Porträt: Ich liebe die Welt!

Nr. 10 –

Visolela Rosa Namises kämpfte schon für ein unabhängiges und antirassistisches Namibia. Heute unterstützt die «Rosa Luxemburg von Namibia» junge Frauen dabei, sich selbstbewusst zu entwickeln.

Visolela Rosa Namises. Foto: Leila Dregger

Ihre schwarzgrauen Rastalocken ringeln sich bis zur Hüfte. Eine Provokation in Namibia, wo man im öffentlichen Leben wie aus dem Ei gepellt auftritt. Bei Visolela Rosa Namises ist es ein Akt des Widerstands: 2003 hatte Präsident Sam Nujoma angekündigt, alle Menschen mit Rastalocken festnehmen lassen zu wollen. Diese seien ein Zeichen von Homosexualität, und die gehöre bestraft. Visolela, damals Parlamentarierin der oppositionellen Kongressdemokraten, schwor, sich nicht mehr zu kämmen, bis diese Drohung vom Tisch sei. Ihr Protest zeigte Wirkung, und Nujoma musste einsehen, dass sich Homosexualität nicht durch Bestrafung abschaffen lässt.

Konspirative Grillpartys

«Wann immer Minderheiten, Frauen oder Andersdenkende bedroht werden, muss man etwas tun», sagt Visolela Namises. «Auch wenn man sich machtlos fühlt, allein dass es angesprochen wird, hilft.» Der lebenslange Drang, «etwas zu tun», brachte sie zuerst in den Unabhängigkeitskampf, später ins Gefängnis, ins Exil und ins Parlament. Er trug ihr auch einen Beinamen ein: Rosa Luxemburg von Namibia. Doch trotz Bewunderung für die polnische Revolutionärin ist ihr der eigene Geburtsname wichtiger. Visolela bedeutet: Ich liebe die Welt. Sie erhielt ihn von ihrem Vater, von dem sie lernte, dass Frausein nicht Unterwerfung bedeuten muss.

55 Jahre zurück: In Windhoek fährt ein Mann seine hochschwangere Frau mit dem Fahrrad in Richtung Krankenhaus. Sie kommen nie an. Am Fluss gebärt die Frau die erste gemeinsame Tochter. Überwältigt nimmt der Vater das kleine Bündel in den Arm und ruft: Visolela!

Dass sich die Eltern später trennen, ist nichts Aussergewöhnliches. In Namibia stehen Frauen mehr als vierzig Prozent aller Haushalte vor, die meisten sind alleinerziehende Mütter. Dass Visolela beim Vater bleibt, ist schon weniger normal. Ganz unüblich ist die Art, wie er sie aufzieht. «Er machte mir Frühstück und brachte mich zur Schule. Ich war liebevoll umsorgt, aber eben vom Vater.»

Anders als ihre Altersgenossinnen, die nach ihrer ersten Monatsblutung grausame Initiationsrituale durchlaufen, erhält sie vom Vater ein Fest geschenkt – eine Einweihung ins Frausein ohne Gewalt und Erniedrigung. Aufgewachsen in einem Klima der Einfühlsamkeit, gerät sie später in Kollision mit einem Land, das als «fünfte Kolonie Südafrikas» die Gesetze der Apartheid ebenso streng befolgte wie die Besatzungsmacht selbst.

Als Putzfrau, die die weissen Angestellten bittet, ihre Tassen selbst in die Küche zu tragen, wird sie zurechtgewiesen. Man macht Weissen keine Vorschläge. Als Krankenpflegerin, die nicht den Mund halten kann, wenn die weissen ÄrztInnen die PatientInnen verächtlich behandeln, kommt sie in ernsthafte Schwierigkeiten. Als sie sich in einen weissen Arzt verliebt und mit ihm Hand in Hand durch Windhoek spaziert, ist die Grenze endgültig überschritten. Er wird versetzt, sie wird entlassen – und zur Widerstandskämpferin. Für sie ist klar: Ein System, in dem die Liebe nicht möglich ist, gehört abgeschafft. Sie kämpft gegen die Apartheid und die Besatzung, wird Mitglied der Swapo, der namibischen Unabhängigkeitsbewegung.

«Als die Swapo verboten wurde, luden wir zu Grillpartys ein: Draussen feierten Gäste, drinnen trafen wir uns konspirativ.» Sie wird verraten und kommt ohne Prozess für vierzehn Monate ins Gefängnis. Anschliessend muss sie ins Exil; lebt, lernt und arbeitet in Europa und den USA. Erst nach der Unabhängigkeit 1990 kehrt sie zurück, bereit für den Aufbau eines freien Namibia.

«Ein ignoranter Männerklub!»

Doch es ist ein hartes Erwachen: «In Namibia werden jeden Tag Frauen geschlagen, vergewaltigt, umgebracht. Ich dachte damals, das würde sich jetzt ändern. Doch dann erzählte mir meine Schwester von den Verbrechen der Swapo an Frauen. Meine grossen Vorbilder sollten all das getan haben? Die autoritäre Regierungspolitik der Swapo sprach für sich. Die Swapo ist ein ignoranter Männerklub!»

Sie gibt die Politik auf – nicht aber ihr Engagement, arbeitet für eine Menschenrechtsorganisation, studiert Jura. «Doch ich konnte Frauen nur begrenzt helfen. Die Swapo blockierte neue Gesetze. Mir wurde klar, ich muss wieder in die Politik.»

Als ehemalige Mitglieder der Swapo-Jugend die Kongressdemokraten gründen, stellt sie sich zur Wahl und zieht ins Parlament ein. Drei Jahre kämpft sie für den Schutz von Frauen und Minderheiten. Sie wird bekannt als Sandkorn im Getriebe der immer diktatorischer regierenden Swapo. Als sie das Parlament verlässt, sagen selbst gegnerische Abgeordnete: «Es ist einsam ohne sie.»

Heute ist ihre Wohnung offen für Mädchen und junge Frauen, die ein Zuhause, Rat oder Essen brauchen. Sie will ein Frauenhaus in Windhoek gründen und konzipiert alternative Einweihungsrituale für Mädchen.

«Fünf Tage lang eignen sie sich Wissen über den weiblichen Körper, über Hygiene und Verhütung an, lernen ihre Rechte kennen und sprechen unter Frauen über ihre Träume. Am Ende gibt es ein Tanzfest mit jungen Männern, aber anders als bei klassischen Einweihungsfeiern müssen sie nicht passiv bleiben, sondern dürfen die Jungs auswählen.»

Schon jetzt beobachtet sie, dass sich Mädchen selbstbewusster entwickeln, wenn sie an dieser Schlüsselstelle ihres Lebens positive Erfahrungen machen. Sie will noch zu vielen Frauen und Mädchen sagen können: «Komm herein, zieh die Schuhe aus, nimm Platz. Dies ist ein Haus der Liebe, hier bist du sicher.»