«The Innocence of Muslims»: Der Orientalismus in unsern Köpfen

Nr. 38 –

Wer Parallelen zieht zwischen dem filmischen Machwerk gegen den Propheten Mohammed und der britischen Jesus-Satire «Monty Python’s Life of Brian», verrät viel über sich selbst.

Der Vergleich war schnell da. Kurz nachdem der diffamierende YouTube-Film «The Innocence of Muslims» einer grösseren Öffentlichkeit bekannt war und eine radikale Minderheit in arabischen Ländern mit Gewalt darauf reagierte, verglichen ihn KommentatorInnen mit der 1979 in England entstandenen Komödie «Monty Python’s Life of Brian». «The Innocence of Muslims» habe deutlich Anleihen bei der britischen Filmsatire gemacht, konnte man in der NZZ lesen. Und der Chefredaktor der Berner Tageszeitung «Der Bund» konstatierte: «Schon 1979 kam es nicht zu Mord, Totschlag und Brandschatzung, als der Film die Gemüter noch in Wallung brachte, und erst recht nicht heute, wo er, obzwar eine deftige Satire auf die Ursprünge des Christentums, kein Aufsehen mehr erregt.»

Der Vergleich ist in verschiedener Hinsicht falsch. Monty Pythons Film über Brian Cohen, der zur selben Zeit wie Jesus gelebt hat, ist eine witzig-böse Satire über die blinde Gefolgschaft von religiösen und politischen FanatikerInnen. Die Komikertruppe setzt sich darin aufklärerisch-kritisch mit der eigenen Gesellschaft und der eigenen Religion auseinander.

Solche Intentionen sind bei «The Innocence of Muslims» nicht auszumachen. Der vierzehnminütige Filmtrailer im Internet beabsichtigt einzig Provokation und Beleidigung. Er zeigt Mohammed als bärtigen Jüngling, der sabbernd Frauen betatscht, Knochen nagt wie ein wildes Tier und Andersgläubige niederstechen lässt. Am Ende ruft er mit blutverspritzter Kleidung und sein Schwert schwingend: «Alle Nichtmuslime sind Untreue, deren Länder, Frauen und Kinder sind unsere Beute.» Dann verschwindet Mohammed in Flammen.

Der Film ist in den USA entstanden und konstruiert ein «wir» der gesitteten, zivilisierten Europäerinnen und US-Amerikaner gegenüber «den anderen», den wilden, blutrünstigen und barbarischen Muslimen.

Während die Macher von «Life of Brian» ihre Autorenschaft sogar im Filmtitel kundtaten und so Verantwortung demonstrierten, kursierte «The Innocence of Muslims» unter einem Pseudonym im Internet. Hinter dem Film steht offenbar Nakoula Basseley Nakoula, ein wegen Scheckbetrugs verurteilter ultrarechter Tankwart. Ob er den Film gemeinsam mit einer rechten evangelikalen Gruppierung produziert hat, ist weiterhin unklar.

Die Stossrichtung ist offensichtlich: Das Christentum in seiner extremistisch ausgelegten Version sucht sich auf Kosten des Islam aufzuwerten. Der Angriff kommt ausgerechnet aus den USA – jenem Land, das viele muslimische Fundamentalisten seit längerem als grossen Feind ansehen. Muslimische Fundamentalisten, die die politisch instabile Lage in verschiedenen arabischen Ländern nach Kräften mitschüren. Und ausgerechnet in dieses Feuer giesst das Machwerk aus den USA auch noch Öl.

Als «Life of Brian» 1979 in die Kinos kam, liefen verschiedene christliche und jüdische Organisationen gegen das «blasphemische», «geschmacklose» und «verbrecherische» Werk Sturm. 2011 sagte Monty-Python-Regisseur Terry Jones in einem Interview: «Wir würden es uns heute zweimal überlegen, ob wir diesen Film drehen würden.» Die Rolle der Religion sei mit aller Macht in unsere Gesellschaft zurückgekehrt.

Ein Jahr bevor «The Life of Brian» in die Kinos kam, erschien Edward Saids Schrift «Orientalism». Der 1935 als palästinensischer Christ in Jerusalem geborene Literaturkritiker bezeichnet mit dem Begriff «Orientalismus» den eurozentrischen Blick des sogenannten Westens auf den sogenannten Orient. Der «Westen» sieht sich als die Zivilisation an sich, der «Orient» hingegen erscheint bedrohlich und mysteriös.

Das Konstrukt des Orientalismus bleibt im Westen auch heute verwurzelt. Dies wird in Kommentaren wie dem des «Bunds» und zahlreichen ähnlichen Analysen deutlich. Der Islam erscheint als rückständiges, unaufgeklärtes Gegenteil eines vermeintlich makellosen und moralisch überlegenen Westens. «The Innocence of Muslims» offenbart nicht nur die symbolische und physische Gewaltbereitschaft evangelikaler und islamischer Fundamentalisten. Er bringt auch ans Tageslicht, wie tief der Orientalismus in den Köpfen von ZeitungskommentatorInnen sitzt.