Immer und ewig: Marie de France

Nr. 28 –


«Marie ai nun, si sui de France» – «Ich heisse Marie und bin aus Frankreich». So signierte Marie de France in einem der drei von ihr bekannten Werke. Die Dichterin, über die kaum Biografisches gesichert ist, lebte in England und schrieb Altfranzösisch, was dort zu ihren Lebzeiten (und noch ein, zwei Jahrhunderte länger) zumindest die Sprache der Oberschicht war. Denn der Normanne Wilhelm der Eroberer hatte 1066 mit seinem Heer die Insel erobert.

Marie verfasste eine Verserzählung über das «Fegefeuer des heiligen Patrick», eine Sammlung von 102 Fabeln und – ihr berühmtestes Werk – einen Zyklus von zwölf «Lais». Diese Erzählungen in achtsilbigen Versen entstanden ums Jahr 1160. Sie speisen sich aus britannisch-keltischer Thematik, aus den Stoffen um den sagenhaften König Artus. Das Wunderbare spielt eine zentrale Rolle – und die Liebe. Mein Favorit unter den «Lais» ist «Chievrefoil» («Geissblatt»), das die unglückliche Liebe zwischen dem Königsneffen Tristan und der Königin Isolde besingt, die hier als Tristram und «la reïne» («die Königin») auftreten. Symbol ihrer Liebe sind Geissblatt und Haselstrauch, die sich gegenseitig umranken und stützen wie zwei Liebende. Trennt man sie, gehen sie ein. «D’euls deus fu il tut autresi / Cume del chievrefoil esteit / Ki a la codre se perneit: / Quant il s’i est laciez e pris / E tut entur le fust s’est mis, / Ensemble poënt bien durer, / Mes ki puis les voelt desevrer, / Li codres muert hastivement / E li chievrefoilz ensement. /‹Bele amie, si est de nus: / Ne vus sanz mei, ne jeo sanz vus›.» – «Schöne Freundin, so ist es mit uns: Sie nicht ohne mich, ich nicht ohne Sie.»

Man lese das laut, wies geschrieben steht, nur «ch» als «tsch» und die Endung «-ment» nasal, und man erhält einen Eindruck von dieser schönen Sprache und von Maries raffinierter Sprachkunst, die zu lesen sich auch heute lohnt. Denn die Liebe ist ewig und die Kunst manchmal auch.

Marie de France: Lais. Traduits, présentés et annotés par Laurence ­Harf-Lancner, texte édité par Karl Warnke. Librairie Générale Française. Paris 2008. 351 Seiten