Die Internationale der AbtreibungsgegnerInnen: Die «Lebensschützer» wissen, wie Frauen sein müssen
Gemeinsam mit dem wachsenden Rechtspopulismus gewinnen auch die AbtreibungsgegnerInnen an Terrain. Sie sind länderübergreifend organisiert, verfügen über viel Geld und sitzen in wichtigen Positionen.
Sieben Tage nach dem Women’s March am 21. Januar fand in Washington ein anderer Marsch statt – der March for Life. Zum 44. Mal versammelten sich dort Ende Januar mehrere Tausend AbtreibungsgegnerInnen. Während Hunderttausende am Women’s March gegen reaktionäre Rückschritte, gegen Sexismus und die Präsidentschaft Donald Trumps protestierten, schöpfen die AnhängerInnen der «Pro Life»-Bewegung genau aus letzterer neue Hoffnung.
Zum ersten Mal nahmen an der Versammlung zwei hochrangige VertreterInnen des Weissen Hauses teil: Vizepräsident Mike Pence und Trump-Beraterin Kellyanne Conway. Pence versprach in seiner Rede: «Das Leben gewinnt wieder in Amerika!» Es sei eine grosse Ehre, als erster Vize diesem Treffen beizuwohnen. Conway wählte ihre Worte ebenso deutlich: «Wir hören euch. Wir sehen euch. Wir respektieren euch und wollen mit euch zusammenarbeiten.» Wie diese Zusammenarbeit aussieht, hatte Donald Trump bereits drei Tage nach seiner Amtseinführung gezeigt: Er liess die staatlichen Zuschüsse für die internationale Sektion von Planned Parenthood und andere Organisationen streichen, die im Ausland Frauen in Familienfragen beraten und auch Abtreibungen als Möglichkeit nennen.
Die «Pro Life»-Bewegung in den USA geht bis in die siebziger Jahre zurück – als 1974 ein Urteil des Obersten Gerichts Frauen das Recht auf Abtreibung garantierte. Seitdem inszenieren sich die AbtreibungsgegnerInnen als «LebensschützerInnen», wobei in verbal-aggressiver Rhetorik Abtreibung mit Mord und Holocaust verglichen wird. Seit Beginn der Bewegung fielen radikale AbtreibungsgegnerInnen immer wieder durch Anschläge gegen ÄrztInnen und Familienplanungszentren – wie Planned Parenthood – auf.
Antifeminismus mobilisiert
Doch die Antiabtreibungsbewegung gibt es längst nicht mehr nur in den USA. Allein in Europa finden jedes Jahr zahlreiche «Märsche für das Leben» statt, so etwa in Berlin, Brüssel, Paris, Dublin, Rom, Warschau und Prag. Und ebenfalls in der Schweiz – zuletzt versammelten sich im September 2016 rund 1700 AbtreibungsgegnerInnen in Bern.
Die Bewegung sieht sich im Aufschwung. «Das steht in einem deutlichen Zusammenhang mit dem länderübergreifenden Erstarken des Nationalismus und extrem rechter Bewegungen und Parteien», schreiben Eike Sanders und Ulli Jentsch, AutorInnen des Buchs «Deutschland treibt sich ab» auf Anfrage. Antifeminismus sei unter den AbtreibungsgegnerInnen ein zentrales Mobilisierungsmoment, das oft unterschätzt werde. «Es richtet sich nicht nur gegen Feministinnen, sondern gegen alle, die einem konservativen heteronormativen Geschlechter- und Familienbild nicht entsprechen wollen oder können.» Ziel sei es, die erkämpften Errungenschaften der Frauen- und Queerbewegung rückgängig zu machen. «Sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Rechte sind dabei das offensichtlichste Thema, an dem sich der Antifeminismus abarbeitet», so die AutorInnen.
Im Januar haben über 10 000 AbtreibungsgegnerInnen in Paris demonstriert, die VeranstalterInnen sprechen gar von 50 000. Im Dezember demonstrierte die «Jugend für das Leben» in Wien. In den Jahren zuvor sorgten AbtreibungsgegnerInnen in Österreich für Schlagzeilen, weil sie Frauen immer wieder den Zugang zu Krankenhäusern versperrten. In Italien und Irland weigern sich zunehmend ÄrztInnen, einen Schwangerschaftsabbruch auszuführen – weshalb vor drei Jahren eine Frau in Irland und letztes Jahr eine Frau in Italien gestorben sind. Seit neustem weigern sich auch in Deutschland erste Kliniken, Abtreibungen vorzunehmen (siehe WOZ Nr. 6/2017 ). Dasselbe beobachtet auch die polnische Föderation für Familienplanung, wobei Polen bereits eines der härtesten Abtreibungsgesetze kennt.
Die Konsequenzen des Backlash (siehe WOZ Nr. 52/2015 ) sind demnach spürbar. Doch bislang gibt es nur wenige länderübergreifende Forschungen zur Antiabtreibungsbewegung. «Wir merken erst jetzt, wie gross die Netzwerke sind und wie schwer es ist, die Fäden zu entwirren», schreiben Jentsch und Sanders. Sie forschen momentan mit Unterstützung des Gunda-Werner-Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung zu diesem Thema. «Klar ist, dass vor allem die süd- und osteuropäischen Länder durch streng katholische Netzwerke geprägt sind.» In den USA schienen – zumindest ursprünglich – eher evangelikale «Pro Life»-Organisationen die internationale Kooperation zu bestimmen. «Am Ende wiegt das gemeinsame Ziel stärker als Konfessionsgrenzen», so die ForscherInnen.
«Die Antiabtreibungsbewegung ist gut organisiert, verfügt über viel Geld und ist in einflussreichen Positionen vertreten», sagt auch Gisela Notz. Die Historikerin war von 2004 bis 2010 Bundesvorsitzende des deutschen Verbands Pro Familia und hat 2012 das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung mit gegründet, das Proteste gegen den «Marsch für das Leben» in Berlin organisiert. Unter den AbtreibungsgegnerInnen tummeln sich laut Notz christliche Fundamentalisten, Katholikinnen, neue Rechte, homophobe Kreise, Antifeministen und Maskulinisten. «Aber sie sind keine Nebenerscheinung am rechten Rand», sagt Notz, «sie sind inzwischen inmitten der Gesellschaft angelangt und damit auch in der Politik.»
Wie zum Beispiel Beatrix von Storch, die für die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) im Europarat sitzt. Die Juristin sorgte im Januar 2016 für Schlagzeilen, als sie auf Facebook einen «Schiessbefehl» an der Grenze gegen ankommende Geflüchtete forderte – auch gegen Frauen und Kinder. Später tat sie ihre Aussage als «technischen Fehler» ab – sie sei auf ihrer Computermaustaste «ausgerutscht». Beim «Marsch für das Leben» in Berlin trug sie das Fronttransparent. Sie ist gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, gegen den sogenannten «Gender-Wahn» und ebenso gegen eine Regierungskampagne für Kondome – stattdessen sollte es eine Kampagne für sexuelle Enthaltsamkeit geben, meint von Storch.
«Viele AbtreibungsgegnerInnen sehen die bürgerliche Kleinfamilie als naturgegeben, gottgewollt und als kleinste Einheit der Nation. Sie glauben, Deutschland sterbe aus, deshalb müssten mehr deutsche Kinder geboren werden», sagt Gisela Notz in Bezug auf den Schulterschluss mit rechtspopulistischen Parteien. Laut Notz würde ein Abtreibungsverbot nicht etwa zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen führen, sondern Abtreibungen zum sozialen Problem machen. So sind in vielen Ländern Afrikas und Asiens Schwangerschaftsabbrüche generell verboten. Gerade wo der Zugang zu Verhütungsmitteln schwierig ist, kommt es daher zu illegalen Abtreibungen. Das bedeutet für die Frauen ein enormes gesundheitliches Risiko. «Frauen wird immer noch abgesprochen, dass sie selbst entscheiden können», sagt Notz. «Dabei machen sie es sich nicht leicht mit einem solchen Entschluss.»
Gisela Notz wünscht sich neue feministische Bündnisse gegen den reaktionären Backlash. Einen ersten Teilerfolg sieht sie in Polen: Dort hat der Druck der Feministinnen auf der Strasse im Herbst 2016 eine Verschärfung des ohnehin schon restriktiven Abtreibungsgesetzes bis auf weiteres verhindert – nicht zuletzt dank Solidaritätskundgebungen in Paris, Berlin und Brüssel. Der gescheiterte Gesetzesentwurf hatte vorgesehen, Abtreibungen selbst in Fällen von Vergewaltigung und Inzest zu verbieten. Verstösse wären dem Entwurf zufolge mit Gefängnisstrafen für die Frauen und ÄrztInnen geahndet worden.
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