Krieg in Nahost: Der Schweiz fehlt eine Strategie

Nr. 44 –

Fast vier Wochen sind vergangen seit den Terrorattacken der Hamas auf Israel, bei denen mehr als 1400 Menschen ermordet und über 200 als Geiseln verschleppt wurden. Der kriegerischen Eskalation sind seither weitere Tausende Menschen zum Opfer gefallen; der Horror, den die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen derzeit durchlebt, ist unvorstellbar. Bei ihrer militärischen Reaktion auf den Hamas-Terror nehmen die israelischen Streitkräfte auch den Tod unschuldiger Menschen in Kauf.

Während sich das Ausmass und die weitreichenden regional- und geopolitischen Folgen des Krieges täglich deutlicher offenbaren, fragt man sich: Wo steht eigentlich die offizielle Schweiz? Kurz nach dem 7. Oktober hat das Aussendepartement (EDA) eine Taskforce einberufen, es gab einzelne Statements von Aussenminister Ignazio Cassis (FDP). Wie so oft aber blieb die schweizerische Aussenpolitik auch diesmal schwer greifbar.

Da war zunächst Cassis’ Ankündigung, der Bundesrat werde die Beziehung der Schweiz zur Hamas überdenken – aber für ein formales Verbot fehle die rechtliche Grundlage, solange nicht auch die Uno ein solches ausspreche. Auf Druck aus dem Parlament verkündete Cassis später, der Bundesrat habe «die Hamas als terroristische Organisation definiert». Und nachdem die sicherheitspolitischen Kommissionen beider Parlamentskammern einstimmig ein Hamas-Verbot forderten, will sich der Bundesrat mit einer entsprechenden Gesetzesänderung auseinandersetzen.

Die Schweiz düfte damit letztlich den symbolischen Schritt hin zu einem Hamas-Verbot machen, aber in einer Form, die weiterhin Kontakte zur Terrororganisation zulassen wird. Ein Spagat, der im Hinblick auf die Rolle als mögliche Vermittlerin sinnvoll sein kann. Gerade auch angesichts der israelischen Geiseln, die sich noch immer in der Gewalt der Hamas befinden.

Ein folgenschweres Signal sandte das EDA hingegen Mitte letzter Woche aus: Es kündigte an, seine Zahlungen an elf palästinensische und israelische Menschenrechtsorganisationen auszusetzen. Dabei hatte Cassis in den ersten Tagen nach dem Gewaltausbruch noch verlauten lassen, dass es keinen Grund zur Annahme gebe, die betroffenen Organisationen würden die Gelder aus der Schweiz nicht korrekt einsetzen. Die Kehrtwende erfolgte ohne Begründung, mit fatalen Folgen für die betroffenen NGOs. Einerseits, weil sie gerade ohnehin unter existenziellem Druck stehen, andererseits, weil ihnen damit ein langfristiger Reputationsschaden droht. Die Massnahme des EDA ist schwer nachvollziehbar. Sie lässt sich nicht zuletzt als Resultat einer grundsätzlich NGO-skeptischen Haltung verstehen, die Aussen­­­­minister Cassis seit Jahren erkennen lässt.

Am Freitag dann bezog die Schweiz ein weiteres Mal Stellung: An einer Sondersitzung der Uno-Vollversammlung stimmte sie einer umstrittenen Resolution zu, in der auch eine sofortige «humanitäre Waffenruhe» im Kriegsgebiet gefordert wird. Eine vergleichsweise mutige Entscheidung, denn die unter jordanischer Federführung ausgearbeitete Vorlage stand unter heftiger Kritik: Zwar werden darin «alle Gewaltakte, die auf palästinensische und israelische Zivilist:innen abzielen», verurteilt – aber die Hamas als terroristische Akteurin wird nicht genannt. Es ist ein Ärgernis, dass eine entsprechende, von Kanada angeregte Ergänzung die nötige Zweidrittelmehrheit verpasste. Die Resolution wurde am Ende deutlich angenommen.

Insgesamt gibt die Schweizer Aussenpolitik seit Beginn der Eskalation ein widersprüchliches Bild ab: Einerseits ist sie gewillt, die Hamas als Terrororganisation zu verurteilen und von Israel auf höchster diplomatischer Ebene die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern, andererseits lässt sie Partnerorganisationen fallen, die teils unter widrigsten Umständen und zwischen den politischen Fronten zivilgesellschaftliche Arbeit leisten. Auf eine stringente Strategie lässt dieses Vorgehen nicht schliessen.