Gendoping: Der Sieg aus dem Labor

Nr. 28 –

Während Ullrich, Basso und Co. noch über konventionelles Doping stolperten, wird schon fleissig an den Methoden der Zukunft gebastelt.

Epo, Blutdoping, Anabolika: Die Vorwürfe gegen die Radfahrer, die im Zuge des Skandals um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes von der Tour-de-France-Teilnahme ausgeschlossen wurden, erschüttern durch ihr Ausmass. Die Mittel und Methoden jedoch sind nicht neu.

Aber die Zukunft des Dopings liegt in der Gentechnik. Beim ostdeutschen Leichtathletikcoach Thomas Springstein – er trainierte ausser seiner Lebenspartnerin Gret Breuer auch Stars wie Katrin Krabbe oder Nils Schumann –, der im vergangenen März verurteilt wurde, weil er Dopingmittel an jugendliche AthletInnen verabreicht hatte, fand die Polizei E-Mail-Verkehr mit dem Madrider Arzt Angel Peraita. Peraita hat seine Praxis in derselben Strasse wie Fuentes; die deutsche Antidopingagentur sucht derzeit nach Verbindungen zwischen den benachbarten Medizinern. In den E-Mails war unter anderem die Rede davon, wie Repoxygen zu beschaffen sei. Repoxygen, hergestellt von der britischen Pharmafirma Oxford Biomedica, enthält das Gen für Epo.

«Es geht ganz konkret um transgenes Doping», sagte mit Blick auf Springstein der Heidelberger Dopingexperte Werner Franke gegenüber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Für ihn ist die E-Mail ein Beleg, dass das Zeitalter des Gendopings begonnen hat. Auch in Chatrooms im Internet werde breit über die Anwendung des Präparates diskutiert.

Gendoping: Doping der Zukunft – oder bereits der Gegenwart? «Ich wäre enttäuscht, aber nicht überrascht, wenn jemand bereits gentechnisch seine Leistung gesteigert hätte», sagt Theodore Friedmann, Professor der Universität von Pennsylvania und Leiter des Ausschusses für Gendoping bei der Weltantidopingagentur Wada.

Friedmann gilt als einer der führenden Gentherapeuten und gehört somit zu der Gruppe von Forschenden, die seit den neunziger Jahren versuchen, kranken Menschen mit Gentransfermethoden zu helfen. Die Idee ist bestechend einfach: Statt PatientInnen fehlende Eiweisse als Medikament zu verabreichen, sollen die Gene übertragen werden, die für die Herstellung dieser Eiweisse verantwortlich sind – und so den Körper in die Lage versetzen, das fehlende Eiweiss selbst herzustellen.

«Mit der gleichen Methode könnten auch Sportler versuchen, ihre Leistungen zu steigern», sagt Friedmann. Rund dreissig potenzielle Dopinggene sind bisher bekannt. Sie tragen die Bauanleitungen für Blut- und Wachstumshormone, für Entzündungshemmer oder für Antischmerzfaktoren. Erforscht werden sie, um dereinst Menschen mit Blutarmut, Muskelschwächen, Nierenschäden, Raucherbeinen oder Herzinfarkten zu helfen.

Die Resultate aus Tierversuchen sind zum Teil verblüffend. Spritzt man Mäusen zusätzliche Gene für den Wachstumsfaktor IGF-1, so entwickeln sie bis zu dreissig Prozent mehr Muskelmasse als ihre unbehandelten Artgenossen. Für Marathonläuferinnen könnte das PPAR-Gen von Interesse sein: Mäuse, die eine zusätzliche Kopie dieses Gens enthalten, laufen doppelt so weit wie üblich. Wegen des PPAR-Gens haben sie einen höheren Anteil an Muskelfasern vom Typ 1. Diese Muskelfasern erzeugen Energie aus Fett, arbeiten langsam und sind fast unermüdlich; sie sind typisch für LangstrecklerInnen. Die Typ-2-Fasern hingegen sind typisch für SprinterInnen: Sie verbrennen Zucker, arbeiten schnell und ermüden rasch.

Die pharmakologische Forschung kennt auch Gene, die Gefässe zum Wachsen anregen und so die Durchblutung erhöhen; Gene, die den Endorphinpegel erhöhen und deshalb Schmerzen unterdrücken, oder solche, die die Bauanleitung für bereits bekannte Dopingmittel tragen wie das Bluthormon Epo oder das Wachstumshormon hGH.

Ob all diese Gene jemals den Weg aus dem Tierversuchslabor in die Klinik finden, ist fraglich. Die Umsetzung gestaltet sich bisher schwierig. Mehr als tausend klinische Versuche sind weltweit schon durchgeführt worden, und trotzdem ist erst ein zugelassenes Gentherapieverfahren entwickelt: In China wird das Mittel Gendicine gegen bestimmte Krebsarten eingesetzt. Von der Wunderwaffe gegen Leiden aller Art ist keine Rede mehr (vgl. unten «Erfolg: Patient tot»). «Die Illusionen und Hoffnungen der neunziger Jahre sind verdunstet», sagt Sandro Rusconi, der das nationale Forschungsprogramm «Somatische Gentherapie» leitete.

Obwohl die erhofften Erfolge ausbleiben und die Verfahren, die im Sport missbraucht werden könnten, erst in der präklinischen Forschung erprobt werden, gehen Fachleute davon aus, dass Gendoping früher oder später stattfinden wird. «Die Technologie ist zwar noch so unreif, dass sie nur bei sehr schwer Kranken eingesetzt werden sollte. Aber wir wissen natürlich, dass dies die schlimmen Boys nicht abschrecken wird», sagt Theodore Friedmann. Auch Thomas Murray, Bioethiker am Hasting Center in New York und Vorsitzender des Ausschusses für ethische Fragen bei der Wada, ist aufgrund der Geschichte des Dopings davon überzeugt, dass beim Gendoping schlecht ausgereifte Verfahren in Umlauf gelangen werden: «Skrupellose Unternehmer und leichtgläubige AthletInnen lassen sich nicht von Unsicherheiten abhalten.»

SportlerInnen und ihre BetreuerInnen haben schon immer versucht, früh an die Entwicklungen der Pharmaforschung heranzukommen. Einige waren dabei bereit, ungeprüfte Substanzen zu nutzen, wie ein Fall aus dem Jahr 2003 zeigt. Damals haben FahnderInnen in Kalifornien das illegale Dopinglabor Balco ausgehoben, das das Designerstereoid Tetrahydrogestrinon hergestellt und ohne klinische Prüfung an AthletInnen verabreicht hatte.

«Es ist zu befürchten», sagt der Bioethiker Murray, «dass Betreuer und Trainer, denen die Gesundheit der Sportler gleichgültig ist, heimlich mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten, die das Know-how sowie den Zugang zu den genetischen Rohmaterialien haben.» Während TrainerInnen und BetreuerInnen vom Geld und Ruhm des Erfolgs profitierten, stünde für WissenschaftlerInnen und ihre ArbeitgeberInnen der Gewinn wertvoller Daten in Aussicht.

Alan Kingsman ist Geschäftsführer der Oxford Biomedica, deren Mittel Repoxygen der verurteilte Leichtathletiktrainer Springstein offenbar beschaffen wollte. «Ich wäre sehr überrascht», sagt er, «wenn Repoxygen aus unseren Labors auf den Schwarzmarkt gelangt wäre.» Das Unternehmen wollte mit Repoxygen eine Therapie gegen Blutarmut entwickeln. Vor zwei Jahren wurde das Projekt aus wirtschaftlichen Gründen gestoppt. «Wir stellen Repoxygen nicht mehr her. Es liegt bei uns im Kühlschrank und wird dort gut überwacht», so Kingsman.

Bleibt die Möglichkeit, dass WissenschaftlerInnen anderer Labors Repoxygen nachgebaut haben. Denn die Zutaten für ein Gentherapiemittel sind zum Teil im Pharmagrosshandel erhältlich. Und in den USA gibt es Firmen, die die Mittel auf Bestellung herstellen – als Kontrolle reicht meist eine institutionelle Adresse aus.

Ob Repoxygen tatsächlich im Umlauf ist, bleibt unklar. Klar ist hingegen, dass SportlerInnen ihre Gesundheit riskieren, sollten sie unreife Verfahren anwenden.

Wollen ÄrztInnen ein gentherapeutisches Verfahren am Menschen testen, unterliegen sie strengen Kontrollen. Fallen diese weg, könnten ungeeignete, potenziell lebensgefährliche Techniken und Materialien eingesetzt werden. Hinzu kommt, dass die Gentherapie auch unter kontrollierten Bedingungen Risiken birgt; sie kann zu Krebs führen und Immunreaktionen provozieren. Mehr noch: Je nach Methode können sich die eingeschleusten Gene ins Erbgut der Zellen einnisten. Was für SportlerInnen zuerst interessant klingt, weil das Gen nur einmal gespritzt werden müsste, bedeutet auch: Sollte das Gen schädlich wirken, wäre es nicht mehr entfernbar.

«Bei einem sterbenskranken Menschen kann man gewisse Nebenwirkungen in Kauf nehmen, wenn dafür das Leben verlängert wird. Aber einen gesunden Menschen diesen Risiken auszusetzen, ist absolut nicht zu vertreten», sagt Gentherapieforscher Rusconi.

Einige SportlerInnen und BetreuerInnen dürften die Risiken bewusst in Kauf nehmen, andere aus Ahnungslosigkeit. «Aufklärung und Erziehung sind unerlässlich. Die Athleten und ihre Betreuer müssen die ganze Komplexität und Unsicherheit beim Gentransfer verstehen», sagt Bioethiker Murray. Matthias Kamber, Leiter des Fachbereichs für Dopingbekämpfung beim Bundesamt für Sport, lässt deshalb zurzeit eine Broschüre fertigen: «Wir wollen nicht mit dem Drohfinger auftreten, sondern Sportler und Sportlerinnen sowie Funktionäre und Funktionärinnen darüber informieren, dass Gentherapie für sehr kranke Menschen entwickelt wurde und nicht für gesunde Leute.»

Das Internationale Olympische Komitee hat Gendoping im Januar 2003 auf die Liste der verbotenen Substanzen und Methoden gesetzt. Was noch fehlt, sind Nachweismethoden. Rund ein Dutzend Labore arbeiten zurzeit im Auftrag der Wada daran, entsprechende Verfahren zu entwickeln.

Ob Verbote, Aufklärung und Nachweis reichen werden, Gendoping zu verhindern? «Der mystische Glaube an die Macht der Gene sorgt dafür, dass Gentransfer als attraktives Dopingmittel gilt», sagt Sandro Rusconi.

Erfolg: Patient tot

Einen Gentherapieerfolg meldete am 4. April 2006 ein Team der Universitätskliniken Frankfurt am Main und Zürich. Sie hatten zwei Erwachsene und ein Kind, die an der schweren Immunkrankheit Septische Granulomatose litten, mit körpereigenen Stammzellen behandelt, denen ein funktionierendes Mäusegen eingeimpft worden war. Am 10. April verstarb allerdings einer der drei Probanden. Ob sein Tod eine Folge der Therapie war, ist noch ungewiss. Sicher aber ist, dass sein kritischer Zustand zum Zeitpunkt der Pressekonferenz bekannt war – aber verschwiegen wurde. Die Pressemitteilung der Uni Zürich, die einen Erfolg in allen drei Fällen meldete, wurde bis heute nicht korrigiert.
Marcel Hänggi