Zum 8. März: Zufall, Einheit, Gleichheit

Nr. 9 –

Per Zufall bin ich erstens ein Mann und zweitens Vater einer kleinen Tochter. Der Zufall sollte dieses Jahr auch entscheiden, wer aus der WOZ-Redaktion diesen Artikel zum Internationalen Frauentag schreiben darf – oder vielmehr: muss. Denn jedes Jahr, wenn es wieder darum geht, die «8. März»-Nummer zu planen, kommt in der Redaktionskonferenz kollektiv verlegenes Schweigen auf.

Was soll man zu diesem Welttag denn noch Neues schreiben, wenn die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern – trotz langer Kämpfe und gewisser Fortschritte – von Jahr zu Jahr weiterbesteht; und wenn die Forderungen, um dies endlich zu ändern, aus linker Perspektive ebenfalls ungefähr dieselben bleiben?

Immerhin, dieses Jahr ist ein echtes Jubiläum. Vor hundert Jahren, am 8. März 1917 (dem 23. Februar gemäss julianischem Kalender), traten Tausende Arbeiterinnen in St. Petersburg in den Streik und ermöglichten so die Februarrevolution. Zu Ehren der entscheidenden Rolle dieser Russinnen wurde ein paar Jahre später der Internationale Frauentag überhaupt erst auf den 8. März gelegt. Vorreiterinnen waren hingegen US-Amerikanerinnen, die 1909 mit dem ersten Frauentag für das Frauenwahlrecht agitierten. Heute, ausgelöst durch die Wahl des bekennenden Frauen- und Minderheitenverachters Donald Trump zum US-Präsidenten, haben US-Aktivistinnen eine neue, fast schon globale Welle feministischen Widerstands in Bewegung gesetzt.

Die Situation in den USA, aber zunehmend auch in Europa, macht deutlich, warum der Kampf noch lange nicht vorbei sein kann; warum auch selbstverständlich erscheinende Fortschritte immer wieder aufs Neue verteidigt werden müssen. In Ungarn, Polen oder der Türkei sind Rückschritte bereits Realität. In den Niederlanden und Frankreich stehen in den kommenden Wochen Richtungswahlen an, die schon jetzt, während der Abwehrschlacht der etablierten Parteien gegen die extreme Rechte, zur Folge haben, dass feministische Anliegen unter die Räder kommen. In der Schweiz schliesslich müssen sich Frauen weiterhin mit deutlich tieferen Durchschnittslöhnen abfinden, sich gegen Alltagssexismus wappnen – und insbesondere gegen gezielte Angriffe auf Frauen- und andere Menschenrechte durch die wählerInnenstärkste Partei des Landes, die SVP. Solche Parteien zelebrieren – neben der Xenophobie – einen expliziten Antifeminismus, um bei ihrer Wählerschaft Statusverlusts- und Abstiegsängste zu bedienen und zu verstärken.

Doch auch die feministische Szene ist im Umbruch: durch das zunehmende Bewusstsein für Geschlechtsidentitäten jenseits der Frau-Mann-Dichotomie; durch die Stärkung von nichtweissen und nichtwestlichen Feminismen. Ob dies die Bewegung letztlich stärkt oder spaltet, ist noch nicht entschieden. Ein Test dafür war der «Women’s March on Washington» am Tag nach Trumps Amtseinführung, als der gut gemeinte Versuch, «die muslimische Amerikanerin» zum Symbol des Protests zu erheben, zu schmerzlichen Differenzen führte. Viele linke, liberale und säkulare Muslimas sahen im dafür verwendeten Bild – eine Frau mit Hidschab im US-Flaggen-Design – kein Symbol der Toleranz, sondern eines der Unterdrückung.

Nur eine starke, vereinte Bewegung kann die nach wie vor schreiende Ungleichheit der Geschlechter überwinden helfen. Ein solcher Wandel ist auch nur möglich, wenn Jungs und Männer mitmachen und neue Konzepte von Männlichkeit akzeptieren. Gemäss UN Women, der Frauenorganisation der Vereinten Nationen, würde es beim jetzigen Fortschrittstempo noch 50 Jahre dauern, um weltweit eine politische Gleichheit zu erreichen – und 170 Jahre, bis Frauen auch wirtschaftlich gleichgestellt wären. Die südafrikanische Chefin von UN Women ist zuversichtlich, dass diese Ziele bis 2030 erreichbar sind.

Meine Tochter wird dann ein Teenager sein. Vielleicht wird sie ihren Vater fragen, ob er dazu auch etwas beigetragen hat. Man sollte da nichts dem Zufall überlassen.