Wahlen in den Niederlanden: Hoffnungsträger und Feindbild

Nr. 45 –

Warum trotz des Siegs der liberalen D66 von einem Ende des Populismus keine Rede sein kann.

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Rob Jetten, D66-Chef
Rob Jetten, D66-Chef  Foto: Imago

Im Kampf gegen den Rechtspopulismus hat Europa einen neuen Hoffnungsträger: Rob Jetten, der mit seiner progressiv-liberalen Partei Democraten 66 (D66) letzte Woche die Neuwahlen zum niederländischen Parlament gewann – allerdings hauchdünn. Die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV) erreichte zwar die selbe Sitzanzahl, D66 erhielt aber mehr Stimmen. Doch da Jetten, den vor wenigen Wochen noch niemand auf der Rechnung hatte, so kometenhaft aufstieg und die PVV mit ihrem Spitzenkandidaten Geert Wilders zugleich schwere Verluste einfuhr, ging der D66-Chef als strahlender Wahlsieger durch die internationalen Medien.

Das Strahlen ist durchaus ein Markenzeichen Jettens, der, obwohl erst 38, schon jahrelang Fraktionsvorsitzender und selbst eine halbe Amtszeit Klima- und Energieminister war. Seine telegene Erscheinung und die in seinem Wahlkampf verbreitete Aufbruchstimmung erinnern an Justin Trudeau oder Barack Obama. Jetten gab sich leger, aber zielstrebig, posierte im krawattenlosen weissen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und unterstrich damit seinen Anspruch, Gräben zu überbrücken und Polarisierung hinter sich zu lassen. Am Wahlabend stellte er gar in Aussicht, «die Seite Wilders umzuschlagen».

Ein langfristiges Projekt

Damit hat er einen Nerv getroffen in einer Gesellschaft, die müde und überreizt ist vom beständigen rechtspopulistischen Kulturkampf – einem Gefühl, das auch in anderen europäischen Ländern verbreitet ist. In den Niederlanden ist es nach dem chaotisch verlaufenen Experiment einer PVV-geführten Rechtsregierung besonders ausgeprägt. Dieser ging es vor allem um die möglichst drastische Abschreckung Geflüchteter. Bezeichnend ist, dass es gerade D66 gelang, die PVV nun in die Schranken zu weisen. Eher kulturell als sozioökonomisch links, basiert ihr Aufstieg nicht zuletzt auf Wähler:innen, die vom rot-grünen Bündnis PvdA-Groen-Links kamen. Dessen mehr auf Umverteilung gerichtete Agenda hat in den Niederlanden abgewirtschaftet.

Zum vermeintlich triumphalen Sieg über den Populismus, den manche Medien im D66-Wahlerfolg sehen, ist indes einiges anzumerken. Zunächst liegt die PVV trotz starker Verluste gleichauf mit D66 – beide stellen je 26 der insgesamt 150 Abgeordneten. Dazu verzeichneten mit JA21 und dem Alt-Right-lastigen Forum voor Democratie zwei weitere Rechtsparteien grosse Gewinne, in deren Programm es wie bei der PVV um «Remigration» und «Asylstopp» geht. Offenbar bietet ein Parteienspektrum also Raum für mehr als eine rechtsextreme Partei, je mehr der entsprechende Diskurs Fuss fasst. Diese Tendenz ist in den Niederlanden, wo sich politische Entwicklungen oft früher vollziehen, deutlich zu sehen.

Zu bedenken ist auch, dass der populistische Aufmarsch ein langfristiges Projekt ist, das nicht mit einer Wahlniederlage beendet ist. Mischaël Modrikamen, ein belgischer Rechtspolitiker, der während Donald Trumps erster Amtszeit mit Stephen Bannon an der globalen Vernetzung entsprechender Akteur:innen arbeitete, sagte damals: «Es geht nicht um einzelne Wahlen oder Legislaturperioden, sondern um eine tiefe Veränderung der politischen Kultur.» In Unkenntnis dessen bejubelten liberale Medien etwa die Wahlen in den Niederlanden 2017 oder in Polen 2023 vorschnell als Sieg.

Hinzu kommt die internationale Dimension der rechtspopulistischen Bewegung. Einer einzelnen Niederlage stehen noch immer genug Erfolge in anderen Ländern gegenüber, und weil die Themen und Narrative einander ähneln oder identisch sind, strahlt das eine Beispiel auf das andere aus. Zudem weisen die Entwicklungen in verschiedenen Ländern gemeinsame Elemente auf. Auch das zeigt sich derzeit in den Niederlanden, wo in PVV-Kreisen die Wahl als abgekartete Verschwörung einer liberalen Elite gegen den vermeintlichen Volkswillen verteufelt wird.

Eimerweise homophober Hass

Gert Wilders selbst hatte zwei Tage nach der Wahl Gerüchte über verschwundene Stimmen verbreitet. Diese entbehren jeden Beweises, wurden aber auf einschlägigen Social-Media-Kanälen umgehend übernommen – eine niederländische Variante des Motivs der «gestohlenen Wahl», bekannt aus der Rhetorik Donald Trumps und Jair Bolsonaros. Über den künftigen Premier Jetten, der erste offen homosexuelle des Landes, ergoss sich derweil eimerweise homophober Hass.

Jettens Rolle als Triumphator gestaltet sich vor diesem Hintergrund um einiges nuancierter. Fraglos ist er für viele derzeit ein Hoffnungsträger; für andere jedoch der Bilderbuchprotagonist einer vermeintlichen woken Verschwörung. Ihnen ist nicht daran gelegen, dass ausgerechnet er das gespaltene Land vereint.