Auf allen Kanälen: Der Content ist König

Nr. 26 –

Immer mehr Unternehmen schaffen sich eigene Medien für Content Marketing und reduzieren so den Journalismus auf reine Formalität.

Seit diesem Frühjahr bietet die Schweizer JournalistInnenschule MAZ eine Weiterbildung in «Brand Journalism & Corporate Storytelling» an. Dabei werde, so Studienleiter Elmar zur Bonsen gegenüber dem Branchenportal «persoenlich.com», das Wissen bereitgestellt für den «Seitenwechsel» von JournalistInnen von unabhängigen Medien zu «corporate media». Das MAZ reagiert damit auf den steigenden Bedarf von Unternehmen an journalistischem Handwerk. Während die Medienhäuser serbeln, bauen immer mehr Unternehmen regelrechte Newsrooms auf. Die Tendenz geht von «paid media» hin zu «owned media» – übersetzt: Statt bezahlte Werbung auf den Inserateseiten von Zeitungen zu schalten, bauen Unternehmen eigene Medienplattformen auf.

«Content is king» heisst die Zauberformel in der Branche: Content Marketing ersetzt Werbeversprechen, die sich totgelaufen haben, und versucht, die Aufmerksamkeit und das Vertrauen der KundInnen mit interessanten Inhalten zu gewinnen, die nur beiläufig mit den beworbenen Produkten zu tun haben. Diese Inhalte kommen in journalistischer Aufmachung daher, als Reportagen, Features oder Porträts – hergestellt von AuftragsschreiberInnen im Dienst der werbenden Unternehmen.

Gestern Dutti, heute Red Bull

Das klingt wie Gottlieb Duttweilers «Brückenbauer» (heute: «Migros-Magazin»), der bereits 1942 gegründet wurde. Der Wein ist durchaus alt, doch es gibt heute weit mehr Schläuche: So hat sich etwa aus dem Getränkehändler Red Bull ein regelrechter Medienkonzern entwickelt, dessen Inhalte allesamt auf Red Bull fokussieren. Es geht um Abenteuer, Coolness und Risikobereitschaft. Red Bull gibt das Magazin «Bergwelten» heraus, betreibt einen Fernsehsender, einen eigenen Verlag und nicht zuletzt das «Red Bulletin», das sich nur halb ironisch als «fast unabhängig» bezeichnet.

Wie die deutsche Otto-Brenner-Stiftung der Gewerkschaft IG Metall in einer eben erschienenen Studie zeigt, bedienen sich alle im deutschen Aktienindex notierten Unternehmen des Content Marketing. Auch hiesige Unternehmen wie die CS, Swiss Re oder Geberit setzen in ihren Selbstdarstellungen zunehmend auf journalistisch anmutende Formate. Der international ausgeschriebene Best of Content Marketing Award geht regelmässig an Schweizer Firmen. Nestlé betreibt Seiten zu ausgewogener Ernährung und mit Kochrezepten, für die ABB bespielt eine Redaktion diverse Websites, und die Swisscom lässt «Top-Autoren» über die Chancen der Digitalisierung schreiben – solange es nicht, wie jüngst bei einem Beitrag des «Tages-Anzeiger»-Bloggers Reda El Arbi über den SVP-Politiker Andreas Glarner, zu politisch wird: Dann zeigt sich journalistische Schreibe als gekaufter Content und wird – auf Druck der Partei – subito gesperrt.

Atmosphäre herstellen

Während alte Firmenmagazine Kundentreue sichern sollten, sind aktuelle Content-Strategien stärker auf NeukundInnen ausgerichtet. Vor dem Kauf steht heute zunehmend eine Recherche im Internet. Ziel ist es, die KonsumentInnen auf dieser «journey» auf die eigenen Seiten zu lenken. Meist geht es darum, verkaufsfördernde «Werte» und «Assoziationen» zu vermitteln. Nur selten handelt es sich bei Content Marketing um blosse Produktwerbung, so wenn Unternehmen wie die Schweizer Consultingfirma Neosmart Consulting AG auf sehr objektiv daherkommenden Gesundheitsportalen en passant spezifische Produkte empfehlen.

Die Studie der Otto-Brenner-Stiftung ist nicht nur über plumpe Fallenbastelei besorgt, sondern primär über die Reduktion des Journalismus auf reine Formalität. Angesichts der Krise der klassischen Medien und der damit einhergehenden prekären Arbeitsbedingungen können sich Content Marketer zunehmend als «Markenjournalisten» inszenieren, die von besseren Arbeits- und damit auch Recherchebedingungen profitieren, finanziert durch ein «modernes Mäzenatentum».

Mit Folgen für das journalistische Ethos: Die Content Marketer, so hält die Studie fest, seien dabei, das Berufsbild des Journalismus in ihrem Interesse umzudeuten. Sie verstärken so Tendenzen, die auch im finanziell bedrängten Journalismus der klassischen Medienhäuser herrschen. Nicht mehr Kritik und Kontrolle stehen im Zentrum dieses neuen Journalismus, sondern die Herstellung von Atmosphäre für die Auftraggeber durch handwerklich gutes Storytelling.