PKK-Entwaffnung: Schachzug oder Kapitulation?
Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen: Während die Welt in Aufrüstungswettläufe verfällt, wollen PKK-Kämpfer:innen diese Woche im nordirakischen Sulaimaniyya damit beginnen, ihre Waffen niederzulegen. Die ursprünglich für Dienstag geplante, öffentlichkeitswirksame Zeremonie wurde kurzfristig auf Freitag verschoben und soll nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, angeblich aus Sicherheitsgründen.
Dieser Schritt spiegelt die Entwicklung der Annäherung zwischen der Türkei und der PKK wider: Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt, ohne Einbindung der Zivilgesellschaft – ein klassischer Top-down-Prozess, wie die Friedensforscherin Bahar Baser von der Durham University in England analysiert. Anders als im Friedensprozess von 2013 bis 2015, als zumindest der Versuch unternommen wurde, Teile der Zivilgesellschaft einzubeziehen.
Die Türkei hat sowohl innen- als auch aussenpolitisch ein grosses Interesse an einem Ende des Konflikts: Innenpolitisch ist die CHP unter dem verhafteten Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu zur Hauptfeindin der AKP avanciert, aussenpolitisch signalisiert Israel mit Angriffen auf türkische Militärbasen unmissverständlich, dass es türkische Ambitionen in Syrien nicht dulden wird. Kriege in Gaza, im Iran und in der Ukraine erschüttern die Stabilität in der Region, und die PKK soll da zumindest nicht auch noch als Gegner auftreten.
Die PKK wiederum sieht ihre Ziele teilweise erfüllt: Seit den achtziger Jahren hat sie das kurdische Selbstbewusstsein gestärkt, die türkische Assimilierungspolitik gilt als gescheitert. Nun will sie ihre Anliegen auf politischem Weg weiterverfolgen. Die politische Soziologin Rosa Burç sieht die Waffenruhe nicht als Kapitulation, sondern als strategische Neuausrichtung. Im Gespräch mit der WOZ betonte sie im Dezember 2024, der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan übernehme eine neue historische Rolle: Nachdem das Überleben der kurdischen Identität gesichert sei, gehe es nun darum, den Kampf in die Zivilgesellschaft zu verlagern – denn Waffen stünden Allianzen mit oppositionellen Kräften in der Türkei im Weg.
Auch der Krieg in Gaza spielt laut Friedensforscherin Baser eine Rolle in der Neuausrichtung der PKK. Israels Verbrechen im Gazastreifen hätten gezeigt, wie Staaten unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung massive Menschenrechtsverletzungen begehen könnten, ohne wirksame internationale Intervention. Das zeige, wie verletzlich auch die Kurd:innen seien, trotz gelegentlicher internationaler Unterstützung. Schon während der türkischen Besetzung Afrins war zu beobachten, dass die internationale Gemeinschaft nicht eingreift, wenn Völkerrecht verletzt wird. Gleichzeitig ist in Rojava ein Rückzugsort entstanden, in dem die PYD versucht, Öcalans Konzept des «demokratischen Konföderalismus» praktisch umzusetzen.
Fest steht: Ein gerechter und dauerhafter Frieden zwischen der Türkei und der PKK braucht mehr als eine einseitige, symbolische Waffenruhe. Er muss historische Ungerechtigkeiten anerkennen, strukturelle Ungleichheiten beseitigen und ein gleichberechtigtes Zusammenleben ermöglichen. Ob die Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan dazu bereit ist, bleibt fraglich.