Elmar Altvater (1938–2018): Auf der Suche nach einem grünen Sozialismus

Nr. 19 –

Der Ökonom und regelmässige WOZ-Autor Elmar Altvater wies früh darauf hin, dass die kapitalistische Produktionsweise den natürlichen Reichtum unumkehrbar vernichtet. Umso intensiver dachte er über Auswege nach.

Hat marxistische Gesellschaftsanalyse und Ökologie konsequent miteinander verschränkt: Elmar Altvater, hier 2009 bei einem Gespräch mit der WOZ. Foto: Ursula Häne

Elmar Altvater war ein vielseitiger Mann: ein hervorragender Koch und grosszügiger Gastgeber; ein Antiautoritärer, der unter anderem einen der ersten Kinderläden Westberlins gründete, manchmal aber auch ein schroff auftretender Professor; ein Bewegungsaktivist, der sich vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund bis zu Attac in den verschiedensten ausserparlamentarischen Gruppen engagierte; ein Parteimensch, der nach der Beteiligung Deutschlands am Jugoslawienkrieg die Grünen verliess, um wenige Jahre später der Linkspartei beizutreten, für die er zentrale Teile des Parteiprogramms verfasste; ein Kenner von Romanen und philosophischen Grundlagenschriften, die er in seine wissenschaftlichen Texte einfliessen liess; ein Autor gleichzeitig, der sich an ein breiteres Publikum wandte und für die WOZ nach der Finanzkrise 2008 zahlreiche Beiträge verfasste. Doch die wichtigste Eigenschaft Elmar Altvaters bestand sicherlich darin, dass er einer der ganz wenigen ÖkonomInnen war, die marxistische Gesellschaftsanalyse und Ökologie konsequent miteinander verschränkten.

Das Aquarium und die Fischsuppe

Altvaters Suche nach einem grünen Sozialismus begann schon in den sechziger Jahren, als er über Umweltprobleme in der Sowjetunion promovierte. 1971 wurde er Professor für politische Ökonomie an der Freien Universität Berlin. Er selbst betonte oft, dass er das auch einer sozialen Bewegung verdankte, weil studentische Gruppen die Besetzung des Lehrstuhls mit einem Marxisten gefordert hatten. In den siebziger Jahren lagen Altvaters Schwerpunkte noch eher auf marxistischer Theorie und der Erforschung von Wirtschaftskrisen. Ausserdem baute er damals die «Prokla» mit auf, eine wichtige Dreimonatszeitschrift für kritische Sozialwissenschaften, die auch heute noch erscheint. Doch in den achtziger Jahren wandte er sich mit grossem Nachdruck der Entwicklung einer ökologisch-marxistischen Gesellschaftskritik zu.

Von Bedeutung dabei waren seine längeren Forschungsaufenthalte in Brasilien, die ihn unter anderem ins amazonische Belém führten. Altvater wies darauf hin, dass menschliche Verarbeitungsprozesse, die in der Ökonomie als reichtumssteigernd verzeichnet werden, den natürlichen Reichtum oft unumkehrbar vernichten. Er illustrierte das gern mit dem alten Witz: Man kann aus einem Aquarium eine Fischsuppe machen, aber aus einer Fischsuppe kein Aquarium. Er arbeitete damit ein grundlegendes Problem der Ökonomie heraus: Obwohl das griechische Wort «oikonomia» ursprünglich das Haushalten mit knappen Ressourcen bezeichnete, läuft Ökonomie heute auf die Zerstörung natürlicher Grundlagen hinaus. Die grossen Volkswirtschaftsschulen ignorieren systematisch die physikalischen Energie- und Naturgesetze.

Damit war Elmar Altvater schnell beim häretisch-sozialistischen Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi, der 1944 in seinem berühmten Buch «The Great Transformation» den Begriff «Entbettung der Märkte» entwickelt hatte. Gerade das, was den Markt so innovativ und dynamisch macht, werde der Gesellschaft zum Verhängnis. Polanyi zeichnete anhand des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach, wie die Befreiung des Markts von politischen und moralischen Schranken zur Zerstörung seiner gesellschaftlichen Existenzgrundlage führte. Der entfesselte Markt habe den sozialen Zusammenhalt zerstört und damit dem Aufstieg von Militarismus und rassistischen Bewegungen und schliesslich den Weltkriegen das Terrain bereitet.

Altvater griff dieses Argument auf und wandte es auf die ökologische Frage an. Als nach dem Zusammenbruch des Ostblocks der Markt endgültig seine Überlegenheit bewiesen zu haben schien und mit den MarxistInnen auch die KeynesianerInnen aus dem Universitätsbetrieb gedrängt wurden, veröffentlichte er die Bücher «Die Zukunft des Marktes» (1991) und «Der Preis des Wohlstands» (1992). Darin arbeitete er die Fähigkeiten, aber auch die grundlegenden Probleme der Marktregulation heraus. Zentraler Aspekt seiner Argumentation waren die Externalisierungseffekte, über die zuletzt der Münchner Soziologe Stephan Lessenich das viel beachtete Buch «Neben uns die Sintflut» (2016) geschrieben hat.

Der Preis der Zukunft

Altvater analysierte diese Effekte schon vor 25 Jahren: Auf dem Markt sind die KonkurrentInnen ständig darum bemüht, Kosten nach aussen oder in die Zukunft abzuwälzen. Manchmal tun sie das illegal, indem sie Müll im Wald deponieren; manchmal legal, indem sie toxische Substanzen in afrikanische oder asiatische Länder exportieren. Bisweilen werden die Kosten auch einfach an die KundInnen weitergegeben.

Besonders dramatisch wirkt der Externalisierungseffekt über die Zeit: dann nämlich, wenn die Folgen ökonomischen Handelns erst Jahrzehnte später richtig zum Tragen kommen. Der Klimawandel ist das beste Beispiel dafür. Die Kosten des Klimawandels werden in den nächsten Jahren enorm steigen. Doch diejenigen, die sie durch CO2-Emissionen verursacht haben, konnten ihre Gewinne teilweise schon vor Jahrzehnten einfahren oder leben viele Tausend Kilometer entfernt von den Inseln, die durch die Erderwärmung zerstört werden.

Die Ansätze verbinden

Altvater hat sehr konsequent darauf gedrängt, den weltumspannenden Charakter des Kapitalismus ernst zu nehmen und die ökologischen und sozialen Folgen in ihrer Verschränktheit zu begreifen. Das hat ihn zuletzt auch zu der These bewegt, wir lebten nicht im «Anthropozän», also einem von der Menschheit geformten Erdzeitalter, sondern in einem «Kapitalozän». Erst der industrielle Einsatz fossiler Brennstoffe, wie er vom Verwertungszwang des Kapitals in Gang gebracht wurde, habe den rasanten Transformationsprozess eingeleitet, der die Natur unseres Planeten so dramatisch verändert.

Das Grandiose an Elmar Altvater war, dass er das Recht der Natur ernst nahm, ohne die sozialen Verhältnisse der unteren Klassen hier und im Globalen Süden aus den Augen zu verlieren. Heute wird immer deutlicher, dass die Linke nur als ökosozialistische Bewegung eine Zukunft haben kann. Doch in der Praxis fällt es linken Bewegungen schwer, die Ansätze zu verbinden: Wie können KlimaaktivistInnen und Arbeiter im Braunkohletagebau Gemeinsamkeiten formulieren? Wie können Gewerkschaften mehr materielle Teilhabe durchsetzen, ohne damit einen stumpfsinnigen Konsumismus zu befeuern? Wie können die Lebensverhältnisse im Süden verbessert und gleichzeitig die destruktive Wachstumsmühle gestoppt werden? Elmar Altvater hat gezeigt, dass man die Dinge nicht nur gemeinsam denken müsste, sondern sie auch gemeinsam denken kann.

Auch deshalb wird er sehr fehlen.

Raul Zelik hat gemeinsam mit Elmar Altvater 2009 das Buch «Vermessung der Utopie» veröffentlicht, ein Gespräch über die Mythen des Kapitalismus und die kommende Gesellschaft.