Der missratene Sohn: Die Rache des Enterbten

Nr. 30 –

Er wird in eine schwerreiche Ostschweizer Fabrikantendynastie geboren. Als Erwachsener handelt er mit Autos und Schmuck, er liebt Schlägereien und Schiessereien. Nachdem sein Vater den Kontakt zu ihm abgebrochen und ihn enterbt hat, heuert er einen Killer an.


Wegen eines Mordes vor elf Jahren und anderer Taten steht H. zusammen mit einem Komplizen vor Gericht. Verurteilt wird er aber wegen einer anderen Geschichte, die er aus Wut über seine Enterbung eingefädelt hat. Die Kippe einer Zigarette bringt die Sache ins Rollen.

H. ist der Enkel des Gründers einer legendären Fabrik in der Ostschweiz. Auf diese soziale Herkunft verweist die Anklage schon im ersten Satz. An zwei milden Vorfrühlingstagen im Februar dieses Jahres wird er - wie ein noch nicht ganz zahmer Tanzbär an den Füssen zusammengekettet - dem Gericht in der Thurgauer Provinz vorgeführt. Draussen vor dem spätbarocken Rathaus Bischofszell stehen Polizisten. Drinnen im Gerichtssaal sind auch welche. Zulass zum Gerichtssaal gibts nur nach eingehender Sicherheitskontrolle. Auch H.s Komplize ist in schwere Ketten gelegt. Beide sind des Mordes und diverser anderer schwerer Delikte beschuldigt. Das Tötungsdelikt, das ihnen zur Last gelegt wird, geschah vor elf Jahren.

Unter dringendem Mordverdacht

H. geriet bereits einen Tag nach der Tat unter dringenden Verdacht. Der Getötete war ein enger Freund. H. wurde in Untersuchungshaft gesetzt, kurz darauf aber wieder frei gelassen. Eine Woche später nochmals das gleiche Prozedere: Die Polizei hatte herausgefunden, dass der Getötete zugunsten von H. eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte. Erst 2003 schnappte die Falle zu. Denn der Komplize hatte in eigener Regie einen Raubüberfall begangen.

Die Polizei glich DNA-Spuren, die bei diesem Delikt hinterlassen wurden, routinemässig mit denen auf einer Zigarettenkippe ab, die 1997 am Tatort des Mordes gefunden worden war. Die DNA stammte in beiden Fällen vom Komplizen. Unter dem Druck dieses Indizes packte er aus und beschuldigte - um die eigene Haut zu retten - H., den Mord am gemeinsamen Kumpel verübt zu haben. Er sei mit H. und dem Opfer zwar zum Tatort gefahren, habe aber vom Mordplan keine Ahnung gehabt. Das Gericht zweifelte nicht daran, dass einer der Angeklagten den Mord verübt haben musste oder beide zusammen. Doch für eine Verurteilung war die Indizienkette, die die Polizei lieferte, zu mangelhaft, auch die Ausführungen des Staatsanwaltes reichten nicht aus für einen Schuldspruch. Im Hauptanklagepunkt Mord wurden die beiden freigesprochen.

In zwielichtigen Etablissements

Trotzdem bekam H. eine neunjährige Freiheitsstrafe. Beim zweitägigen Prozess standen neben dem Tötungsdelikt weitere Straftaten zur Debatte; darunter ein geplanter Auftragsmord am eigenen Vater. In diesem und den anderen Anklagepunkten wurde er schuldig gesprochen.

«H. wuchs zuerst bei seinen Eltern und nach deren Scheidung - mutmasslich ab 1976 - bei seiner Mutter auf», heisst es in der Anklage. «Er besuchte die Primar- und dann eine private Sekundarschule.» Der 1971 in die Fabrikantendynastie Hineingeborene absolvierte eine Autoverkäuferlehre, die er abbrach. Eine zweite Ausbildung als Automonteur schloss er ab. Dann arbeitete er kurz in der Fabrik des Vaters, verkrachte sich aber innert Kürze mit ihm. Er habe sich irgendwie ausgestossen gefühlt, ergänzt der Angeklagte bei der richterlichen Befragung diesen Punkt seiner Biografie.

H. ging für fünf Monate zur Securitas, gründete danach eine eigene Bewachungsfirma, die in zwielichtigen Etablissements herumprügelte. Nach drei durchzogenen Jahren verkaufte er den Laden und begann mit Schmuck und Autos zu handeln. Seit einer Beizenschlägerei bezieht er eine Teil-IV-Rente. Die Anklage spricht von finanziellen Engpässen, die H. immer wieder gehabt habe. Sie schildert ihn als miesen Charakter. Er sei ein Waffennarr, Hochstapler und Schleicher. Zudem sei er habgierig, unehrlich, skrupellos, unberechenbar und gefährlich - ja gemeingefährlich. Er habe auch schon gesagt, dass er gerne Tamilen oder Asylanten erschiessen würde, und damit geprahlt, es sei für ihn kein Problem, einen umzulassen. Er habe geprotzt, was für ein harter Siech er sei, und dies durch Herumschiessen und Schlägereien unter Beweis gestellt. Er habe den Leitspruch verbreitet: Gott straft sofort, der H. viel schneller. Der millionenschwere Vater von H. gewann schon früher den gleichen Eindruck. Er brach den Kontakt zum Sohn ab.

Der Ermordete war «wie ein Bruder»

«Er hat ihn kurzerhand enterbt», sagt der Verteidiger von H. Die Sprüche, die sein Mandant so klopfe, seien nicht vom Feinsten, räumt er ein. «Aber ein Mörder ist er deswegen nicht, niemals.» Am Tatort des Mordes vor elf Jahren gebe es auch nicht die geringste Spur von ihm. Zudem seien die leeren Patronenhülsen, die zum Kaliber passten, mit dem das Opfer erschossen worden sei, nicht bei seinem Mandanten, sondern beim anderen Angeklagten gefunden worden. H. habe dem Getöteten immer wieder geholfen. «Das ist mein Chummerbueb», habe er des Öfteren in seinem Bekanntenkreis herumerzählt. Der Ermordete habe zu ihm aufgeschaut wie zu einem grossen Bruder. Auch habe er niemanden zu einem Mord angestiftet. Warum auch - es gebe keine Motive, dafür umso mehr Widersprüche in den Aussagen der Belastungszeugen.

H. äussert sich in der Befragung durch das Gericht zurückhaltend. Er sagt nur dann etwas, wenn es zu seinem Vorteil ist. Was er verlauten lässt, ist abgewogen und intelligent. Er ist hoch konzentriert. Rüde Sprüche scheinen nicht seine Sache zu sein. Moral schon eher. «Mit dem Mord habe ich nichts zu tun», deklamiert er. «So etwas ist mir einfach zuwider.» Warum überhaupt hätte er denn seinen Kumpel umlassen sollen, fragt H. Dieser habe ihm doch viel Geld geschuldet. Er habe es aber brav zurückgezahlt - Rate um Rate. Sei ein lieber Kerl gewesen. Wo also soll denn bitte sein Motiv für diesen Mord liegen? Das müsse man ihm einmal erklären.

Auftragsmord im Jagdhaus

Beim Vorwurf der Anstiftung zum Mord am Vater wird es für den Angeklagten eng. Er wirkt plötzlich unsicher und räumt ein, dass es ihn schon genervt habe, vom Vater enterbt worden zu sein. Aber ihn deswegen gleich töten lassen - nein! Das Verhältnis zum Vater sei schlecht. Wenige Male nur sei er mit ihm auf die Jagd gegangen. Sie hätten immer nur gestritten. Rachegefühle gegenüber dem Vater, der ihn enterbte, kann H. nicht verbergen. Und der Vater fürchtet sich vor ihm. Beim Gericht liegt ein Brief, worin dieser die Bitte äussert, den Junior doch so lange einzusperren, bis er, der Vater dieses Missratenen, gestorben sei.

Die Anklage beruft sich im Punkt der Mordanstiftung auf vier voneinander unabhängige Zeugen. Sogar die Schwiegereltern von H. hätten dessen Vater vor den Mordabsichten des Sohnes gewarnt. Einer Halbschwester habe er erzählt, man müsse den Alten endlich umlassen, der lebe eh schon zu lange. Als Joker präsentiert der Staatsanwalt die Aussagen eines Deutschen - er sei der angeheuerte Auftragskiller. H. habe ihm 300 000 Franken geboten für den Job und genau erklärt, wie er vorgehen müsse: Der Vater besitze ein einsames Jagdhaus an der Thur, dort halte er sich oft auf. Der frühe Morgen eigne sich am besten für den Mord. Da sitze er jeweils auf der Veranda und trinke Kaffee. Es müsse aussehen wie ein Jagdunfall oder wie ein Raubüberfall. Das Gewehr samt Schalldämpfer werde geliefert. Der Deutsche hat laut Staatsanwalt vom Angeklagten Wegskizzen und Fotos vom Jagdhaus erhalten. Damit ging er aber nicht bei Tagesanbruch an die Thur, sondern zur Polizei.

«Alles Blödsinn», widerspricht H. So ernst habe er die Enterbung nun auch wieder nicht genommen. Wenn der Vater sterbe, bekäme er ja den Pflichtteil. Das sei immer noch genug - laut Verteidiger «ein ansehnlicher Betrag». Rachsucht und Geldgier eines Enterbten schienen dem Gericht kein abwegiges Motiv. Es erachtete den Beweis für die Mordanstiftung als erbracht. Es liege eine überraschende Vielzahl von Details für die Ausführung der anzustiftenden Tat vor, heisst es dazu in der Urteilsbegründung. Und weiter: «Es wurde dem Anzustiftenden geradezu ein Rezept vermittelt, wie er die Tat ausführen solle.»

Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil des Bezirksgerichts Bischofszell Berufung ein. H. stand am 8. Juli vor dem Obergericht des Kantons Thurgau. Das Urteil der zweiten Instanz war vor Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

Der Vater lebt immer noch. Er hat die berühmte Fabrik, die er geerbt hatte, nach und nach an einen Konzern in Italien verkauft. Heute ist er Privatier und verfügt über ein Vermögen in zweistelliger Millionenhöhe.