Femizide im Iran: Das Regime gegen die Frauen
Wenn im Iran Frauen ermordet werden, findet das meist kaum Beachtung. Jetzt wurde gar ein Gesetzesentwurf zur Gewaltprävention zurückgezogen.
Der Mörder kam tagsüber: Eliana Kuhi war Mitte Mai mit ihrer Mutter in der südiranischen Stadt Firusabad unterwegs, als ihr Partner beide mit einem Messer angriff. Die 23-Jährige und ihre 45-jährige Mutter verstarben kurze Zeit später im Spital. Der Mörder wurde bald darauf gefasst. Als Grund für seine Tat gab er an: Eliana Kuhi habe sich scheiden lassen wollen. Bisher gab es keinen Aufschrei über diesen doppelten Femizid – dass in der Islamischen Republik Frauen wegen ihres Geschlechts ermordet werden, ist beinahe alltäglich.
Die staatlichen Medien beschränken sich meist auf Kurzmeldungen; und es gibt auch keine offizielle Statistik dazu, wie oft Familienmitglieder oder Partner Frauen oder Mädchen umbringen, weil sie deren Lebensweise als Verstoss gegen islamische Normen erachten. Hinzu kommen politische Femizide wie derjenige an Mahsa Jina Amini. Die 22-jährige Kurdin starb im September 2022, nachdem die Sittenpolizei sie wegen eines zu locker sitzenden Kopftuchs festgenommen hatte. Ihr Tod löste die grösste Protestbewegung der jüngeren iranischen Geschichte aus.
Eigentum des Mannes
Die wenigen unabhängigen Medien im Land berichten nahezu täglich über Femizide. Das Nachrichtenportal «Khabar Online» meldete im Februar, dass in den letzten zwei Januarwochen sieben Frauen von ihren Vätern oder Partnern ermordet worden seien. Laut dem Sender Radio Farda wurde 2024 im Iran jeden zweiten Tag eine Frau wegen ihres Geschlechts ermordet. Die Initiative «Stop femicide Iran» zählte im gleichen Zeitraum 172 Femizide. 2023 dokumentierte die Initiative 149 Femizide.
Die regimetreue Justiz habe kein Interesse daran, die Fälle aufzuklären, sagt die in Berlin lebende iranische Menschenrechtsaktivistin und Künstlerin Mina Khani. Sie schätzt die Dunkelziffer als wesentlich höher ein, denn viele Morde würden als Suizid oder Unfall gemeldet. Khani arbeitet für die Menschenrechtsorganisation Hengaw, die Fälle von Femiziden in der Islamischen Republik sammelt und veröffentlicht. Hengaw zählte alleine im April dieses Jahres 31 Femizide. Oft melden sich die Angehörigen ermordeter Frauen bei der Organisation, die dann recherchiert und die Namen der Toten veröffentlicht. Die Frauen sollen nicht namenlos bleiben, ihr Schicksal bekommt so wenigstens ein Gesicht.
Zwei Beispiele: Im März wurde Farsaneh Moradi in der westiranischen Stadt Kusaran von ihrem Mann erschossen. Die dreissigjährige Mutter zweier Kinder war im achten Monat schwanger mit Zwillingen. Als der Mann erfuhr, dass einer der Föten ein Mädchen war, habe er zur Waffe gegriffen. Auch die Ungeborenen starben. Am 30. April wurde Fatemeh Barchordari von ihrem Mann ermordet. Die Lehrerin hatte sich von ihm getrennt und die Scheidung beantragt. Er erschoss sie am helllichten Tag und wurde anschliessend verhaftet.
Seit langem fordern Aktivist:innen staatlichen Schutz für Frauen und Mädchen. Doch wirklich öffentliche Aufmerksamkeit hat das Thema erst mit dem Mord an Romina Aschrafi erhalten. Ihr Fall sorgte 2020 unter dem Hashtag #RominaAshrafi für einen Aufschrei im Netz. Die vierzehnjährige Aschrafi war im Jahr 2020 mit einem 35 Jahre alten Mann davongelaufen. Nachdem die Polizei die beiden aufgegriffen hatte, holte der Vater die Jugendliche zurück zur Familie nach Talesch im Nordiran – obwohl das Mädchen der Polizei gesagt habe, sich vor ihrem gewalttätigen Vater zu fürchten.
Am nächsten Tag lag sie tot im Bett. Ihr Vater hatte sie im Schlaf enthauptet. Vor seiner Tat hatte er gemäss Medienberichten einen Anwalt angerufen, um zu erfahren, welche Strafe ihm nach der Ausübung seines Vorhabens drohe. So gut wie keine, habe dieser geantwortet. «Die Kinder sind das Eigentum des Vaters», so lautet gemäss Khani das patriarchalische Selbstverständnis der Konservativen.
Von konservativen Geistlichen erhielt Aschrafis Vater denn auch Unterstützung. So sagte etwa Musa Ghasanfar Abadi, Vorsitzender des parlamentarischen Rechtsausschusses: «Wir können ihn nicht hinrichten, weil das gegen das islamische Recht verstossen würde.» Wohl auch wegen der internationalen Aufmerksamkeit wurde der Mörder schliesslich zu neun Jahren Haft verurteilt. Der damalige Präsident Hassan Rohani forderte das Kabinett auf, die Verabschiedung strengerer Gesetze gegen Femizide zu beschleunigen – ein Projekt mit dem Namen «Prävention von Gewalt gegen Frauen» war davor seit 2011 im Parlament zwischen den Gremien hin- und hergeschoben worden.
Anfang Mai dieses Jahres hat die Regierung das Vorhaben, das Strafen für körperliche Misshandlung verschärfen sollte, zurückgezogen. Das Regime unterlässt nicht nur Massnahmen zur Verhinderung der Gewalt, sondern versucht auch immer wieder, Frauen mit neuen Gesetzen unter Druck zu setzen. So sollten etwa nach der Niederschlagung der «Frau, Leben, Freiheit»-Bewegung von 2022 mit einem neuen Hidschabgesetz die Strafen gegen Frauen verschärft werden, die sich ohne Kopfbedeckung auf die Strasse wagen. Am Sonntag wurde bekannt, dass der Sicherheitsrat die Umsetzung des Vorhabens gestoppt hat. Es hätte schon im Dezember in Kraft treten sollen, stiess jedoch vor allem in grossen Städten auf vehementen Widerstand. Frauen zeigten sich demonstrativ ohne Kopftuch, das Thema sorgte für Auseinandersetzungen zwischen dem als gemässigt geltenden Präsidenten Massud Peseschkian und den Hardlinern.
Bei der Tötung von Frauen und Mädchen unterscheidet das Regime weiterhin zwischen «Ehrenmorden» und anderen Morden. «Ehrenmorde» werden oft milde oder gar nicht bestraft. Väter und Grossväter gelten zudem als gesetzliche Vormunde eines Kindes – und sind damit gemäss islamischem Recht von der Todesstrafe ausgenommen. Einer Mutter, die ihr Kind tötet, droht hingegen die Hinrichtung.
Ein Gesetz stellt es zudem einem Vater frei, den Mörder seines Kindes zu begnadigen, wenn dieser aus «Ehrgründen» getötet hat. 2022 wurde die siebzehnjährige Mona Heydari, Mutter eines dreijährigen Kindes, in der südwestiranischen Stadt Ahwas von ihrem Ehemann enthauptet. Heydari war vor ihm geflohen, nachdem ihr die Scheidung verweigert worden war. Ihr Vater half, sie zurückzubringen. Und er begnadigte den Ehemann, nachdem dieser den abgetrennten Kopf seiner Ehefrau auf der Strasse zur Schau gestellt hatte. Wohl wegen dieses grausamen öffentlichen Auftritts wurde der Täter trotz der Begnadigung zu acht Jahren Haft verurteilt.
Frauen leisten trotzdem Widerstand
Der iranische Anwalt Saeed Dehghan bilanzierte in einem Interview mit der «Deutschen Welle»: Solange die Verfassung vorschreibe, dass alle Gesetze auf der Scharia basieren müssten, sei bei den Femiziden kein Rückgang zu erwarten. Schärfere Gesetze müsste im Iran auch der ultrakonservative Wächterrat billigen. Er kann Gesetze mit der Begründung ablehnen, sie seien mit der Scharia unvereinbar.
«Es gibt keinen staatlichen Schutz», sagt Aktivistin Khani. Die wenigen Frauenhäuser würden von privaten Organisationen betrieben und gleichzeitig vom Staat überwacht. Zwar schafften Aktivist:innen mit ihren wenigen Mitteln Schutzräume für Betroffene. «Aber das sind individuelle Kämpfer:innen, das ist keine strukturelle Herangehensweise.»
Gerade deswegen, so Khani, sei der Widerstand der Frauen gegen das Regime so beeindruckend. «Trotz der schwierigen Lage kämpfen sie weiter.» Sie sagt aber auch: «Innerhalb des Systems wird es keine Verbesserung geben. Dieser Staat basiert auf der Unterdrückung der Frauen. Sollte das korrigiert werden, hätten wir ein anderes System.»
Genau das wollen die iranischen Machthaber verhindern.