Silvia Luckner (1957–2015): Ein klarer, reflektierter Blick auf die Welt

Nr. 33 –

Die Fotografin Silvia Luckner setzte auf die Kraft der dokumentarischen Fotografie und machte sich für bessere Arbeitsbedingungen in den Medien stark. Hommage an eine präsente Beobachterin und lebensfrohe Frau.

Wenn ich an Silvia Luckner denke, kommen mir zuerst zwei Begriffe in den Sinn – Präsenz und Diskretion. Sie war stets da, hat sich aber nie aufgedrängt. Am letzten Donnerstag ist Sile, wie alle Welt sie nannte, an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben, mit 58 Jahren, nur wenige Monate nach der Diagnose.

Silvia Luckner hat sich, das Bild sei erlaubt, als guter Stern während vieler Jahre um die WOZ bewegt, mal in grösserer Distanz, mal nah und hell. Manche WOZ-Reportage wurde durch ihre prägnanten Fotos bereichert, mindestens eines der legendären WOZ-Gruppenbilder stammt aus ihrer Hand. Vor allem hat sie immer wieder Urlaubsvertretungen in unserer Bildredaktion absolviert und war somit Mitgestalterin des Gesamtbilds der Zeitung.

Autodidaktisch zum Ziel

2006 war sie Kopf, Herz und Hand einer ambitionierten und erfolgreichen Fotoausstellung, «WOZ-Blicke», zum 25-jährigen Bestehen der Zeitung. Ich hatte das Privileg, mit ihr zusammen dieses Projekt vorzubereiten. Sie durchforstete unzählige alte Ausgaben auf der Suche nach infrage kommenden Fotos, legte diese einer Jury vor, die eine Auswahl traf, nahm Kontakt zu den FotografInnen in aller Welt auf und liess sich von diesen die Negative schicken, von denen sie neue Abzüge machen liess. Es folgten das Rahmen und die Einrichtung der Schau in der Zürcher Shedhalle – eine riesige Arbeit, die sie mit links bewältigte.

Für die Fotografie «angefixt» wurde Sile, die in Zürich aufgewachsen ist, schon in der Kindheit durch ihren Vater, einen ernsthaften Freizeitfotografen. Doch ihr Werdegang hin zur Fotografin, Redaktorin, Dozentin und Kuratorin verlief nicht direkt. Sie wurde zunächst Psychiatriepflegerin. Früh politisiert, interessierte sie sich für neue Ansätze in der Psychiatrie und wurde im Handumdrehen zur Mitgründerin eines sozialtherapeutischen Projekts für Jugendliche im Zürcher Oberland. Gleichzeitig gründete sie mit einer Gruppe Vertrauter das Painlich Theater. Von der Ad-hoc-Erarbeitung kurzer Szenen, gespielt zu politischen Anlässen aller Art, entwickelte sich die kleine Truppe zu einem erstaunlich langlebigen Projekt, das bald ganze Abende in den Alternativkulturorten der frühen achtziger Jahre bestritt.

Mitte der Achtziger bildete sich Silvia Luckner zur Fotografin aus, im Rahmen der Gruppe autodidaktischer Fotografen und Fotografinnen (GAF), einem damals ganz neuen Modell, in dem die angehenden Berufsleute die Inhalte der Ausbildung weitgehend selber bestimmten und sich auch die DozentInnen selber suchten.

Seit 1988 arbeitete sie für die Agentur Keystone, für «Finanz und Wirtschaft» und den «Tages-Anzeiger». Sie machte sich einen Namen als Vertreterin der Dokumentarfotografie, als diese Disziplin bereits deutlich im Niedergang war. Schon vor dem Wechsel der Zunft zur Digitalfotografie, geschweige denn der optischen Überflutung durch das Internet leisteten es sich immer weniger Qualitätsmedien, ein Netz freier FotografInnen zu pflegen (und anständig zu bezahlen).

Silvia Luckner hielt am Wert der Reportage fest, am nüchternen Bannen der Wirklichkeit auf einen Film oder einen elektronischen Datenträger. Die Fotografin ist sich ihrer AutorInnenschaft, ihrer Subjektivität bewusst, das Objektiv schafft notwendige Distanz, die Arbeit in der Dunkelkammer oder am Computer ist ein Eingriff, der die Absicht transparent macht, aber nicht überzeichnet: Reflektiertes Handwerk!

Das Wesentliche im Fokus

Mitte der Achtziger war Sile mit dem Zirkustheater Federlos nach Nigeria gereist, wo sie sich um Kasse und Küche kümmerte und alles mit der Kamera festhielt. Dieser Reise folgten über die Jahre weitere Aufenthalte in Westafrika. Eine Frucht dieser Reisen waren zwei Ausstellungen in Bern, wo sie eine Auswahl der Fotobiennale in Bamako, Mali, zeigte und so Einblicke in die aktuelle Fotografie Afrikas ermöglichte. Ihr Interesse für Kulturen war brennend. Weitere Reisen in andere Weltgegenden fanden Ausdruck in ihren Fotos. In einem langjährigen Nebenjob kümmerte sich Sile um die Dokumentation der Objekte des Zürcher Völkerkundemuseums.

Lange hat sich Silvia Luckner in der Gewerkschaft Syndicom engagiert, zuletzt als Kopräsidentin der Branche Presse und elektronische Medien. Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen war ihr selbstverständlich – nicht erst, nachdem ihr bei jeder der Massenentlassungen des «Tages-Anzeigers» der letzten Jahre gekündigt wurde, um dann zu schlechteren Konditionen wieder einen Job angeboten zu bekommen. Sile konnte auf Unrecht extrem zornig reagieren und hat ihre Meinung gegebenenfalls nie für sich behalten.

Wenn ich Sile manchmal erst nach Jahren wieder sah, verstanden wir uns sofort wieder. Zur Vertrautheit trug ihre drahtige, agile Erscheinung bei, stets in dezentes Schwarz gekleidet. Mehr noch ihre trockenen Sprüche, der verschmitzte Humor. Ihre bedingungslose Grosszügigkeit, ihre Gelassenheit angesichts von Hektik waren magisch. Ihre Fotos, die sie als Neujahrskarten verschickt hat, mit dem Gruss in unverwechselbar zackiger Schrift, vermisse ich schon jetzt. Und vieles mehr.

Jürg Fischer ist Gründungsmitglied des WOZ-Kollektivs. Er ist verantwortlich für
 das «KreuzWOZ»-Rätsel und – mit Karin 
Hoffsten – für die «WOZ News».