Eingefrorene Gelder: «Gerade für die Schweiz ist das beschämend»

Nr. 44 –

Acht Menschenrechtsorganisationen in Israel und Palästina bekommen vom Bund seit Beginn des Krieges in Nahost bis auf Weiteres kein Geld mehr. Mit teilweise verheerenden Folgen.

ein Arzt und 2 Patient:innen bei einer Sprechstunde in einer mobilen Klinik im Westjordanland
Auch die Physicians for Human Rights sind auf Hilfsgelder angewiesen: Sprechstunde in einer mobilen Klinik im Westjordanland. Foto: Medico International Schweiz

Am Mittwochmorgen vor einer Woche nahm Lee Caspi von der Organisation Physicians for Human Rights an einer Demonstration für die Geiseln teil, die am 7. Oktober von der Hamas in den Gazastreifen entführt worden waren. Später hatte sie ein Treffen mit Angehörigen der Verschleppten, für deren Freilassung sich die Organisation einsetzt. «Und dann kam am Nachmittag dieses E-Mail», sagt Caspi.

In knappen Worten hiess es, das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) würde die Zahlungen an die NGO vorläufig einstellen. Auf der EDA-Website heisst es: «Aufgrund der neuen Situation im Zusammenhang mit dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober» habe man beschlossen, die Zahlungen an elf NGOs vorläufig einzufrieren. Man wolle prüfen, ob deren Kommunikation mit «dem Verhaltenskodex und der Antidiskriminierungsklausel des EDA» übereinstimme.

Die betroffenen NGOs gehören zu den bekanntesten Menschenrechtsorganisationen in Israel und Palästina. Die Schweiz arbeitet zum Teil seit Jahrzehnten mit ihnen zusammen. Vermutet das EDA eine Hamas-Nähe? Könnten Gelder dorthin abgeflossen sein? Geht es um Antisemitismus? Dazu schweigt das EDA. Auf Anfrage schreibt es: «Dieser Beschluss hat keinen Zusammenhang mit der Frage der Finanzflüsse. Das EDA hat bisher keine Kenntnis davon, dass Schweizer Gelder der Hamas und ihren Aktivitäten zugekommen wären.»

Verhinderte Nothilfe

Die Nachricht kommt für die Organisationen in einer Zeit, da sie stark unter Druck stehen. Physicians for Human Rights etwa hatte in den ersten Tagen nach dem Massaker durch die Hamas ein Behandlungszentrum für Überlebende des Kibbuz Beeri betrieben. Im Gazastreifen wiederum wurde das Haus des Direktors des Palestinian Human Rights Center, dessen Finanzierung das EDA ebenfalls eingefroren hat, bei einem Bombenangriff zerstört.

«Viele von uns funktionieren kaum noch und verfolgen ständig die Nachrichten aus Gaza und dem Westjordanland», schreibt Zain Amali von der NGO Miftah, die sich für Demokratieförderung und den Aufbau staatlicher Strukturen in den palästinensischen Gebieten einsetzt. «Wir fürchten um unsere drei Kolleg:innen in Gaza, die fliehen mussten und zu denen wir kaum Kontakt haben, weil die Internetverbindung unterbrochen ist.»

Ein Mitarbeiter des Jerusalem Legal Aid Center (JLAC) mit Sitz in Ramallah, der anonym bleiben will, beschreibt am Telefon, wie sehr ihre Arbeit im Westjordanland derzeit eingeschränkt ist. Für eine Fahrt von Jericho nach Ramallah brauche man wegen Strassensperren an manchen Tagen drei Stunden – sonst dauert sie vierzig Minuten: «Wir können nach Angriffen durch radikale israelische Gruppen nicht einmal mehr Anzeige erstatten. Die Polizeistation befindet sich in den Siedlungen. Dorthin zu gehen, ist für uns im Moment lebensgefährlich.» In dieser Situation die Gelder einzufrieren, sei eine Schande, sagt Lee Caspi. «Es fühlt sich an, als ob sie auf uns eintreten, während wir schon am Boden liegen.»

Möglich ist, dass das EDA auf öffentlichen Druck hin gehandelt hat. Der Entscheid folgte auf Medienberichte, die manchen NGOs Hamas-Nähe unterstellten. Als Beleg werden Aussagen einzelner Mitarbeiter:innen aufgeführt oder Stellungnahmen, die etwa die israelische Besatzung kritisierten, nicht jedoch die Hamas.

Es handle sich um eine Diffamierungskampagne, findet Beat Gerber, Sprecher von Amnesty Schweiz: «Es ist der Versuch, die Organisationen mundtot zu machen. Einzelne Äusserungen von NGO-Vertreter:innen werden aus dem Kontext gerissen und als Argument herangezogen, um die gesamte Menschenrechtsarbeit zu diskreditieren.» Den Entscheid des EDA nennt Gerber beschämend. «Gerade für die Schweiz, zu deren Strategie im Nahen Osten es doch eigentlich gehört, die Menschenrechte zu stärken.»

Stopp trotz Empfehlung

Lee Caspi sagt: «Es gibt politischen Druck gegen Organisationen, die mit Palästinenser:innen arbeiten.» Denn was die Organisationen, die auf diversen Feldern Menschenrechtsarbeit leisten, verbinde, sei, dass sie sich unter anderem für die Rechte von Palästinenser:innen in Israel und den besetzten Gebieten einsetzten. «Es herrscht ein Gefühl, dass die Leute Rache nehmen wollen an allem, was mit Palästinenser:innen zu tun hat.»

Das Unverständnis ist umso grösser, weil acht jener elf Organisationen gerade eine umfassende Evaluation durch eine externe Prüfungsfirma durchlaufen haben. «Alle evaluierten EDA-Partner setzen sich für Menschenrechte und humanitäres Recht ein», heisst es im Bericht. Dem EDA wird empfohlen, ihre Unterstützung für die acht Partner fortzusetzen.

Doch selbst wenn die Untersuchung nichts ergeben sollte und die Zahlungen später weitergeführt würden – der Schaden sei bereits angerichtet, sagen mehrere Gesprächspartner:innen. «Es gab ein kollektives Gefühl des Schocks bei allen Organisationen, dass eine Liste mit unseren Namen veröffentlicht wurde», heisst es seitens des JLAC. «Es ist wie eine schwarze Liste.» Im derzeitigen polarisierten Umfeld sei es möglich, dass diese Liste aus dem Zusammenhang gerissen werde. In der Woche, in der der EDA-Entscheid veröffentlicht wurde, hätten bereits die Drohungen gegen Mitarbeiter:innen und Anwälte des JLAC durch radikale Siedler:innen zugenommen.