Militärflugshow: Kriegsspiele auf der Axalp

Nr. 42 –

Einmal im Jahr wird die abgelegene Axalp zum Kriegsschauplatz: Die Leistungsschau der Schweizer Luftwaffe zieht Tausende von Flugfans an – und vertreibt TouristInnen und Tiere.


Militärhelikopter kreisen am Himmel, über Tannenwipfeln tauchen Fallschirmaufklärer auf, wie dunkle Pfeile düsen F/A-18-Flieger über Felsen hinaus und jagen einzeln oder in Staffeln über Alphütten, knorrige Bergahorne, Wanderer, Älplerinnen und Kühe hinweg. Ein ohrenbetäubendes Krachen, ein Grollen und Tosen – es ist, als würde der Himmel entzweigerissen, als stürzten die Berge ein. Ab und zu mischt sich zum Ganzen ein stakkatoähnliches Rattern von F/A-18-Kanonen, die auf den Flugschiessplatz im Axalper Lütschental feuern. Oder stammt dieser Lärm von der Minenbrandmunition?

Es ist der Tag der Schweizer Luftwaffe, der Tag der Flugdemonstration. «2200 Meter über Meer, auf dem höchstgelegenen Fliegerschiessplatz Europas, können Zuschauer eine Flugshow bewundern, welche im prächtigen Alpen-Panorama eine Aviatik-Performance seinesgleichen weltweit sucht», wirbt die unter Spardruck stehende Schweizer Luftwaffe auf der Website.

Die Kampfjets fast berühren

Wirklich schön ist er gelegen, der militärische Fliegerschiessplatz, wie eine Narbe zwischen den Naturschutzgebieten Oltscheren und Schwarzhorn, inmitten zahlreicher verlassener, unwegsamer Schluchten und Täler. Ein Lebensraum nicht nur für Wild, sondern auch für Luchs, Adler und Rebhuhn. Mit Auto, Wohnmobil, Töff, Car oder Postauto kommen rund 8000 Flugfans aus der Schweiz und ganz Europa angereist, harren schon in aller Frühe auf dem engen Axalpsträsschen im Stau, stehen mit Rucksack und Wanderstöcken stundenlang an der Sesselbahn an (die sonst nur im Winter geöffnet ist) oder reihen sich ein in die Kolonne von Leuten, die den rund zweistündigen Marsch ins Militärgebiet im Gebirge selbst unter die Füsse nehmen.

Weshalb tut man sich das an? «Die Technologie und Leistung der Kampfjets sind einfach beeindruckend», schwärmt René Walti, der seit zehn Jahren an die Flugdemo auf der Axalp pilgert und überzeugt ist, dass es die Luftwaffe genauso braucht wie die Autobahnpolizei. Auch für Vladimir und Pavel, die mit dem Auto aus Polen angereist sind, ist es nicht die erste Flugdemonstration auf der Axalp. «Wir gehen an möglichst jede Militärflugshow – in den Bergen ist ein solcher Event besonders eindrücklich.» Auch ein Niederländer ist vom «einmaligen» Anlass begeistert: «Hier oben kann man die Kampfjets fast berühren.»

Die achtzehnjährige Lucienne mit den rot gefärbten Haaren kommt vor allem wegen des «Tons» der Kampfjets. Honey, eine aus Bern angereiste Touristin aus Malaysia, ist da, weil sie nicht wusste, dass es so etwas in der Schweiz überhaupt gibt. «Die Schweiz hat ja noch nie Krieg geführt, oder?»

«Die jährliche Axalp-Shooting-Range bietet Berggängern sowie Aviatik-Freaks eine Möglichkeit, Fliegerkunst in der alpinen Natur zu erleben», so die Schweizer Luftwaffe. Doch längst nicht alle Flugfans sind Wandervögel. Im Gras ausgestreckt liegt eine achtzigjährige Frau neben dem Wanderweg, sie wird von ihrem Mann und ihrer Tochter mit getrockneten Aprikosen aufgepäppelt. Andere ziehen sich mit letzter Kraft an dem vom Militär installierten Seil das Steilstück über den Grat hoch. Schwitzen, Stöhnen, Schnaufen für die Kampfjets – man will ihnen beim Vorbeidonnern möglichst nahe sein.

«Nur die Flieger kriegen mich hier den Berg rauf», sagt der 62-jährige Ernst Bertschiger keuchend. Als Kind habe er jede freie Minute beim Flughafen Dübendorf verbracht, erzählt er und schwelgt in Erinnerung an die Zeiten des in der Schweiz gebauten P-16 und der Raketenstarts der Mirage. Kein Problem mit dem Massenauflauf in den Bergen? «Ist doch schön, dass die Leute in die Natur gehen. Es hat doch Platz genug», sagt sein Sohn mit der Spiegelbrille.

Auch der 39-jährigen Schwyzer Flugangestellten Andrea Henger gefällt der Rummel. «Das gehört dazu, das braucht es für die Stimmung», sagt sie. «Die Rehlein tun einem schon leid, doch manchmal will man einfach Fun und nicht überlegen.» Am 1. August sei ja jeweils auch eine Knallerei. Mehr Verständnis für die FluggegnerInnen zeigt ein Mann aus Steffisburg. Er begreife die Einwohner von Brienz und Umgebung, die sich über den Fluglärm beklagten, sagt er. «Es ist wirklich unzumutbar.» Klar sei es paradox, wenn man trotzdem zur Flugshow komme, aber es sei halt einfach eine Attraktion.

Bereits lange vor Beginn der neunzigminütigen Flugshow sind die Hänge des Axalphorns und des Tschingels dicht bevölkert. Im Rücken der ZuschauerInnen fällt die Felswand senkrecht zum Brienzersee ab, vor ihnen das Lütschental mit den orangen Zielscheiben. Dort, wo sonst Gämsen grasen, herrscht Open-Air-Stimmung. An Ständen können die ZuschauerInnen nach dem Marsch mit Bier, Mineral und Bratwürsten Energie tanken. Familien mit Kindern, alte Männer und Frauen sowie Jugendliche haben ihre Picknickdecke oder ihr Badetuch ausgebreitet, ihren Klappstuhl aufgestellt, aus den Lautsprecherboxen dröhnen abwechselnd Ländlermusik und Hip-Hop.

«Heute ist das Fest der Eidgenossen», ruft ein Zuschauer. Nur der Hund mit dem Pamir, dem Gehörschutz der Schweizer Armee, auf den Ohren scheint nicht so richtig in Stimmung zu kommen.

«Halten wir diesen Ort sauber!»

Punkt 14 Uhr wird die Show, untermalt von theatralischer klassischer Musik, mit den lautesten Maschinen der Luftwaffe eröffnet, den F/A-18. Hier oben werden die sonst umstrittenen Kampfjets jubelnd begrüsst, es wird gewunken, gestaunt und geknipst, als sie rund 200 Meter über die Köpfe der ZuschauerInnen hinwegdröhnen.

Es folgen Showelemente mit dem F-5 Tiger, dem Pilatus-Trainingsflugzeug PC-21, dem Eurocopter, dem Super-Puma und der Fallschirmaufklärer-Kompanie 17. Die Patrouille Suisse zeichnet ein riesiges Herz in den Herbsthimmel, führt die Formationen «Roger Federer» und «Alinghi» vor.

Dazwischen immer wieder der Kommentar des Moderators, der die ZuschauerInnen darauf hinweist, aus welcher Himmelsrichtung die Maschinen anfliegen. Süden, Norden, Osten, Westen – orientierungslos sucht manch eineR den Himmel ab. Die gut gelaunte Stimme aus dem Lautsprecher erklärt auch, dass der F/A-18 mit 800 Stundenkilometern ganze 1500 Schuss pro Minute in die Zielscheiben im Tal abfeuert. Dazwischen macht er Werbung für den Beruf des Militärpiloten und den Kauf neuer Kampfjets.

Der Moderator fordert die ZuschauerInnen auch auf, den Abfall in die dafür vorgesehenen Behälter zu werfen: «Sie helfen uns damit, diesen wunderbaren Ort sauber zu halten.» Als käme es angesichts dieser monströsen Militärparade in den Bergen nur auf die paar Flaschen und das Schokoladenpapier an.

Was kostet diese Show?

Nach einem Tag ist der Spuk vorbei. Während die Flugshow am Mittwoch der vergangenen Woche bei prächtigem Wanderwetter stattfindet, muss jene am Donnerstag wegen schlechten Wetters abgesagt werden. Trainiert wurde am Morgen trotzdem nochmals. Dann hört man noch ein paar Tage die Militärhelikopter, die ununterbrochen Toi-Toi-Toiletten, Zelte und anderes Material ins Tal runterfliegen, dann schliesslich nur noch das Kuhglockengebimmel – und den sonst üblichen Fluglärm vom nahe gelegenen Militärflugplatz Meiringen.

Was kostet diese Show, möchte man gerne vom Sprecher der Luftwaffe wissen. Aber der Fluglärm verhindert das Gespräch mit Jürg Nussbaum zweimal. Für die Fliegerdemonstration auf der Axalp verfüge man über ein Budget von rund 80 000 Franken für Versicherungen, Infrastruktur wie etwa Zelte und Toiletten sowie für Repräsentationsausgaben wie Essen für geladene Gäste, sagt Jürg Nussbaum schliesslich.

Nur 80 000 Franken soll der Mega-Anlass kosten? «Die Flugaktivitäten verursachen keine Mehrkosten. Die Luftwaffe fliegt so oder so: Sei das nun in Form eines Trainings oder im Rahmen der Axalp-Fliegerdemonstration», sagt er lapidar. Laut Nussbaum würden auch die Helikopterpiloten ansonsten ein ordentliches Training absolvieren, was unter dem Strich keinen Unterschied mache, das Gesamtbudget der Luftwaffe von jährlich 520 Millionen Franken also nicht zusätzlich belaste. Von den Helikopterflügen für die rund 600 geladenen Gäste – darunter die Botschafter aus Deutschland, Polen, Russland und den USA – spricht er nicht.

Noch eine Frage drängt sich der Laiin auf. Weshalb schiessen die Kampfjets ins Tal, wenn im Zusammenhang mit der Luftwaffe doch immer von Wahrung der Luftsicherheit die Rede ist? «Im Falle von Luftverteidigung ist der Einsatz von Bordkanonen denkbar, auch zur Unterstützung des Heeres, sagt Nussbaum. Während auf dem 1942 von General Henri Guisan initiierten Schiessplatz früher noch mit den Huntern der Erdkampf mit Bombenabwürfen geübt wurde, verfügt die Schweizer Luftwaffe seit 1994, als diese Maschinen ersetzt wurden, über keine Erdkampfjets mehr.

Der Fliegerschiessplatz wird praktisch nur noch für die Flugshow in Beschlag genommen. Weshalb braucht es ihn denn noch? «Die Schweizer Kampfjets sind alle mit Zwanzigmillimeterkanonen ausgerüstet. Das Handling muss trainiert werden, will man das Know-how nicht verlieren», so Nussbaum. «Dafür ist der Fliegerschiessplatz Axalp bestens geeignet.»

«Mit Rauchpetarden einnebeln»

Auf der Axalp leben heute noch rund 25 EinwohnerInnen. Es gibt einen Laden, zwei Hotels, drei Restaurants, eine Sesselbahn, drei Skilifte und eine Reihe von Ferienhäusern. Im kleinen Ski- und Wandergebiet, wo TouristInnen eher Ruhe und Natur suchen, stösst die alljährliche Militärparade nicht nur auf Zustimmung. Doch viele sagen nichts, sind einfach froh um den kleinen Zustupf, den ihnen die Flugshow bringt. So auch die Bauern, die ihre Alpwiesen während des Anlasses zum Parken zur Verfügung stellen und sechs Franken pro Auto erhalten.

«Wir finden es gut, aber auch nur, weil wir Aktionäre der Sportbahnen Axalp sind», bringt es ein älterer einheimischer Chaletbesitzer und Ferienwohnungsvermieter auf den Punkt. Die Einnahmen während der Show würden helfen, die Defizite abzubauen. Schlimmer als den Fluganlass findet er den allgemeinen Fluglärm während der Saison. Klar schaffe der Militärflugplatz Meiringen ein paar Arbeitsplätze, doch das Ganze gehe auch auf Kosten des Tourismus.

«Während dieser zwei Tage verdienen wir zwar Geld mit Fluglärm. Aber was ist mit den anderen 363 Tagen? Danach fragt niemand», sagt Ruedi Rubi, Präsident des Hoteliervereins Brienz und Hotelbesitzer auf der Axalp. Die Flugshow bringe sehr viele Leute, doch sie rechtfertige sicher keinen unbeschränkten Flugverkehr, so Rubi. Der Hotelierverein hat kürzlich zusammen mit anderen Organisationen und der Interessengemeinschaft für weniger Fluglärm in der Alpenregion einen offenen Brief an den Bundesrat geschrieben, in dem er eine gerechtere Verteilung des Flugverkehrs auf die anderen Militärflughäfen fordert.

Die Axalp werde mittlerweile mit der Fliegerei in Zusammenhang gebracht, es gebe viele, die das interessiere, aber auch solche, die wegen des Lärms wieder abreisten oder gar nicht erst kämen, sagt Rubi. «Die Flugshow schadet uns mehr, als sie bringt», ist sein Bruder, der Ladenbesitzer Peter Rubi, überzeugt. Für ihn ist die Kapazitätsgrenze erreicht. In den letzten zehn Jahren hätte die Zahl der Flugfans kontinuierlich zugenommen. Vor rund vierzig Jahren habe man noch über die Völkerwanderung von 300 FlugshowbesucherInnen gestaunt, heute seien es mehrere Tausend.

«Es ist der Horror», sagt ein Älpler. «Am besten würde man die ganzen Zuschauer mit einer riesigen Petarde einnebeln.» Und auch ein Brienzer Ferienhausbesitzer wüsste, wie die «militärische Machtdemonstration» aufzuhalten wäre – einfach mit weissen Fahnen als Friedenszeichen über den Zielhang gehen und Kirchenlieder singen.

Doch für eine Bäuerin ist klar: Solange ein paar Leute ein bisschen Geld damit verdienen können, wird sich hier oben kein grosser Widerstand regen. «Der Tourismus braucht ganz klar die Flugdemonstration. Es ist eine Öffnung, es zieht Leute aus ganz Europa an», meint denn auch der Brienzer Kurvereinspräsident Ernst Martin Casagrande.

Über den Ort, wo sich heute der Fliegerschiessplatz befindet, gibt es eine Sage: Zum Dank für die gute Aufnahme verriet ein Zwerg den Älplern, dass beim Tschingel am Axalperberg ein Kristallschatz verborgen sei, der ihnen einst zu einem grossen Reichtum verhelfen könne, heisst es in den «Brienzer Sagen» von Albert Streich aus dem Jahr 1938. Gemäss dieser Sage fanden die Einheimischen an dieser Stelle zwar kleine Kristalle, doch der grosse Schatz blieb bisher verborgen. Wer heute nach dem Schatz sucht, muss aufpassen – es hat Blindgänger.