Öffentliche Empörung, geheime Einflussnahme

Wie Khan es wagen könne, die «Monster der Hamas» mit der «moralischsten Armee der Welt» zu vergleichen, fragte der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu. Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, hatte es gewagt, Haftbefehle zu beantragen – für Netanjahu, seinen Verteidigungsminister Joaw Galant sowie für drei Hamas-Anführer.

Das war vor zehn Tagen. Nun zeigt eine Recherche des britischen «Guardian» und des israelisch-palästinensischen Mediums «+972»: Die israelische Regierung fürchtet sich offenbar schon seit Jahren vor einer Untersuchung durch den Strafgerichtshof. Und sie versuchte, eine solche mit allen Mitteln zu verhindern.

Laut dem Artikel sollen israelische Geheimdienste jahrelang die Kommunikation des Strafgerichts abgehört haben; hochrangige Geheimdienstmitglieder hätten wiederholt versucht, Fatou Bensouda – von 2012 bis 2021 Chefanklägerin des Strafgerichtshofs – zu beeinflussen und von Ermittlungen gegen Israel abzuhalten. «Sie sollten sich nicht in Dinge einmischen, die ihre Sicherheit und die ihrer Familie gefährden könnten», soll der frühere Mossad-Chef der Chefanklägerin unter anderem gesagt haben.

Fatou Bensouda hatte 2015 erste Voruntersuchungen eingeleitet, nachdem Palästina dem Strafgerichtshof beigetreten war – womit mögliche Kriegsverbrechen in den besetzten palästinensischen Gebieten unter die Zuständigkeit des Gerichts fielen, auch wenn Israel selbst kein Mitglied ist.

Seither überwachten die israelischen Geheimdienste Telefonanrufe, die Bensouda mit Menschen in den palästinensischen Gebieten führte. Offenbar versuchten israelische Behördenmitglieder herauszufinden, welche Fälle das Gericht möglicherweise in ein Verfahren einbeziehen könnte – damit ihm die israelischen Strafbehörden mit eigenen Ermittlungen hätten zuvorkommen können. Denn das internationale Strafgericht ist nur zuständig, wenn Untersuchungen schwerer Menschenrechtsverletzungen auf nationaler Ebene ausbleiben.

Dabei hat etwa die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem ausführlich dokumentiert, dass in Israel Verbrechen der Armee oder radikaler Siedler in den besetzten palästinensischen Gebieten kaum verfolgt werden. Das israelische Strafverfolgungswesen sei nicht darauf ausgelegt, Verbrechen in den besetzten Gebieten wirklich zu verfolgen, einzelne Verfahren seien nicht mehr als ein Feigenblatt, schreibt die NGO.

Die aktuelle Geschichte zeigt, wie weit die israelische Regierung offenbar bereit ist zu gehen, um sich selbst und ihre «moralischste Armee der Welt» vor echter Rechenschaft zu schützen. Denn Netanjahu, das kann man aus den Enthüllungen schliessen, weiss genau, dass seine Armee alles andere als moralisch vorgeht – aller zur Schau gestellten Empörung zum Trotz. Es wäre zu hoffen, dass diese Strategie mit den aktuellen Haftbefehlen aus Den Haag endlich an ein Ende gelangt ist.