Das Linkenbashing: Wir bekennen uns schuldig

Nr. 51 –

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Besucher:innen einer Achterbahn hängen kopfüber im Wagen
Foto: Joko, Imago

Es ist ja nicht so, dass der Kulturkampf erst gestern begonnen hätte. Das Wort selbst stammt aus dem 19. Jahrhundert, und gerade dieser Staat ist eine direkte Folge davon: Die Schweiz entstand aus einem Bürgerkrieg zwischen katholisch-konservativen und fortschrittlichen, mehrheitlich protestantischen Kräften. Und es ist ja auch nicht so, dass der Kulturkampf im 20. Jahrhundert verschwunden gewesen wäre: Im Kalten Krieg kehrte er in der Gestalt des Antikommunismus zurück – mochten die damaligen Warnungen vor der linken Subversion auch masslos übertrieben gewesen sein, so stabilisierten sie doch die bürgerliche Vorherrschaft. Kulturkämpfe, das lehrt die Geschichte, erzählen mehr über jene, die sie führen, als über jene, die darin verhandelt werden.

Das gilt auch für den Kulturkampf der Gegenwart, in dem sich das Linkenbashing zu einem eigenen publizistischen Genre entwickelt hat. Praktisch täglich war auch 2025 in einem Schweizer Medium ein Beitrag zu lesen, in dem «die Linke» als homogene Gruppierung erschien, die sich zwar nicht mehr als kommunistisch, aber zumindest als «woke» versteht – was auch immer das bedeuten mag. Sie richtet sich in den Städten angeblich ihr Paradies ein, arbeitet Teilzeit, fährt Lastenvelo und isst vegetarisch. Sie glüht vor missionarischem Eifer, flüchtet sich aber beim kleinsten Widerspruch in die eigenen Safe Spaces. Der Umstand, dass sich wohl kaum eine links denkende Person selbst als woke definieren würde, zeigt: Wokeness ist kein Programm der Linken, es ist eine Karikatur über sie. Ein Kampfbegriff von rechts, um den politischen Gegner als schwach und lächerlich erscheinen zu lassen.

So weit, so gedanklich dürftig, doch nahm der Kulturkampf in diesem Jahr eine besondere Wendung. Die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» hievte die Frage aufs Titelblatt, ob am Ende nicht etwa die Linke am Aufstieg der autoritären Rechten weltweit schuld sei. Und beantwortete die Frage in einem Beitrag wenig überraschend zustimmend: Der Rechtstrend hat demnach nichts mit kapitalistischen Verwerfungen, autoritären Sehnsüchten oder schlicht mit Rassismus zu tun, sondern einzig damit, dass die Linke die neue Elite sei und auf ihrem Weg dazu die sogenannte einfache Bevölkerung im Stich gelassen habe, weshalb diese ja gar nicht mehr anders könne, als aus Notwehr rechtspopulistisch zu wählen. Man möchte über solch absurde Thesen lachen, wäre die Lage nicht so ernst: Die Einstufung der Antifa als Terrororganisation durch US-Präsident Donald Trump im September zeigt, wie das Linkenbashing in Repression umschlägt.

Als Folge der Dauerkritik – das liess sich 2025 auch in der Schweiz beobachten – bildet sich innerhalb des linken Lagers zunehmend eine Wagenburgmentalität heraus. Dringliche Diskussionen, beispielsweise über unterschiedliche Positionen und Deutungen im Nahostkonflikt, waren in diesem Jahr untereinander kaum mehr differenziert zu führen. Und wegen der löblichen Zurückhaltung, um Verbündete zu schonen, blieb häufig auch die Manöverkritik nach Abstimmungen auf der Strecke, etwa zur inhaltlich richtigen, aber konzeptionell eher schwachen und damit leicht angreifbaren Juso-Erbschaftssteuer-Initiative.

Auch innerlinke Debatten sind allzu oft vom Algorithmus bestimmt: Entweder du likst mich, oder du bist gegen mich. Dabei wäre solidarische Selbstkritik das wirksamste Mittel gegen den Kulturkampf.