Historische Schelte fürs Kunstmuseum Luzern
Man sass eng beieinander im dicht bestuhlten Ausstellungssaal, links gleich mehrere Picassos, an der rechten Wand Cézanne und einige Braques. Dass fast jede Person, die den Raum betrat, einen unüberhörbaren Piepston auslöste, wirkt im Nachhinein wie ein klares Warnsignal.
In Luzern finden gerade die Schweizerischen Geschichtstage statt, am Mittwochabend trafen sich die Kongressteilnehmer:innen zum Spezialpodium im Kunstmuseum. Thema: «Das Unsichtbare im Museum: Luzern und der Kunstmarkt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs». Das ständige Piepsen war der Tatsache geschuldet, dass die Historiker:innen den kostbaren Gemälden immer wieder zu nahe kamen und einen Alarm auslösten.
Auch auf dem hochkarätig besetzten Podium wurde rasch klar, dass Historiker:innen sich der Kunst anders nähern als Kunstsachverständige. Kompetent moderiert vom Luzerner Geschichtsprofessor Valentin Groebner, trafen Erich Keller (freier Historiker und Autor von «Das kontaminierte Museum») und Raphael Gross (Präsident Deutsches Historisches Museum Berlin) auf die Sammlungskuratorin Alexandra Blättler und die Direktorin des Kunstmuseums Luzern Fanni Fetzer. Letztere hatte ein paar Tage zuvor ihre grosse Sommerausstellung eröffnet, unter dem etwas sperrigen Titel «Kandinsky, Picasso, Miró et al. zurück in Luzern». Die Schau soll gemäss Ankündigung die Rekonstruktion einer legendären Ausstellung im 1933 eröffneten Kunstmuseum Luzern sein, die 1935 knapp hundert Meisterwerke der Avantgarde zusammenführte. Damals landeten die meisten Gemälde direkt aus den Künstlerateliers an den Museumswänden. Viele der künstlerischen Positionen waren da in NS-Deutschland bereits als «entartet» diffamiert.
Raphael Gross wie auch Erich Keller verloren nicht viel Zeit, um die Ausstellung als Kunstschau zu würdigen, sondern schritten umgehend zur Kritik an ihrer zeitgeschichtlichen Einbettung. Beide Historiker befanden, dass die historischen Umstände und die Verstrickungen der Schweiz, und insbesondere der Galerienmetropole Luzern, und auch die institutionelle Verantwortung des Kunstmuseums als Kunstumschlagplatz und Depot nicht genügend reflektiert würden. Dabei waren ja gerade die 1930er Jahre die Zeit, als vom NS-Staat verfolgte, entrechtete und enteignete Jüdinnen und Juden ihre Bilder durch Raub verloren oder verkaufen mussten, wovon der internationale Kunstmarkt und seine zahlreichen Schweizer Ableger nachweislich reichlich profitierten.
Die neue Ausstellung klage zwar etwa an, dass die Ausstellungsmacher von 1935 ausser Sophie Taeuber-Arp keine Frauen und auch keine Künstler «aussereuropäischer Herkunft» gezeigt hätten, um so die Ausstellung «in den weissen, männlichen Kanon einzuschreiben», wie es im Saaltext heisst. Gleichzeitig versäume man es, andere, mindestens ebenso drängende Umstände in der gebotenen Tiefe herauszuarbeiten: die Fluchtbewegungen, die Enteignungen, die Rolle des Kunstmuseums und seiner Exponenten, aber auch die gut recherchierten historischen NS-Umtriebe in Luzern. Als Keller noch eine kopierte Seite aus Hans Stutz’ Buch «Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern, 1933–1945» zirkulieren liess mit der Fotografie eines «Erntedankfests», das die Auslandorganisation der NSDAP 1941 im Kunstmuseum veranstaltet hatte, mit riesigen Hakenkreuzfahnen und viel Publikum, wurde es unruhig im Saal. Keller erhielt auch spontanen Applaus für seine Intervention. Da die Ausstellungsankündigung durchaus vollmundig verspricht, «über Luzern im Kontext der 1930er Jahre zu berichten» und einen «spezifischen Blick» auf die «eigene Institutionsgeschichte» zu werfen, wirkten die Kritikpunkte unmittelbar stichhaltig.
Und deshalb überraschte es auch, dass die Vertreterinnen des Kunstmuseums dieser Kritik so wenig Substanzielles entgegenzusetzen hatten. Es fielen Sätze wie man sei ein Kunstmuseum, kein historisches Museum; und es handle sich hier nicht um eine «Ausstellung über 1935», sondern um eine Rekonstruktion der früheren Ausstellung, was im Widerspruch zu den eigenen oben zitierten Ansagen steht. Fetzer erklärte auch, es sei schwierig, solche hochkomplexen Zusammenhänge einfach verständlich ans Publikum zu vermitteln. Und musste sich von Raphael Gross, der selber ein Museum leitet und dort Ausstellungen zu so vertrackten Stoffen wie der nationalsozialistisch kompromittierten «documenta» ausgerichtet hatte, belehren lassen: Auch auf kurzen Saal- und Wandtexten lasse sich erwiesenermassen viel Wissen und Komplexität unterbringen.
Als die kritischen Historiker:innen zum Schluss freundlich zum Apéro auf die spektakuläre Terrasse des im KKL beheimateten Kunstmuseums eingeladen wurden, wirkte das Lächeln der Gastgeberin etwas gequält.
«Kandinsky, Picasso, Miró et al. zurück in Luzern» ist noch bis am 2. November im Kunstmuseum zu sehen. Eine ausführliche Ausstellungsbesprechung folgt im August.