Ressler: Rein analytisch muss man sagen, dass jene Aktivitäten, die sich ausschliesslich in einem legalen Rahmen bewegen, in den letzten Jahren nicht genug Druck aufbauen konnten.
WOZ: Haben Sie Erfahrungen mit politischer Zensur gemacht?
Oliver Ressler: Ich erfahre immer wieder auch unangenehme Dinge, wie 2022, als mein Youtube-Kanal geschlossen wurde, ohne dass Youtube genau offengelegt hätte, was die Hintergründe waren. Das wahrscheinlichste Szenario: Jemand hatte wohl darauf gedrängt, dass manche meiner Arbeiten nicht frei zirkulieren sollten.
WOZ: Haben Sie je herausgefunden, wer das war?
Oliver Ressler: Nein. Aber nachdem es dann gelungen war, Sichtbarkeit herzustellen, als erste Medien begannen, darüber zu schreiben, und Journalisten bei Youtube in Österreich und in Kalifornien nachfragten, wurde die Blockade relativ bald wieder aufgehoben. Ohne diese Öffentlichkeit wäre mein Kanal bis heute stillgelegt.
WOZ: Viele Ihrer Arbeiten zeigen ja auch sehr spontane Aktionen, bei denen Sie direkt in die Geschehnisse involviert sind. Wurden Sie je bei Ihrer Arbeit behindert?
Oliver Ressler: Eine Reihe meiner Projekte entstand im Umfeld von Aktionen des zivilen Ungehorsams. Ich habe mich schon öfter spontan entschieden, ohne Produktionsbudget in den Zug zu steigen und irgendwohin zu fahren, sei es in die Tschechische Republik oder nach Amsterdam, Venedig oder London, um einen Protest mit der Kamera zu begleiten. Aktivist:innen sehen das meist positiv, weil zumindest in Europa die Kamera oft eine Form von Schutz bedeuten kann und Polizeigewalt verhindert, weil Polizist:innen bei der Ausübung von Gewalt nicht gefilmt werden wollen.
WOZ: Deklarieren Sie sich in diesen Situationen als Künstler, als Dokumentarfilmer oder als Journalist?
Oliver Ressler: Ich habe verschiedene Identitäten und wechsle meine Rolle je nachdem, was in einer spezifischen Situation vorteilhaft ist. Ich habe meine gelbe Jacke mit der Presseaufschrift bei Aktionen des zivilen Ungehorsams immer dabei, aber ich trage sie nicht immer.
WOZ: Neben Fotos, Installationen und Projekten im Aussenraum sind Filme Ihr häufigstes Medium. Auf Basis von selbstaufgenommenem dokumentarischem Material generieren Sie Kunst. Worin unterscheidet sich Ihre Praxis vom Dokumentarfilm?
Oliver Ressler: Die Form ist nicht das primäre Erkennungsmerkmal meiner künstlerischen Arbeit, sondern eher die inhaltliche Auseinandersetzung mit Themen; an manchen bleibe ich Jahrzehnte dran. Ich arbeite oft aus dem Blickwinkel von sozialen Bewegungen. Das Endprodukt entsteht im Editingprozess und kann um poetische Texte oder Animationen erweitert werden.
WOZ: Bei der neusten Arbeit, «We Are the Forest Enclosed by the Wall», bei der es um die Erweiterung der Porsche-Teststrecke in Apulien geht, gegen die sich Widerstand formierte, sind die Protagonisten verpixelt. Ist das eine künstlerische Entscheidung oder eine politische Schutzmassnahme?
Oliver Ressler: Die Regierung von Giorgia Meloni hat die sogenannten Anti-Gandhi-Gesetze verabschiedet, die eine weitreichende Kriminalisierung von Aktionen des zivilen Ungehorsams ermöglichen. Niemand war besonders erpicht darauf, mit vollem Namen und dem Gesicht über die Widerstände gegen die Abholzung des Primärwaldes zu sprechen. Ich durfte die Beteiligten vor der Kamera als Sprechende aufnehmen, aber ich musste sie im Film unkenntlich machen.
WOZ: War das früher anders?
Oliver Ressler: Diese Notwendigkeit zur Anonymisierung gab es früher vor allem ausserhalb Europas, aber in den letzten Jahren vermehrt auch in Europa und anderen westlichen Staaten. Leute sagen mir: Ja, ich mache gerne mit, aber du musst mich wegen der Repression anonym halten. So auch im Film «Not Sinking, Swarming», der ebenfalls in der Ausstellung im Museum Tinguely zu sehen ist. Er zeigt eine Versammlung zur Vorbereitung einer Aktion des zivilen Ungehorsams im Kontext des Klimaaktivismus in Spanien.
WOZ: Was ist Ihre Prognose für die Zukunft der Demokratie?
Oliver Ressler: Ich bin 1970 geboren, da gab es ungefähr 35 liberale Demokratien. 2015 waren es 75 oder 80. Inzwischen sind es wieder weniger. Viele Staaten, die üblicherweise noch als Demokratien bezeichnet werden, etwa die USA, Indien, die Türkei oder Israel, werden immer autoritärer. 2007 interviewte ich für «What Is Democracy?» den russischen Politikwissenschaftler Boris Kagarlizki in Moskau, und ich fragte ihn, ob er glaube, dass sich Russland in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren in die Richtung der europäischen Demokratien entwickeln würde. Darauf antwortete er: Nein, das denke er nicht, aber er glaube, dass sich die europäischen Demokratien in die Richtung von dem, wie Russland zu jener Zeit war, entwickeln würden. Damals hoffte ich, dass dies nicht eintreffen würde, aber inzwischen bewahrheitet sich Kagarlizkis Einschätzung leider zunehmend. Und Russland ist seit 2007 noch autoritärer geworden. Die russischen Künstler:innen, mit denen ich befreundet bin, sind geflüchtet. Und Boris Kagarlizki sitzt seit vielen Monaten im Gefängnis.
Ausstellung: Flackernde Flaggen
Wenn Umweltminister Albert Rösti trotz des an der Urne beschlossenen Atomausstiegs AKW-Pläne schmiedet oder Donald Trump grünes Licht für eine Bergbaustrasse durch eine geschützte Landschaft in Alaska gibt: Sind das noch demokratische Prozesse? Einfach weil die beiden gewählte Politiker sind? Um ähnlich knifflige Fragen kümmert sich die neue Ausstellung des Wiener Künstlers Oliver Ressler im Basler Museum Tinguely. Ihn interessieren abstrakte theoretische Probleme – wer repräsentiert wen in der repräsentativen Demokratie? – ebenso wie lokale Aktivist:innen, die weltweit Widerstand von unten leisten.
In einer älteren Arbeit geht Ressler demokratiepolitische Fragen kopfvoran an, indem er mit radikaler Symbolik flatternde Nationalflaggen abfackeln lässt, während Aktivisten und Politikexpertinnen die Titelfrage der Videoinstallation, «Was ist Demokratie?», kritisch einkreisen. In den letzten Jahren hat er vermehrt Schnittstellen zwischen Umweltaktivismus und Demokratie beleuchtet. Das neuste Video, das in Basel zu sehen ist, erzählt etwa vom Kampf gegen eine Porsche-Teststrecke in Apulien, die mitten durch einen jahrhundertealten Wald führen sollte – für einmal sogar mit Happy End: Im März gab Porsche das Projekt auf. Auch aus einer anderen Arbeit kann man einen hoffnungsvollen Merksatz mitnehmen: Die Nacht ist stets am dunkelsten, bevor die Morgendämmerung anbricht.
Ressler bewegt sich behände zwischen Recherche, Journalismus und Kunst, wobei Kunst bei ihm auch aus einer Not heraus entstehen kann, etwa wenn er seine Akteur:innen unkenntlich machen muss, weil sie sich vor Repressionen fürchten, und er ihre Silhouetten dann mit Bildern ihrer Anliegen füllt. Dass in Basel in einem Hinterzimmer zu seinen Videos Jean Tinguelys permanent installierte «Mengele – Totentanz»-Maschinen schrill quietschen und unheimliche Schatten werfen, eröffnet einen vielsagenden Echoraum für Resslers Demokratieerkundungen.
Oliver Ressler: «Scenes from the Invention of Democracy». Basel, Museum Tinguely, bis 1. März 2026. www.tinguely.ch