Steirischer Herbst: Der Schauer im Unverfänglichen
Das Kunst- und Kulturfestival Steirischer Herbst in Graz vereint unter dem Titel «Horror Patriae» Arbeiten über das schwierige Verhältnis zum Regionalen und Lokalen – weit über die Grenzen Österreichs hinaus.

Allgegenwärtig sind Logo und Titel des diesjährigen Steirischen Herbstes in Graz. «Horror Patriae» – also so viel wie Horror der Heimat – prangt in lichten Blau- und Gelbtönen in einer Art Keilschrift auf den Elektrobussen, die lautlos durch die Stadt gleiten, genauso wie an jedem zweiten Geschäft der pittoresken Altstadt. «Horror Patriae» thematisiert das schwierige Verhältnis zur regionalen Geschichte – nicht nur in Österreich – und zum Lokalen in einer Zeit, in der nicht immer eindeutig unterschieden werden kann, ob die Liebe zur Natur links-ökologische Haltung ist oder einer neonazistischen Blut- und Bodenideologie entspringt.
Es ist also ein hochpolitisches Thema, das die Intendantin des Festivals, Ekaterina Degot, mit ihrem Team hier mit teils brachialen, teils subtilen Werken bearbeitet. Aber natürlich ist Horror Patriae auch eine passende Zuschreibung für ein Land, das am vergangenen Sonntag zu fast dreissig Prozent rechtsextrem gewählt hat, eine Partei, die seit Monaten «Remigration» schreit und offen einen «Volkskanzler» stellen möchte. Obwohl es dazu wohl nicht kommt, ist es doch für den grössten Teil der Kulturszene ein wahres Horrorszenario, dass die FPÖ zusammen mit der erzkonservativen ÖVP nun halb Österreich vertritt.
Groteske Zunge
Wie wenn das Wahlergebnis vorausgesehen worden wäre, präsentiert das Team des «Herbstes» nicht nur politische Schauergeschichten voller Mythen und dunkler Nationalismen. Es geht bei diesem Horror auch um einen gesellschaftlich akzeptierten neuen Konservatismus, der durch die Hintertür auch in scheinbar aufgeklärte linke Haushalte dringt: eine romantisierte Natur, die eine unechte Natur ist, oder eine neue neoliberale Verwurzelung in der Region – denn die aufklärerische Moderne und der Internationalismus sind definitiv kaputt.
Herzstück der diesjährigen Ausgabe ist eine Ausstellung in der Neuen Galerie. Wir treten also ein in dieses Horrorkabinett, zum Beispiel mit der Videoarbeit der ukrainischen Künstlerin Aline Kleytman: In «The Place to See before You Die» (2024) sehen wir Kleytman selbst als schmutzig-weisses Fabelwesen durch zerbombte Wohnhäuser in Charkiw streifen, während diese als Horrorluxusurlaubsapartments vermarktet werden. Die zynische Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine endet mit der bitteren Reminiszenz an den Künstler und Performer Artur Snitkus, der vor kurzem 36-jährig verstorben ist – als Kämpfer bei der Verteidigung seines «Vaterlands». In einer zweiten Arbeit von Kleytman, dem Video «Tongue» (2020), liegt diese auf einem Krankenhausbett und droht an ihrer eigenen Zunge zu ersticken, die langsam und unaufhaltsam zu grotesker Dicke und Länge anschwillt. Die Zunge steht hier metaphorisch für Kleytmans eigene Sprache Russisch und deren Stigmatisierung durch die Kremlpropaganda. Solche Ambivalenzen eines kontaminierten Heimatbegriffs bringt die Schau damit genau auf den Punkt.
Es finden sich auch skurrile Sammlungsstücke des Museums Joanneum, zu denen die zeitgenössische Kunst in Dialog tritt. Beispielsweise zu einer «Karte der Steiermark als Kopf des Kriegsgottes Mars» von 1681 oder zu einem Kerzenleuchter aus der Nazizeit. Im opulenten barocken Treppenaufgang des einstigen «Universalmuseums» hat der österreichische Künstler Thomas Hörl mit seiner «Ahnengalerie» (2024) eine Variante des Perchtenumzugs installiert – das Pendant zum Appenzeller Silvesterchlausen, nur viel brutaler. Auch Hörls Verhältnis zu den maskierten Wesen ist ambivalent: Denn sie sind einerseits Teil eines traditionellen Volksglaubens, dessen Autorität ausgespielt wird, andererseits stehen sie auch für Geschlechterfluidität und Befreiung von kirchlicher Unterdrückung.
Sinatra für Milošević
Andere eindrückliche Arbeiten bringen die Heimatidylle in die Nähe zum Patriarchat, so diejenigen von feministischen Künstlerinnen wie Renate Bertlmann oder Valie Export. In einem abgründigen Video bearbeitet der deutsche Künstler Jan Peter Hammer die Umbenennung des steirischen Dorfes St. Margarethen am Silberberg in Noreia aus dem Jahr 1930 als Reenactment einer historischen Schlacht. Damals entstand ein Kult um die völkische Namensgebung, nachdem gemutmasst worden war, dass das Dorf Schauplatz einer Schlacht zwischen Kelten und Römern gewesen war, die mit dem ersten Sieg eines germanischen Stammes geendet hatte. Ein schräger Film, der Folklore, ethnische Konflikte und aktuelle Umweltthemen nebeneinander verhandelt. Schliesslich öffnet sich die Ausstellung auch zu globalen Konfliktzonen wie dem Israel-Gaza-Krieg – der neue Horror ist kein österreichisches Alleinstellungsmerkmal.
Das Festival präsentiert auch Performances und Kabarett. «Out of Tune: Favorite Songs of Dictators and Political Leaders» des französischen Musikers Augustin Maurs hebt das Spiel vom Schauer im Unverfänglichen auf ein globales Level. Begleitet von Schlagzeug und Keyboard, interpretiert Maurs die Lieblingssongs von Diktatoren und Potentaten: «My Way» von Frank Sinatra (Lieblingssong von Slobodan Milošević), «Brother Louie» von Modern Talking (für Kim Jong-un) oder «Blueberry Hill» von Fats Domino (für Wladimir Putin). Lauter hübsche Songs, oder?
Die Ausstellung «Horror Patriae» in der Neuen Galerie in Graz läuft bis zum 16. Februar 2025. Der Steirische Herbst dauert bis 13. Oktober 2024.