Was tun wir?: Die Dringlichkeit des «Artivisten»

Nr. 29 –

Dorian Sari will eine Diskussion über die Rolle der Kunst in der Klimakrise anregen.

Foto von Dorian Sari
Der in Izmir geborene Künstler will mit seinem Werk aufrütteln. Foto: Eric Bergoend, Courtesy Wilde Gallery

Zu Beginn des Films sitzt der Künstler Dorian Sari mit drei Klimaaktivist:innen in einer Reihe, alle mit einer Trillerpfeife im Mund. Das laute Pfeifen geht über in ein Still, das lautet «Silence = Death». Dann gibt Sari das Statement ab, dass er als «Artivist» über die Zukunft des Planeten tief beunruhigt sei, dass er ein Gefühl von «Dringlichkeit» und von «Verantwortung» angesichts des Klimawandels habe.

Was dann folgt, ist eine einstündige Diskussion zwischen ihm, den drei Aktivist:innen, Elena Filipovic, der damaligen Leiterin der Kunsthalle Basel, dem früheren Direktor des Kunstmuseums, Josef Helfenstein, Beat Jans, damals noch Regierungsratspräsident in Basel-Stadt, und dem Kunstkritiker Théo-Mario Coppola. Die Ausgangslage dieser Diskussion, die in der grossen, leeren Halle der Kunsthalle aufgenommen wurde: Museen sind «Orte sozialer Interaktion» und tragen insofern eine Verantwortung angesichts der fossilen Klimakrise.

Emissionen radikal senken

Die Museen aber, darauf verweisen die Aktivist:innen Anatol Bosshard, Helma Pöppel und Benjamin Rytz vom Klimastreik Schweiz, kämen dieser Verantwortung nicht nach. Weil sie als Institutionen viel zu wenig tun, um ihre Emissionen radikal zu senken, weil sie die Klimakrise in ihren Ausstellungen kaum oder gar nicht zum Thema machen.

Die Reaktionen von Jans, Filipovic und Helfenstein gingen in die Richtung: «Wir haben grosses Verständnis für das Anliegen, aber …» Verständnis, weil die Klimakrise «uns alle angeht». «Aber», weil es nun mal für Institutionen wie Museen anspruchsvoll sei, ihre CO₂-Bilanz zu verbessern, da das Klimaproblem an sich komplex sei (Jans). Man denke nur ans durchaus notwendige Einfliegen internationaler Kunstwerke (Filipovic), da mit mehr lokal ausgerichteten Ausstellungen, die weniger Transportwege benötigten, das Publikum verloren ginge (Helfenstein). Die Forderung von Dorian Sari und den Klimaaktivist:innen, dass der Kanton Basel-Stadt eine Stelle einrichten soll, die Kunstschaffenden und Institutionen beratend in Sachen Klima zur Seite stehen würde, wurde in der Diskussion immerhin wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Der Film «What Are We Doing?» versteht sich als ein Manifest, als ein Weckruf an Künstler:innen, an Institutionen, an die Politik. Denn auch die Kunst und ihre Betriebe, einschliesslich Grossveranstaltungen wie der Art Basel, müssen ihren Beitrag dazu leisten, dass die Temperaturen des Planeten nicht mehr steigen als die 1,5 Grad Celsius, die als Grenze für das Eintreten irreversibler Kipppunkte wissenschaftlich anerkannt sind. Im Kanton Basel-Stadt steht das Ziel «netto null» in der Verfassung, zu erreichen bis im Jahr 2037.

Nach der Vorführung des Films im berstend vollen Stadtkino im April stellte sich heraus, dass weder Bund noch Kanton über eine Bilanz zur Klimawirkung des Kunstbetriebs verfügen. Schätzungen gehen davon aus, dass der stark globalisierte Kunstbetrieb weltweit rund siebzig Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr produziert. Carole Haensler, Präsidentin des Verbands der Museen der Schweiz, machte in der Diskussion auch klar, dass die Schweiz beim Thema «Klima und Kunst» dem europäischen Umland etwa zehn Jahre hinterherhinke.

Der deutsche Museumsbund etwa hat einen Leitfaden «Klimaschutz im Museum» erarbeitet, der klare Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft und zum Energiemanagement macht. In Frankreich erliess das Kulturministerium unter Rachida Dati einen «Guide d’orientation et d’inspiration» für die ökologische Transition im Kulturbetrieb. In Grossbritannien einigten sich die führenden Museen 2023 darauf, Klima und Biodiversität zuoberst auf die Agenda zu setzen, und warfen die Frage auf, ob sich Museen weiterhin von der fossilen Industrie sponsern lassen sollen. Der internationale Museumsrat, ICOM, hat mit der Publikation «Sharing Is Caring» nicht nur nach Antworten auf die Rolle der Museen in der fossilen Klimakrise gesucht. Er thematisierte auch, was mit sensiblen Sammlungen passiert, wenn Fluten, Feuersbrünste, Hitzewellen in Zukunft zunehmen.

Die künstlerische Arbeit «Ayayayay» von Dorian Sari
Post-Truth und Gewalt? Die Arbeit «Ayayayay» von Dorian Sari. Foto: Jonas Hänggi, Kunstmuseum Basel

Der Künstler als Provokateur

Dorian Sari weiss, dass es in der Schweiz immer etwas langsamer vorangeht. Beim Treffen in seinem Atelier ist er gerade daran, eine skulpturale Installation für die diesjährige Art Basel fertigzustellen, Sockel und Rahmen aus lokalen Hölzern, die Leinwände mit aufwendig gemischten Naturfarben bemalt. Dorian Sari, 1989 in Izmir geboren, Träger unter anderem des Swiss Art Award und des Manor-Kunstpreises, arbeitet mit unterschiedlichsten Materialien und Techniken: hier ein Kleinsttagebuch aus Lehmplättchen, da eine brutalistische Installation von übergrossen Panzern aus schwarzen Matratzen oder das Video eines Mannes, der mit erhobenen Händen und einer Pistole im Rücken durch die Nacht geht.

Er verstehe seine Kunst als eine Form von Aktivismus, sagt er, «sei es nun bei Migrationsthemen, bei der Frage, was Verrücktheit in der heutigen Gesellschaft heisst, oder wie Post-Truth und Gewalt zusammenhängen». Bei alledem scheue er die Provokation nicht. Schon als Jugendlicher sei er in Frauenkleidern, mit gefärbten Haaren und Handtäschchen durch die Strassen von Izmir spaziert, nur um die homophoben Nachbarn zu provozieren. Seine Kindheit habe er im Gemischtwarenladen seiner Grosseltern verbracht und dort gelernt, auf alle Menschen zuzugehen, immer direkt. Künstler sei er geworden, weil er in diesem Metier «keine Kompromisse eingehen» müsse. Und so kommt in seinen Werken Verletzlichkeit ebenso wie Zorn und auch Nachdenklichkeit zum Ausdruck.

Auf das Thema Klima ist er gekommen, als die ersten Aktivist:innen Werke in Museen mit Tomatenpüree bewarfen und sich an Bilder klebten. Warum die Kunst?, habe er sich damals gefragt – und dann damit begonnen, sich mit seiner eigenen «climate anxiety» auseinanderzusetzen, habe dabei entdeckt, wie gross diese sei und wie sie ihn immer mehr eingenommen habe.

Ihm sei damals aufgefallen, dass der Kunstbetrieb sich zwar weltweit mit Diversität oder mit Genderthemen auseinandergesetzt habe, aber noch viel zu wenig mit der Klimafrage. Dabei habe er auch begriffen, wie sehr «die Schädigung von Klima und Umwelt, Diskriminierung, Rassismus und Homophobie zusammenhängen, wie sie alle Ausdruck desselben Systems» seien. Er begann zu recherchieren, las sich durch die Literatur zum Klima, dann traf er sich mit den Aktivist:innen vom Klimastreik. Und diese, sagt er, «haben mir die Augen geöffnet».

Als Künstler sei seine Botschaft, dass «die fossile Klimakrise die Kultur etwas angeht». Dorian Sari will aufrütteln. Er weiss aber auch, dass er sein Ziel nur erreichen kann, wenn er «möglichst viele Menschen hinter der Idee versammeln kann: Künstler:innen, Museumsdirektor:innen, Politiker:innen, Bürger:innen, Sammler:innen». Um das zu erreichen, setzt er auf seine künstlerische Freiheit, auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse und nicht zuletzt auf seine direkte, aber immer zugängliche Art.

Sein Film wird jetzt an verschiedenen Orten in der Schweiz gezeigt. Der Verband der Schweizer Museen hat Sari zu einem Vortrag an der Jahresversammlung eingeladen. Zu Hause, in Basel, erhält er Unterstützung aus dem Grossen Rat. Dort ist ein Vorstoss von Grossrat Béla Bartha, Mitglied der Grünen, hängig, der vom Regierungsrat wissen will, «wie klimaneutrales Handeln im Kulturbetrieb» verbindlich festgelegt werden kann.

«What Are We Doing?» ist am 24. August 2024 in der Kaserne Basel zu sehen: kaserne-basel.ch. Online ist der Film verfügbar auf: doriansari.com.