Extremismusforschung: Pseudowissenschaft gegen links

Nr. 40 –

Eine neue Sammelstudie zeigt, was herauskommt, wenn Erkenntnisse der Geheimdienste kritiklos in wissenschaftliche Kategorien überführt werden.

Sind das nun «undogmatisch-bündnisorientierte Postautonome » oder «militant-kommunistische Postautonome»? Abschlusskundgebung gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Foto: Florian Bachmann

Nach den Hamburger G20-Protesten im Juli ist er wieder in aller Munde: der «Linksextremismus». Angeblich jahrelang «verharmlost», soll er nun verstärkt Objekt staatlicher Beobachtung und Repression werden. Vor wenigen Tagen hat die Schweizer CVP ein Communiqué mit dem Titel «Gewaltextremismus nicht akzeptieren» versandt. Darin fordert sie unter anderem «Ausreisesperren für potentielle Gewaltextremisten» sowie eine «Anpassung» (lies: Verschärfung) des Strafmasses für Landfriedensbruch (vgl. «Gesetzesextremisten bei der CVP» ).

In den Chor empörter PolitikerInnen mischen sich in Deutschland auch Stimmen aus der Wissenschaft, genauer: der «Extremismusforschung». Sie fordern mehr Aufmerksamkeit – und vor allem mehr Geld. Dass es sich um eine randständige und chronisch unterfinanzierte Disziplin handle, ist allerdings dreist gelogen: Betrieben wird sie vorrangig von beamteten ProfessorInnen, die in ständigem Austausch mit staatlichen Stellen stehen und sich mit Vorliebe auf Quellen von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt stützen.

Die Ergebnisse dieser Kooperation sind zum Teil durchaus originell, etwa die «Linksextremismusskala» von Professor Klaus Schroeder und seiner Gattin Monika Deutz-Schroeder. Ihre Skala berücksichtigt die Dimensionen «Anti-Kapitalismus», «Anti-Faschismus», «Anti-Rassismus», «Demokratiefeindlichkeit», «kommunismusnahes Geschichtsbild/Ideologie» und «Anti-Repression». Man kann daraus schliessen: Wer den Kapitalismus ablehnt, sich gegen Nazis und für Geflüchtete engagiert, Marx liest und von Polizeigewalt spricht, gehört zumindest zur Risikogruppe. Eher skurril wirkt auch der Versuch der Schroeders, die einzelnen «linksextremistischen» Strömungen voneinander abzugrenzen. Etwa wenn sie allein im Lager der Autonomen zwischen «militanten Autonomen», «undogmatisch-bündnisorientierten Postautonomen» und «militant-kommunistischen Postautonomen» unterscheiden.

Die «extremistische Persönlichkeit»

Die Extremismusforschung ist auch an den Merkmalen der «extremistischen Persönlichkeit» interessiert. Namentlich die ostdeutschen Professoren Eckhard Jesse und Uwe Backes beschäftigen sich seit Jahren mit der Frage, «ob sich eine derartige extremistische Persönlichkeit tatsächlich empirisch nachweisen lässt und welche Bedingungen gegeben sein müssen, dass sich diese Persönlichkeit dann nach links oder rechts entwickelt». Das war bisher wenig ergiebig. In einer neueren Abhandlung beschäftigt sich Jesse mit biografischen Gründen für ein «Abdriften» in den Extremismus. Zu diesem Zweck untersucht er die politische Entwicklung von RAF-Mitglied Ulrike Meinhof und von ihrem früheren Kampfgefährten Horst Mahler, der später ins neonazistische Lager überlief. Jesses Text endet mit dem ziemlich ratlosen Verweis auf eine «Verkettung von zufälligen Umständen», die eine Wendung des dafür anfälligen Individuums nach links oder rechts bewirken würden.

Enthalten ist Jesses Aufsatz in einem kürzlich erschienenen Sammelband, der nach der G20-Gewalthysterie wie bestellt erscheint, aber natürlich schon vorher fertig war. Herausgeberin ist die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Aus eigener Sicht betreiben die Beteiligten engagierte Wissenschaft – «Antiextremismus», verstanden als Werbung für die wehrhafte deutsche Demokratie, die sie für die beste aller möglichen Welten halten. Mehrere AutorInnen werden ganz offen als MitarbeiterInnen des Verfassungsschutzes vorgestellt, ein weiterer, Holger Münch, ist Präsident des Bundeskriminalamts. Dabei ist insbesondere der deutsche Inlandsgeheimdienst wegen seiner zumindest dubiosen Rolle im NSU-Skandal weitgehend diskreditiert. Nun gilt er offenbar wieder als zuverlässiger Informationslieferant und Bündnispartner – im Kampf gegen die Linke und für den starken Staat.

Gefährliche Gleichmacherei

Am rechten Rand des illustren Kreises schäumt der Politologe Rudolf van Hüllen, dessen Tiraden gegen den «Linksextremismus» auch von der Bundeszentrale für politische Bildung gern verbreitet werden. Sein Aufsatz zum Thema «Prävention» ist, was die Linke angeht, allerdings von Resignation geprägt. «Aussteigerprogramme» seien sinnlos, solange «die Gesellschaft signalisiert, wo sie kann, dass linksmotivierte Gewalt und Extremismus nicht zu persönlichen Nachteilen führen». Für fatal hält er die angebliche Konzentration der «offiziellen Politik» auf «Rechtsextremismusprävention».

Ganz repräsentativ ist er mit seiner bizarr anmutenden Diagnose nicht. Die meisten AutorInnen variieren eher die gängigen Thesen der antiextremistischen deutschen Staatsdoktrin. Danach muss eine möglichst breite «normale» Mitte die «extremistischen» Ränder klein halten – das ins Politische übertragene Hufeisenmodell der gaussschen Normalverteilung.

Was die am Sammelband Beteiligten eint, ist das von KAS-Präsident Hans-Gert Pöttering (CDU) im Vorwort formulierte «Kernanliegen»: die «Ablehnung aller Extremismen» – und nicht zuletzt mehr Geld für die «vergleichende Extremismusforschung». Die bislang eher seltsamen Blüten ihrer wissenschaftlichen Bemühungen geben zwar mitunter zum Schmunzeln Anlass. Weniger lustig ist allerdings, dass sie mit ihrer Gleichmacherei eine Verharmlosung der extremen Rechten zumindest billigend in Kauf nehmen.

Ralf Altenhof (Hrsg.), Sarah Bunk (Hrsg.) und Melanie Piepenschneider (Hrsg.): Politischer Extremismus im Vergleich. Schriftenreihe politische Bildung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Band 3. Lit Verlag Dr. Wilhelm Hopf, Berlin 2017. 408 Seiten. 56 Franken