Sponsoring: Viel Geld vom rechten Flügel

Nr. 44 –

Im Vorfeld des Red Bull Music Festival in Zürich wird in der Schweizer Musikszene heftig diskutiert: Soll man sich von einem Konzern bezahlen lassen, der rechtem Gedankengut eine Plattform bietet?

Alles in Ordnung, solange der Sponsor die künstlerische Freiheit nicht beschneidet? DJ am Red Bull Music Festival 2018 in Berlin. Foto: Dan Wilton, Red Bull

Jahrelang konnte sich der Energydrink-Konzern Red Bull mehr oder weniger ungestört als Mäzen von angesagter Nischenmusik inszenieren. Doch jetzt rumort es in der Musikszene. In Deutschland entbrannte kürzlich eine Debatte um das finanzkräftige Engagement des Konzerns, und das Label Live from Earth, zu dem auch der Rapper Yung Hurn gehört, beendete seine Zusammenarbeit mit Red Bull.

Ab 6. November findet auch in Zürich ein Red Bull Music Festival statt, und mit ihm ist die Debatte in der hiesigen Szene angelangt. Auf Facebook veröffentlichte der Zürcher DJ und Künstler Nicola Kazimir einen viel beachteten Kommentar, in dem er die Musikszene zum Boykott von Red Bull aufruft. Auch der Journalist Ugur Gültekin, auf dessen Wort man in der Schweizer Rapszene hört, erklärte auf Facebook, er werde keine Aufträge von Red Bull mehr annehmen. Man munkelt, dass sich weitere diesen Schritt überlegen. Was war geschehen?

Nun, geschehen war es eigentlich schon im April 2017. Stein des Anstosses ist ein Interview mit Dietrich Mateschitz, dem Gründer und CEO von Red Bull, in der österreichischen «Kleinen Zeitung». Der 74-Jährige, laut Magazin «Forbes» der reichste Österreicher, wetterte darin über die Willkommenskultur, falsche Flüchtlinge und ein angebliches Meinungsdiktat. Er warnt vor einer Destabilisierung Europas und vor Beamten in Brüssel, die «Staaten mit Monokulturen von der Landkarte ausradieren» wollen. Doch es geht hier um mehr als bloss um die Ansichten eines Firmenchefs. So betreibt der Energydrink-Hersteller auch den Sender Servus TV, der rechtsextremem Gedankengut eine Plattform bietet.

Absurdes Echo aus Baar

Wenn man mit Red Bull Kontakt aufnimmt, erfährt man zwar nichts Informatives, doch wie der Konzern reagiert, ist interessant genug. Auf ein E-Mail an einen der Organisatoren des Festivals in Zürich kommt die Antwort von einer Kommunikationsbeauftragten aus dem Steuerparadies Baar zurück, wo Red Bull seinen Schweizer Standort hat. Fragen würden nur schriftlich beantwortet, zitiert werden dürften keine Personen, sondern nur das Unternehmen selber.

Oder ist es sowieso ein mit PR-Sätzen gefütterter Chatbot, der da antwortet? Jedenfalls hat man sehr ähnliche Sätze auch schon in anderen Zeitungen gelesen. Auf die Äusserungen von Mateschitz oder die Haltung der von Red Bull betriebenen Medien wird nicht eingegangen, über die Strategie hinter dem Kultursponsoring erfährt man nichts. «Wir unterstützen Visionen und Ideen sowie aussergewöhnliche Persönlichkeiten jeglicher Kultur und unabhängig von Religion und Überzeugung.» Wer sich ein Urteil über Red Bull bilden wolle, solle sich das Programm anschauen, das spreche für sich. Auf die Frage, wie das Leistungsimage von Red Bull mit der am Festival vertretenen Musik in Verbindung stehe, wird es gänzlich absurd: «Red Bull ist ein funktionales Getränk, das Flügel verleiht, wann immer man sie braucht.»

Tatsächlich zeichnet sich das Marketing von Red Bull im Musikbereich gerade dadurch aus, dass es inhaltlich keiner Strategie folgt. Für seine Events stellt Red Bull FreelancerInnen an, die die lokale Szene kennen, und gibt ihnen freie Hand, ein hochwertiges Programm zusammenzustellen. Diese Art von Marketing weiss, dass es nichts bringt, KünstlerInnen in den Dienst einer Marke zu stellen – Red Bull lässt sie machen und schmückt sich mit ihrem Kulturkapital. Manchmal arbeitet der Konzern auch intensiv mit einzelnen KünstlerInnen zusammen: Der Schweizer Rapper Knackeboul etwa liess sich für die Produktion seines Albums «Knacktracks» von Red Bull um die Welt fliegen.

Alles so schön divers hier

Das Line-up des Red Bull Music Festival in Zürich wirkt so, als wäre es nach zeitgemässen Diversity-Standards zusammengesetzt: viele nichtweisse MusikerInnen, ein hoher Frauenanteil, relevante junge Musik. Also alles in Ordnung, solange Red Bull die künstlerische Freiheit nicht beschneidet?

Eine der MusikerInnen, die am Festival in Zürich auftreten wird, ist die Luzernerin Martina Lussi. Die fremdenfeindlichen Äusserungen von Red-Bull-CEO Mateschitz seien inakzeptabel, das ist für sie klar. Doch gehe es hier nicht um diese Äusserungen, sondern um einen Auftritt am Festival. «Wie bei jeder Anfrage überlege ich mir, ob ich auftreten will – und zu welchen Bedingungen. Wenn man seine Kunst ernst nimmt und damit ein Einkommen bestreiten will, kommt man um Engagements in von Marken gesponserten Umfeldern nicht herum.»

Lussi veranschaulicht das Dilemma mit einer Anekdote. Kürzlich habe sie eine Anfrage von einem Festival in Nordamerika erhalten, doch die angebotene Entschädigung sei so tief gewesen, dass sie davon nicht einmal den Flug hätte bezahlen können. «Ein Mitarbeiter des Festivals rechtfertigte das Angebot damit, dass sie sich gegen ein Sponsoring durch Red Bull entschieden hätten. Diese fehlende Finanzierung wird aber letztlich auf die Künstlerinnen abgewälzt.» Ein Auftritt an einem gesponserten Festival sei für sie nur unter bestimmten Bedingungen denkbar, so Lussi: «Anfragen, die an inhaltliche oder künstlerische Vorgaben oder Einschränkungen gekoppelt sind, sind für mich uninteressant.» Ihre Haltung zu diesen Engagements sei nicht in Stein gemeisselt, sie entscheide von Fall zu Fall.

Boykott ist keine Lösung. Oder?

Am Festival wird Lussi an einem Anlass auftreten, der von «zweikommasieben» organisiert wird, einem Printmagazin, das auf elektronische Musik und Clubkultur spezialisiert ist. Letzte Woche äusserte sich das Magazin auf seiner Website zur Zusammenarbeit mit Red Bull und wies einen Teil der Kritik als übertrieben zurück: «Die politische Grosswetterlage führt derzeit auf allen Seiten zu affektiver Rechthaberei und Mikro-Populismen.» Zusammen mit Red Bull habe das Magazin Veranstaltungen organisieren können, die sonst nicht möglich gewesen wären. Intern werde das immer wieder kritisch reflektiert, doch eine Zusammenarbeit mit Red Bull erlaube es «zweikommasieben» eben auch, «involvierte Künstlerinnen (und ja, auch uns) in angebrachtem Ausmass zu entschädigen».

Marc Schwegler ist Redaktionsmitglied von «zweikommasieben» und plädiert für eine pragmatische Haltung. Natürlich sei es wichtig, die Diskussion um Sponsoring immer wieder zu führen. Doch die Probleme seien grundsätzlicher und durch individuelle Boykotte nicht zu lösen. Red Bull sei früh Teil eines Paradigmenwechsels im Marketing gewesen, bei dem nicht länger entlang der eigenen Markenlogik, sondern entlang von Szenen gedacht werde. Mit viel höherem Budget als die staatliche Kulturförderung ausgestattet, habe Red Bull massiv in digitale Infrastrukturen investiert und so in der Verbreitung und Archivierung von Nischenmusik zeitweise eine Monopolstellung erreicht.

Wer den Schlussstrich zieht

Das grosse Problem sieht Schwegler im Strukturwandel bei der Distribution von Musik. Die Auswirkungen des Streamings seien immens: «Die Monopolstellung von Red Bull ist auch ein Symptom des Wandels zu dem, was Nick Srnicek Plattformkapitalismus genannt hat. Was wir Kultur nennen, ist für das Silicon Valley nur noch Content.» Die Vorstellung eines authentischen Undergrounds, wie es ihn noch in den neunziger Jahren gegeben habe, sei im Netzwerkzeitalter eher illusorisch: «Unabhängigkeit ist immer mehr ein Luxusgut – auch in unserem Fall.»

DJ Nicola Kazimir teilt diesen Pragmatismus nicht. Zwar sieht auch er keine einfache Alternative zum Kultursponsoring, aber mit Selbstorganisation und Kulturförderung liesse sich in der Schweiz immer noch viel realisieren. Als Beispiel nennt er den Zürcher Offspace Mikro, an dem er selber beteiligt ist: «Wir finanzieren uns komplett durch Getränkeeinnahmen an unseren Raves. In dem Projekt steckt auch viel Freiwilligenarbeit, doch können wir den ausstellenden Künstlern alle Kosten und auch Gagen zahlen, was bei den prekären Lohnverhältnissen im Kunstsegment leider nicht üblich ist.»

Ganz ohne Kompromisse kommt auch Kazimir nicht aus, er habe auch schon an gesponserten Partys aufgelegt. Wenn sich eine Firma von reaktionärem Gedankengut distanziere, könne er einen Auftritt in einzelnen Fällen verantworten. Als Künstler sei es fast unmöglich, nicht zumindest indirekt mit Konzernen in Berührung zu kommen. Doch Red Bull infiltriere die Szene direkt, sagt er, dort müsse man beginnen, einen Schlussstrich zu ziehen. Ausserdem brauche es mehr Institutionen wie das Mikro, deren Ethos eine Zusammenarbeit mit Marken ausschliesse und die dem Plattformkapitalismus entgegenwirkten.

Die Debatte in Deutschland und die kritischen Posts von Leuten wie Ugur Gültekin und Nicola Kazimir haben auch in der Schweizer Szene einige zum Nachdenken gebracht. Es wird sich zeigen, ob nach Gültekins Ausstieg noch weitere zur Tat schreiten.

Das rote Imperium

1987 brachte die österreichische Red Bull GmbH auf Basis eines gleichnamigen Getränks aus Thailand ihren Energydrink auf den Markt. Die Firma des Unternehmers Dietrich Mateschitz hat bis heute 70 Milliarden Dosen verkauft und macht einen jährlichen Umsatz von 7 Milliarden Franken. Einzigartig ist das Marketingkonzept des Konzerns, das in den Bereichen Sport und Musik in Form von eigenständigen Geschäftszweigen wuchert. Red Bull betreibt unter anderem drei Fussball- und zwei Formel-1-Teams.

1998 wurde in Berlin die Red Bull Music Academy gegründet, die an internationalen Hotspots tätig ist, mit Workshops, Diskussionsrunden, Studiosessions und Festivals mit einflussreichen Persönlichkeiten der zeitgenössischen Popmusik. Der hauseigene Medienkonzern Red Bull Media House setzt unter anderem mit Printtiteln, TV-Sendern und einem Plattenlabel jährlich über 600 Millionen Franken um.

Nachtrag vom 8. November 2018 : Red Bull: Abfuhr von Zürcher Clubs

Nachdem die WOZ über die Kontroverse rund um das Engagement des Energydrinkherstellers Red Bull in der Schweizer Musikszene berichtet hatte, ging es plötzlich ganz schnell: Noch am Erscheinungstag der WOZ verkündete der Zürcher Club Zukunft, wo drei Veranstaltungen des diesjährigen Red Bull Music Festival stattfinden, auf Facebook das Ende seiner Zusammenarbeit mit dem Konzern ab 2019. Auch werde es im Club ab dann kein Red Bull mehr zu kaufen geben. Kurz darauf zog die Zürcher Musikbar Kasheme mit einer eigenen Austrittserklärung nach. Die jüngste Kontroverse ausgelöst hatte im Oktober das deutsche Label Live From Earth, das ebenfalls nichts mehr mit Red Bull zu tun haben will.

Über die Förderung von anspruchsvoller Musik, die einem Konzern gleichzeitig als Werbung dient, könne man diskutieren, schreibt die «Zukunft». «Was für uns aber ausser Diskussion steht, sind die fremdenfeindlichen Äusserungen und rechtspopulistischen Händel von Red-Bull-Inhaber Dietrich Mateschitz. Das widerspricht unseren Prinzipien. Clubkultur – so wie wir versuchen, sie an der Dienerstrasse 33 zu leben – ist ein Vehikel für Vielfalt.» Im April 2017 hatte Mateschitz in einem Interview gegen «falsche Flüchtlinge» und eine angebliche Meinungsdiktatur gewettert. Gegen Letztere geht Red Bull auch aktiv vor: Der vom hauseigenen Medienkonzern betriebene Sender Servus TV dient unter anderem als Plattform für rechtsextremes Gedankengut. Den Dialog mit Mateschitz habe man erfolglos gesucht, schreibt die «Zukunft».

Die Frage liegt auf der Hand: Wieso erst jetzt? Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die von Red Bull bezahlten Veranstaltungen geniessen ein hohes künstlerisches Prestige, sind finanziell attraktiv und machen anspruchsvolle Nischenmusik einem grösseren Publikum zugänglich. Oft fliesse das Geld von Red Bull auch in wichtige Projekte, sagt Alex Dallas, Mitbesitzer der «Zukunft». Der Techno- und Houseproduzent Moodymann etwa, der im Rahmen des Festivals in der «Zukunft» auflegt, unterstütze mit seinen Gagen immer wieder verarmte Communitys in seiner Heimatstadt Detroit.

David Hunziker