Rechtsterrorismus: Der Balkan als Projektion

Nr. 15 –

Rassistische Memes, nationalistische Mythen und krude Verschwörungstheorien: In der Ideologie der neuen Rechten wird Südosteuropa zum Übergangsraum, in dem sich die Zukunft des Abendlands entscheidet.

Die Ermittlungen zum Anschlag im neuseeländischen Christchurch am 15.  März erhielten vergangene Woche eine internationale Dimension, als der österreichische Verfassungsschutz im Auftrag der Staatsanwaltschaft Martin Sellners Wohnung durchsuchte. Sellner ist Funktionär der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ). Ins Visier der Behörden war er geraten, weil er vom Christchurch-Attentäter im Januar 2018 eine Spende in der Höhe von 1500 Euro erhalten hatte.

Nach der Hausdurchsuchung inszenierte sich Sellner via Youtube als Opfer staatlicher Repression. Während Politikerinnen und Kommentatoren über die IBÖ streiten, organisieren deren Mitglieder Demonstrationen und Solidaritätsaktionen und sammeln fleissig Likes und Spenden. Die Spende macht Sellner noch lange nicht zum Mittäter. Es gibt jedoch durchaus ideologische Brücken, die die Identitäre Bewegung und andere rechtsextreme Gruppen mit dem Christchurch-Attentäter verbinden.

Unerwünschtes Fremdfutter

Die Abgrenzung der IBÖ vom «gewöhnlichen» Rechtsradikalismus erweist sich nicht nur deshalb als trügerisch, weil Sellner laut aktuellen Medienberichten als Jugendlicher Hakenkreuze an Synagogen klebte. Er gehörte ausserdem zum Zirkel des österreichischen Holocaustleugners Gottfried Küssel, dessen Blog «Alpen-Donau.Info» 2011 vom Innenministerium vom Netz genommen wurde. Der verstärkte gesetzliche und polizeiliche Druck führte ein Jahr später zur Gründung der IBÖ, die – in der Tradition von Alain de Benoist, einem Vordenker der Neuen Rechten – völkisch-nationalistisches Vokabular durch historisch unbelastete Begriffe wie «Identität» zu ersetzen versucht.

In einem Youtube-Vlog aus dem Frühjahr 2015 posiert Sellner mit geradem Scheitel und Hipsterbrille vor einer Speisekarte, auf der Burger, Hotdog und Bosna-Wurst angepriesen werden. Er will seine ZuschauerInnen über österreichische Esskultur und unerwünschtes Fremdfutter aufklären. Die Botschaft: ÖsterreicherInnen, kauft nicht bei McDonald’s, vor allem aber nicht an Kebabständen, dem Inbegriff des «Multikulti-Kapitalismuswahns». Bei Sellners Onlineversand gibt es gleich das passende Outfit: ein T-Shirt mit der Aufschrift «Restore Europe, Remove Kebab, Restore Empire». Genau die Referenz «Kebab Remover» – ein rassistisches Internet-Meme, das sich positiv auf den Genozid an den bosnischen Muslimen in Srebrenica bezieht – war auf der Waffe wie im Pamphlet des Rechtsterroristen von Christchurch zu lesen. «Remove Kebab Modus», witzelte Sellner auch schon mal via Twitter.

Der Christchurch-Attentäter nimmt auch in anderer Hinsicht Bezug auf den Balkan. Auf dem Weg zum Terroranschlag hörte er ein Lied, das dem serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic huldigt, der nur wenige Tage später zu lebenslanger Haft verurteilt werden sollte. Er soll zudem mehrere Länder in der Region besucht haben, womöglich, um Schauplätze historischer Schlachten zu besichtigen. Die Beschriftung seiner Waffen mit den Namen von Figuren aus der serbischen, montenegrinischen, polnischen und spanischen Geschichte deutet zudem auf eine tiefer gehende Faszination für den Kampf gegen das Osmanische Reich hin. Südosteuropa wird in der neurechten Imagination zu einer Art Übergangsraum, in dem Christentum und Islam aufeinandertreffen.

Dieses Motiv ist nicht neu und taucht in verschiedenen Varianten auf: mal als Verherrlichung der spanischen Reconquista, der Verteidigung Wiens oder der russisch-osmanischen Kriege. Karadzic bezeichnete den Genozid von Srebrenica als «gerecht und heilig». Seine Truppen hätten die Errichtung eines islamistischen Kalifats verhindert. Der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik wiederum nennt Karadzic einen «ehrenhaften Kreuzritter und europäischen Kriegshelden». Bisweilen taucht das Motiv als «transnationale muslimische Verschwörung gegen das christliche Abendland» auf, in der Serbien das Bollwerk gegen eine neoosmanische Invasion Europas darstellt. Der Christchurch-Attentäter bezeichnet KosovoalbanerInnen wiederum als «islamische Besatzer».

Attraktive Versatzstücke

Berührungspunkte gibt es auch in anderer Form. Das Pamphlet des Christchurch-Attentäters trägt den Titel «Der grosse Austausch» – frei nach der gleichnamigen Verschwörungstheorie von Renaud Camus, dem Vordenker der Neuen Rechten in Frankreich. In dessen Imagination wird Europas weisse, christliche Bevölkerung systematisch durch vorwiegend muslimische «Invasoren» aus Afrika und dem Nahen Osten ersetzt. Es gibt verschiedene Varianten dieser demografischen Panik. Sie ist der Kitt, der die faschistische Internationale zusammenhält. Auch in der grossserbischen Ideologie Karadzics ist sie ein zentrales Motiv.

Demnach würden bosnische und kosovarische MuslimInnen insgeheim einem «demografischen Dschihad» nachgehen. Im Sanu-Memorandum von 1986, einem Meilenstein des serbischen Nationalismus, heisst es, die hohen Geburtenraten der (überwiegend muslimischen) KosovoalbanerInnen seien Teil ihres Kriegs für einen ethnisch reinen Kosovo. Der ehemalige bosnisch-serbische General Ratko Mladic rechtfertigte Kriegsverbrechen an bosnischen MuslimInnen mit der Behauptung, die islamische Welt besitze eine «demografische Bombe». Breivik bezeichnet das wiederum als «indirekten Genozid». Die obsessive Beschäftigung mit Geburtenraten und paranoide Verdrängungs- und Ersetzungstheorien führen nicht zwangsläufig zu Gewalt, doch sie bereiten ihre AnhängerInnen psychologisch darauf vor.

Die Islamfeindlichkeit der grossserbischen Ideologie, in der traditionelle und zeitgenössische Motive verbunden sind, entpuppt sich in einem globalisierten Kontext als attraktives Versatzstück für die faschistische Internationale. Dem Gespenst des Multikulturalismus sei nur mit einer Neuordnung des Raumes entlang längst nicht mehr existierender ethnischer Grenzen beizukommen. Das Ziel dieses «Rassismus ohne Rassen» ist ein Nebeneinander ethnisch homogener Gesellschaften.

Im September 2018 nahm Sellner an einem Fackelzug «zu Ehren unserer Helden und Heiligen von 1683» teil. In diesem Fall symbolisierte Wien das Bollwerk gegen die vergangene und künftige islamische Invasion. «Ich fasse nicht, dass es Leute vom Balkan gibt, die ihren Vorfahren und ihrem Abwehrkampf gegen die Osmanen ins Gesicht spucken», twitterte Sellner im Juni 2017. Der Islam soll bekämpft und abgewehrt werden, aber anscheinend ohne Gewalt, «rechter Terror ist wie jeder andere moralisch abzulehnen», wie der Identitären-Chef gleich nach dem Christchurch-Attentat via Twitter verkündete. Wie das funktionieren soll, wenn angesichts von Parolen wie «Stoppt den grossen Austausch» das osmanische Heer ja offensichtlich schon vor der Tür zu stehen scheint, ist unklar. Kriegssymbolik und Panikmache passen mit dem Selbstverständnis des «gemässigten Einwanderungskritikers» nur zusammen, wenn sich rhetorische Panikmache sauber von realem Terror trennen lässt.

Renaud Camus und Martin Sellner mögen sich noch so sehr vom Terroranschlag in Christchurch distanzieren: Die Beteuerungen der IBÖ, keine rechtsradikale Bewegung zu sein, sind unhaltbar. Der Kampf gegen einen angeblichen Austausch und die damit einhergehende Kriegserklärung der IBÖ an die multikulturelle Gesellschaft sind keine «gemässigte» Kritik. Zu behaupten, Koexistenz sei unmöglich, ist nicht unbedingt als Zustandsbeschreibung gemeint, sondern als Ziel. Karadzic ging es nicht nur um den Kampf gegen den Islam. Auch Toleranz und die Multikulturalität Bosniens sollten ausgelöscht und für die Zukunft verunmöglicht werden.

Ideologischer Cocktail

Die Ideen, die mit dem Erstarken des serbischen Nationalismus seit den achtziger Jahren salonfähig wurden, fanden bald eine konkrete politische Umsetzung. Es entstand ein ideologischer Cocktail aus Rassismus, demografischer Panik, verschwörungstheoretischer Paranoia und Revanchismus, der letzten Endes Handlungsbedarf gegen eine angebliche existenzielle Bedrohung postulierte. Die Zerstörung des Anderen sei notwendig für das eigene Überleben. Bis heute behauptet Karadzic, in Notwehr gegen eine «giftige, alles zerstörende islamische Krake» gehandelt zu haben.

Es ist wenig verwunderlich, dass Paranoia wegen demografischer «Invasoren» teilweise in antisemitischer Form vorkommt. So schiebt etwa auch der serbisch-nationalistische Kultregisseur Emir Kusturica die Schuld für die «Flüchtlingskrise» dem jüdischstämmigen US-Milliardär George Soros in die Schuhe. Dem Theoretiker Moishe Postone zufolge ist moderner Antisemitismus nicht nur eine Form von Rassismus, sondern zugleich Welterklärung, die falsche Auswege aus dem eigenen Unglück verspricht. Ähnlich kann man Verschwörungstheorien wie «den grossen Austausch» verstehen, die sowohl die Schwächsten als auch globale Eliten zum Feind deklarieren. Der Islam und das Judentum überlappen sich als Feindbilder, da beide die Partikularität der einzelnen Nationalismen aufheben. Gegen den grossen Feind muss man sich vereinen.

Karadzics Ideologie ist weder eine Eigenart des Balkans noch das Ergebnis «jahrhundertealter Blutfehden». Sie ist auch keine genuin serbische Erscheinung. Rechtsradikalismus hat kein Ursprungsland und holt sich von überallher Inspiration. Der ideologische Fundus der faschistischen Internationale speist sich aus verschiedenen Traditionen und Regionen. Es hat sich ein global verfügbares Repertoire von nationalistischen Mythen, Symbolen und Taktiken etabliert. Die Ereignisse in Bosnien und im Kosovo zeigen, welche Folgen bestimmte Ideen nach sich ziehen können – und zwar nicht nur dort.

Die Berliner Historikerin Patricia Zhubi forscht zur Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus und zu transnationalen Strukturen innerhalb der radikalen Rechten. Der bosnisch-deutsche Soziologe Adnan Delalic beschäftigt sich unter anderem mit Islamfeindlichkeit.