Fernando Pérez: Beharrlich im Kampf gegen die Dämonen
Fernando Pérez ist Kubas bekanntester Filmregisseur, dieser Tage feierte er in Havanna seinen 80. Geburtstag. Zur Schweiz hat er bis heute eine besondere Beziehung.

Elf lange Spielfilme hat Fernando Pérez seit 1987 realisiert, sieben davon sind regulär in den Schweizer Kinos gelaufen – mehr als von jedem anderen Filmschaffenden aus Lateinamerika. Einige seiner Filme feierten Grosserfolge, allen voran «La vida es silbar» (1998). Das herzerwärmende, magisch-realistische Märchen um vier Menschen, die im Havanna der Krisenzeit der 1990er Jahre das Glück suchen, avancierte mit fast 120 000 Kinoeintritten zu einem der erfolgreichsten lateinamerikanischen Filme, die je in Schweizer Kinos liefen. Danach lockte auch «Suite Habana» (2004), eine Dokufiktion ohne Dialog, Zehntausende in hiesige Kinosäle.
Heute, zwanzig Jahre später, ist es zwar um den Regisseur stiller geworden, doch leise ist er überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Seinen 80. Geburtstag feierte Pérez in einer Bar, die seit letztem Jahr oft auch als Versammlungsort der Asamblea de Cineastas Cubanas dient, einer neuen Bewegung junger – und auch nicht mehr junger – unabhängiger kubanischer Filmschaffender. Benannt ist die Bar nach einem seiner Filme, «Madrigal», und sie gehört seinem langjährigen Regieassistenten Rafael Rosales.
Anlass zur Gründung der «Asamblea» war ein krasser Zensurfall im April 2023 gewesen, als das Kulturministerium und das staatliche Filminstitut ICAIC kurzfristig die Weltpremiere eines – von beiden Institutionen mitgetragenen – Dokumentarfilms in einem Kino in Havanna verboten: «La Habana de Fito», ein Porträt über den argentinischen Rockmusiker Fito Páez, realisiert vom jungen kubanischen Regisseur Juan Pin Vilar, der bereits mehrere erfolgreiche Musikerporträts gedreht hatte. Eines Abends im Juni 2023 strahlte das kubanische Staatsfernsehen dann ohne Vorankündigung eine vom Regisseur nicht autorisierte Rohfassung von «La Habana de Fito» aus – zur besten Sendezeit zwar, aber «eingebettet» in die Erklärungen und Kommentare dreier hoher Funktionäre des Kulturministeriums. Unzähligen kubanischen Filmschaffenden platzte ob dieser dreisten Verletzung des Urheberrechts der Kragen. An vorderster Front: Fernando Pérez.
Direkter Draht nach Biel
Begonnen hatte er einst als Regieassistent bei Tomás Gutiérrez Alea, dem Übervater des kubanischen Kinos. Das war 1971, bei Aleas wildem Historiendrama «Una pelea cubana contra los demonios» (Eine kubanische Schlacht gegen die Dämonen). Der Film spielt im kolonialen Kuba des 17. Jahrhunderts und handelt von einem machtgierigen Priester, der den Bewohner:innen eines Küstenstädtchens weismacht, der Ort sei von Dämonen besessen, weshalb sie ihn verlassen müssten – worauf ein Schmuggler den obskurantistischen Schwindel entlarvt. Kurz darauf geht das Städtchen in Flammen auf.
Seine ersten Dokumentarfilme realisierte Pérez ein paar Jahre später am Filminstitut ICAIC, wo er schon ab 1962 gearbeitet hatte – erst als Botenjunge, dann als Kabelträger. Sein Koregisseur damals war Jesús Díaz, ein in Kuba sehr bekannter Schriftsteller, der 1992, nach einem von der WOZ organisierten Podium in der Roten Fabrik in Zürich, von den kubanischen Behörden ausgebürgert werden sollte. Die Titel und Themen der ersten beiden Dokumentarfilme, die Pérez 1975 gemeinsam mit Díaz realisierte, sprechen für sich: «Puerto Rico» (über den dortigen Unabhängigkeitskampf) und «Crónica de una victoria» (über den ersten Kongress der Kommunistischen Partei Kubas) – reine Revolutionsapologie. Ebenso wie auch sein erster Spielfilm, «Clandestinos» (1987), ein actiongeladenes Werk um ein paar jugendliche Revolutionäre ohne Happy End. Der Film wurde in Kuba ein riesiger Erfolg, bis heute gilt er als einer der erfolgreichsten kubanischen Filme überhaupt. Noch heute läuft er immer mal wieder am kubanischen Fernsehen – und für alte Leute auf der Insel ist Pérez unverändert «der Regisseur von ‹Clandestinos›».
Ins reguläre Schweizer Kinoprogramm schaffte es dieser stark vom US-Genrekino beeinflusste Film nie. Doch ein Englischlehrer und Dokumentarfilmer aus Biel, Beat Borter, brachte «Clandestinos» im Jahr 1990 ins dortige Filmpodium. Lachend erzählt Pérez von seinem ersten Besuch in Biel, wie befremdet das Schweizer Publikum damals darob war, dass jemand in Kuba einen dermassen gewalttätigen Film gemacht habe. Seine Freundschaft zu Borter hielt bis zu dessen Tod im Jahr 2020, und spürbar bewegt weist Pérez auf den Umstand hin, dass Biel der einzige Ort ausserhalb Kubas sei, wo er alle seine Spielfilme – auch jene ohne Verleih – persönlich präsentiert habe.
Beat Borters Witwe, die Schauspielerin Delia Coto, war mit Fernando Pérez schon bekannt, bevor sie ihren späteren Ehemann kennenlernte. Vor zwei Jahren hat sie einen von Borter begonnenen Dokumentarfilm über den Regisseur fertiggestellt («Passion for the Music of what Happens. Fernando Pérez and the Cuban Reality»). Sie sagt über Pérez: «Fernando ist der Pate und der gütige Grossvater der jüngeren und jungen kubanischen Cineast:innen – und das ganz im positiven Sinn. Als Künstler hat er seine Wahrheit gefunden. Dabei ist er ein Mensch ohne Vorurteile, einer, der vor allem auch jungen Leuten zuhören kann wie kein anderer.»
Engagiert für den Filmnachwuchs
Ähnlich klingt es bei der Genfer Regisseurin Laura Cazador, einer anderen Wegbegleiterin von Pérez, die mit ihm zusammen das Biopic «Insumisas» (2018) realisierte: «Fernando ist pfeifendes Leben – wie der Film von ihm, der mir am meisten Freude bereitet. Er hat die Grosszügigkeit seiner ‹Clandestinos› – und die seiner Habana Suite, seiner winzigen Wohnung, in der er mich über Monate beherbergte, in der Stadt, in der ich das Filmemachen und das Leben lernte und in der ich mit ihm ‹Insumisas› schrieb und drehte. Fernando ist eine Insel und eine Stadt, Havanna, die hinter seinem Herzen und seinen Augen liegt.»
Und Fernando Pérez selber? Als in diesen Wochen – nach wiederholt tagelangen Stromausfällen samt zwei Hurrikanen in Havanna – endlich ein längeres Telefongespräch mit dem Regisseur möglich ist, sagt er bezüglich seines 80. Geburtstags am 19. November, er sei zuallererst wohl ein typischer Kubaner: Seine Familienangehörigen lebten über die Welt verstreut – sein Sohn in den USA, eine seiner Töchter in Spanien und seine Ehefrau, die deutsche Dokumentarfilmerin Claudia von Alemann, in Berlin. «Natürlich wäre ich an diesem Tag gerne an all diesen Orten gleichzeitig, doch die Umstände zwingen mich, hier in Havanna zu bleiben.»
Dann erklärt er am Telefon, wie es weiterging mit der Asamblea, der mittlerweile fast alle bekannten kubanischen Filmschaffenden angehören. Eine Aussprache mit der stellvertretenden Kulturministerin blieb ohne Ergebnis. Auf unzählige Vorstösse und Bittschriften der Asamblea sei die einzige Antwort des Kulturministeriums: Schweigen. «Wir sind nicht verboten, aber für das offizielle Kuba existieren wir schlicht nicht», sagt Fernando Pérez lachend. Auf die Frage, ob man sagen könne, dass seine oberste Priorität derzeit seine Aktivität in der Asamblea sei, ist seine Antwort deutlich: «Ich wäre froh, wenn du das genau so schreibst.»
«La vida es silbar» und vier weitere Filme von Fernando Pérez sind bei Filmingo im Streaming erhältlich.