Linkes Wahlbündnis: Gelingt der Aufbruch in den Niederlanden?

Nr. 46 –

Vor den Parlamentswahlen am kommenden Mittwoch liegt die Liste von Arbeitspartei und Links-Grünen in aussichtsreicher Position. Doch es gibt Zweifel, dass dieser Schulterschluss Wirkung zeigt.

Ein Hauch von Frühling liegt in der Luft in diesem ansonsten so deprimierenden, bedrohlichen Herbst in Den Haag, der politischen Hauptstadt der Niederlande. Eines linken Frühlings. So nämlich nennt man den seit Jahren ersehnten Aufbruch der parlamentarischen Linken: ein politisch-gesellschaftlicher Umschwung, raus aus der Bedeutungslosigkeit.

Genau genommen geht es sogar um einen rot-grünen Frühling. 22, 23 oder gar 26 von 150 Parlamentssitzen prognostizieren die aktuellen Umfragen für die am 22. November stattfindenden vorgezogenen Wahlen den zwei Parteien, die erstmals mit einer gemeinsamen Liste antreten: die sozialdemokratische Partij van de Arbeid (PvdA) und Groen Links (GL).

Dass bereits die Aussicht auf fünfzehn Prozent der Stimmen Anlass zu Euphorie gibt, liegt an der starken Fragmentierung des niederländischen Parteienspektrums. Derzeit zählt das Parlament siebzehn Fraktionen. Für die Bildung einer Regierung braucht es zuletzt immer mindestens vier Parteien. Wenn die gesetzgebende Tweede Kamer (Zweite Kammer) nächste Woche neu gewählt wird, hat Rot-Grün realistische Chancen auf den Sieg. Nur die rechts-liberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) des bisherigen Premiers Mark Rutte sowie die erst vor wenigen Monaten gegründete sozialkonservative Nieuw Sociaal Contract liegen etwas besser im Rennen.

Lokal bereits erfolgreich

Die im Februar gefasste Strategie von PvdA und GL, ihre Kräfte gegen die rechte Dominanz der letzten Jahrzehnte zu bündeln, scheint aufzugehen. Ein erster Schritt war im Mai die Bildung einer gemeinsamen Fraktion im neuen Senat, der kleinen Parlamentskammer, die Gesetze annehmen oder ablehnen, aber nicht entwerfen kann. Nach dem Rücktritt der Mitte-Rechts-Regierung im Juli begann dann der erste Wahlkampf mit gemeinsamer Liste und gemeinsamem Programm, auch die EU-Wahlen 2024 will man so bestreiten. Für zusätzlichen Aufwind sorgt, dass der langjährige EU-Kommissar Frans Timmermans von der PvdA aus Brüssel zurückgekehrt ist, um Premierminister zu werden.

Die Idee, aufgrund gemeinsamer Werte und Ideale zusammenzuarbeiten, lebt in beiden Parteien schon länger. 2022 schrieben Prominente beider Parteien in einem offenen Brief, der Kampf für eine gerechte und jener für eine nachhaltige Gesellschaft seien identisch, und man stehe «Schulter an Schulter im Kampf gegen Ungleichheit, Ausgrenzung, das Recht des Stärksten und die Klimakrise».

In der südwestlichen Provinz Seeland bildeten beide Parteien bei den Provinzwahlen im März eine gemeinsame Liste. In Heerlen im Südosten des Landes fassten GL und PvdA im Vorfeld von Kommunalwahlen bereits 2022 den Plan, gemeinsam mit der auf Nachhaltigkeit setzenden Partij voor de Dieren (Partei für die Tiere) als sozial-ökologischer Block in die Stadtregierung einzuziehen. Mit Erfolg: Das Bündnis stellt nun gemeinsam den Dezernenten für Wohnen und Umwelt.

«Die Zusammenarbeit läuft sehr gut», berichtet Henk Verreck, Vorsitzender der lokalen PvdA-Fraktion, per Videocall. Die Partei für die Tiere setze auf ihr Kernthema Tierwohl, Groen Links stehe für die grüne Seite, Energiefragen und CO₂-Reduktion und seine Partij van de Arbeid für die menschliche. «Damit bringen wir die drei Bereiche zusammen und bündeln unsere Kräfte», so Verreck. Vor seinem Bildschirm hebt der sozialdemokratische Lokalpolitiker, der selbst in der Pflege arbeitet, ein Wahlplakat hoch, das ein Gesundheitssystem ohne marktwirtschaftliche Elemente fordert.

Themen wie die Pflegekrise bringen unweigerlich die Frage auf, ob die Socialistische Partij (SP) nicht auch zu einer vereinigten Linken gehöre. Spitzenkandidat Timmermans dachte bei seiner Vorstellung im August denn auch laut über eine solche Kooperation nach. Verreck ist da skeptischer: Einerseits hofft er auf einen Wahlsieg am kommenden Mittwoch und eine linke Regierungskoalition mit den Sozialist:innen. Andererseits sieht er die SP als konservative Partei. «Sie setzen sich sehr für die Leute ein, aber hängen stark an alten Strukturen und alter Kultur.» Eine Zusammenarbeit wäre für viele Sozialdemokrat:innen und Links-Grüne schwierig, gerade im wichtigen Bereich der Klimapolitik.

SP-Sekretär Arnout Hoekstra betont auf Anfrage, es sei wichtig, auf die Definition von «links» zu achten, um Gemeinsamkeiten zwischen linken Parteien festzustellen. «Als SP zählen wir ökonomisch zur Linken, weil wir Kritik am Kapitalismus üben. Wir stehen für eine andere Wirtschaft, die nicht auf zwei Klassen basiert. Das ist ein grosser Unterschied zu PvdA / Groen Links, die nur an den scharfen Kanten feilen wollen.» Auch übe man starke Kritik am neoliberalen Marktdenken und an Privatisierungen, die die beiden anderen Parteien mitgetragen hätten. Kooperieren wolle die SP «mit jeder Partei, die unsere Analyse teilt», sagt Hoekstra.

Freilich ist soziale Gerechtigkeit neben Klimapolitik und dem Wiederaufbau von Vertrauen in die Politik einer der Schwerpunkte des rot-grünen Wahlprogramms. Gerade Timmermans betont unablässig, dass die grüne Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft sozialverträglich sein müsse, sonst werde sie scheitern. Dieser Punkt ist zentral in Bezug auf eine mögliche linke Regierung unter Führung von PvdA und GL: Sollte sich herausstellen, dass der soziale und der nachhaltige Kampf wider Erwarten doch nicht der gleiche sind, entzieht das dem Bündnis die Grundlage.

Besserverdienende als Basis

Femke Lakerveld steht dem links-grünen Bündnis skeptisch gegenüber. Die Schauspielerin ist Vorsitzende der säkular-solidarischen Initiative Vrij Links und war lange Sozialdemokratin. Doch vor einigen Jahren trat sie aus der Partei aus – aus Enttäuschung darüber, dass diese «eine neoliberale und hartherzige Politik unterstützte». «Die PvdA und Groen Links sind sich in den letzten Jahren immer ähnlicher geworden und haben sich dabei immer mehr von der arbeitenden Klasse und jenen, die weniger Chancen haben, gelöst. In diesem Sinn ist es logisch, dass sie zusammenkommen», sagt Lakerveld.

Sie sieht im Bündnis dennoch eher «einen Aderlass» der Linken. Ihre Hoffnung, die PvdA werde wieder eine breite, sozialdemokratische Volkspartei, «die von Solidaritäts- statt Identitätspolitik ausgeht, sozial-ökonomische Ungleichheit an erste Stelle setzt und das Vertrauen der Bürger:innen in den Staat restauriert», werde auf diese Weise nicht Wirklichkeit. «An der Basis von Groen Links gibt es viele Besserverdienende mit hohen Bildungsabschlüssen, da sind die Präferenzen andere, sodass diese Ziele eher in die Ferne rücken.»

Sie kritisiert auch das Konzept, möglichst schnell an die Macht zu kommen, von dem die Entscheidung für Timmermans als Spitzenkandidat zeuge. Es scheine, dass man zuerst die grösste Partei werden wolle, dabei sollte es doch um Inhalt und Ideen gehen: «Was sind die Zukunftsvisionen, was hat Priorität, was ist nicht verhandelbar?», fragt Lakerveld.

Wie breit das gemeinsame inhaltliche Fundament von Rot-Grün ist, muss sich tatsächlich erst noch zeigen. Ohne ein solches könnte das derzeitige Momentum schnell wieder verfliegen – und der linke Frühling vom kalten, neoliberalen Winter an der Nordsee verschluckt werden.