Von oben herab: Der Ja-Sager und der Nein-Sager

Nr. 37 –

Stefan Gärtner über Reiche im Aargau

Frisch aus dem Sommerurlaub zurück, will ich mein Leben ändern, denn die bei Kaffee und (viel) Kuchen angefressenen Extrakilos will ich wieder los sein, was weniger mit Selbstoptimierung zu tun hat als mit der simplen Unlust, einen Schweizer Zentner zu wiegen bei einer Körpergrösse, die das nicht rechtfertigt.

Da ich andererseits weiss, dass das mit den Vorsätzen so eine Sache ist – «Nichts blöder als das Geschwätz von dem neuen Leben, das einer anfangen könnte, in uns sitzt es. In uns bleibt es» (Fallada) –, halte ich die Änderungen in Grenzen: Ich lasse den Kuchen weg und bin jetzt nicht mehr immer nur dagegen, weil das schlechte Laune macht und zu Frustausflügen an den Kühlschrank verleitet. Also: Im Kanton Aargau wird am 23. des Monats darüber abgestimmt, ob Millionenvermögen höher besteuert werden sollen, und ich – bin dafür. Herrlich! Wie ist das schön, einfach einmal Ja zu sagen, der in uns allen schlummernden Lust auf Mitmachen und Beifallklatschen die Zügel schiessen zu lassen und zuzustimmen! «Wichtig zu lernen vor allem ist Einverständnis», und wer wäre ich, Brecht zu widersprechen!

Mathias Küng von der «Aargauer Zeitung» hat meine Gewichtsprobleme nicht. Er gehört zu den Nein-Sagern. Er ist dagegen, und sein Leitartikel ist es auch: «Nun ist der Aargau bekanntlich nicht mit Vermögenden und Gutverdienenden gesegnet. Er versucht, mehr anzuziehen. Das gelingt ungenügend. Allen Unkenrufen zum Trotz ist der Kanton aber auch heute noch sehr attraktiv für zuziehende Familien, die indes oft mehr Kosten auslösen, als sie Steuern zahlen können. Dies zeigt die Zuwanderung gerade aus Zürich. Auch darum braucht der Aargau mehr Vermögende, die das ausgleichen können, und die übrigens auch Einkommenssteuern zahlen. Die bleiben aber aus, wenn die Vermögenssteuer derart hochschnellt.» Arme und Familien kosten Geld, also brauchen wir Reiche, die das ausgleichen. Reiche dürfen deshalb nicht vergrault werden, gerade dann nicht, wenn sie «hart» (Küng) für ihren Reichtum arbeiten «wie alle anderen auch», die halt leider zu doof waren, sich einen Beruf zu suchen, der reich macht, statt einen, der einen auf das Wohlwollen der Reichen angewiesen sein lässt.

Am Altbau vor meinem Fenster wird die Fassade gestrichen, und eben kommt ein älterer Herr in einem Mercedes-Sportwagen vorgefahren, arbeitet sich an Krücken aus dem Auto heraus und unterhält sich mit einem Anstreicher, was den Schluss zulässt, dass der Herr mit dem Sportwagen einer der vielen «Haus- und Wohnungseigentümer» ist, «die ihre eigenen vier Wände ein Leben lang unter viel Verzicht abzahlen, damit sie im Alter etwas haben. Viele müssten künftig mehr zahlen. Das gilt auch für viele Pensionäre, die sich ihre Pension auszahlen lassen», und also steht der Pensionär vor seinem Haus (Gründerzeit, zehn Parteien, Bruttomietertrag in dieser Gegend nicht unter 100 000 Euro im Jahr) und sagt zum Arbeiter (Tariflohn 13,30 Euro die Stunde): «Du, ich habe dieses Haus unter viel Verzicht abzahlen müssen, damit ich im Alter etwas habe», und der Arbeiter sagt: «Prima, dass Sie das Haus streichen lassen, denn erstens sieht das schön aus, zweitens habe ich dadurch Arbeit, und weil ich drittens mehr Kosten auslöse, als ich Steuern zahlen kann, ist es nur begrüssenswert, wenn Sie die Renovierung von der Steuer absetzen und auch mal etwas zurückgeben, also denen jedenfalls, die hier wohnen, ich kann mir das nicht leisten und wohne im Umland, wo die Steuern für Leute wie Sie hoffentlich nicht erhöht werden!»

Und deshalb sagt der Leitartikelmann von der «Aargauer Zeitung» Nein, weil er nämlich realpolitisch denkt und also ein Ja-Sager ist. Und die «AZ», wie praktisch jede Zeitung, die armen alten Leute mit den Krücken vertritt.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.