EU-Rahmenabkommen: Ein Nein für Europa

Nr. 33 –

Die Reaktion war etwas gar klischiert, als Gewerkschaftschef Paul Rechsteiner letzte Woche die Tür zuknallte und verkündete, dass der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) nicht bereit sei, über die flankierenden Massnahmen zu verhandeln: Der SGB sei stur, hiess es – genau wie der Verband Travail Suisse, der sich dem SGB angeschlossen hat. Der Bundesrat habe doch klargemacht, dass er nicht die Substanz des Lohnschutzes hinterfrage, sondern lediglich dessen technische Umsetzung. Die EU verlangt in den laufenden Verhandlungen über ein Rahmenabkommen entsprechende Änderungen.

Die Kritik ist jedoch schnell leiser geworden. Denn es ist zu offensichtlich, dass es sehr wohl um die Substanz des Lohnschutzes geht. Erstens ist die Haltung der EU glasklar: Sie möchte den Schweizer Lohnschutz am liebsten ganz weghaben. Zweitens stellte Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann in seiner Einladung an die Sozialpartner, die die WOZ einsehen konnte, insgesamt sieben Massnahmen zur Diskussion: neben der Achttageregel, nach der EU-Firmen Einsätze in der Schweiz acht Tage zuvor anmelden müssen, auch die Kautionspflicht zur Bezahlung allfälliger Bussen oder die Sperrung sündiger Firmen. Zudem hält das Papier fest, dass die flankierenden Massnahmen im Rahmenabkommen geregelt werden sollen. Das bedeutet, dass sie von nationalem Recht zu Vertragsrecht würden, wodurch die EU über deren Auslegung mitreden könnte.

Dass es bei den Gesprächen um die Substanz des Lohnschutzes gehen sollte, bestätigen drittens hinter vorgehaltener Hand auch nichtgewerkschaftliche Quellen, die mit dem Dossier vertraut sind. Und viertens: Falls es nur um technische Änderungen ginge, hätte Aussenminister Ignazio Cassis diese auch allein mit der EU aushandeln können. Doch er weiss, dass die EU mehr will. Und da er nicht als Verlierer dastehen wollte, der den Lohnschutz opfert, stahl er sich aus der Verantwortung und warf die heisse Kartoffel Schneider-Ammann zu, der die Gewerkschaften zu Zugeständnissen bewegen sollte. Entweder sie würden unter den Augen der Öffentlichkeit nachgeben – oder sich dem Gespräch verweigern, wie nun geschehen. Nun sollen sie als jene dastehen, die die Beziehungen zur EU vermasseln, als bornierte AntieuropäerInnen.

Der Vorwurf ist billig. Für Europa zu sein, bedeutet, sich in Europa politisch beteiligen zu wollen. Dies aufgrund der Einsicht, dass die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nur global angegangen werden können, insbesondere die schrankenlose Globalisierung, die Länder zu einem Wettlauf um immer tiefere Steuern und Löhne zwingt. Es bedeutet nicht, alles toll zu finden, was die Mehrheit in Europa vorantreibt. Oder ist etwa alles antischweizerisch, was der bürgerlichen Mehrheit in diesem Land missfällt?

Wenn schon ist das Nein der Gewerkschaften ein Ja zu Europa: Ein entscheidender Grund, warum überall in Europa antieuropäische Parteien im Aufschwung sind, liegt darin, dass der Binnenmarkt kaum sozial abgefedert wurde. Man hat die totale Konkurrenz geschaffen, ohne sie mit sozialen Schranken zu flankieren. Deshalb plädieren inzwischen selbst Leute wie der französische Präsident Emmanuel Macron – Exbanker mit dem Spitznamen «Präsident der Reichen» – für ein Europa, das «schützen» soll. Seit dem Brexit ist klar: Entweder wird die EU sozialer, oder sie wird untergehen.

Die Schweiz hat es seit dem EWR-Nein 1992 geschafft, sich in den Binnenmarkt zu integrieren und das gleichzeitig sozial abzufedern: Angesichts der Totalopposition der SVP waren FDP und CVP stets auf Linke und Gewerkschaften angewiesen, um eine Mehrheit zugunsten des bilateralen Wegs zu sichern. Dies hat Letztere in die Lage versetzt, flankierende Massnahmen durchzudrücken. Dank dieses Lohnschutzes befürwortet bis heute eine Mehrheit der Bevölkerung den bilateralen Weg. Wird der Schutz aufgeweicht, könnte die Stimmung schnell kippen. Die AntieuropäerInnen sind diejenigen, die diesen Schutz infrage stellen.