Italienische Regierungskrise: Aus der Asche der Politik

Nr. 33 –

Wer die Fotos von Matteo Salvinis Strandferien sieht, könnte meinen, ganz Süditalien sei ihm im Badeslip um den Hals gesprungen – Selfie hier, Autogramm da, Küsschen dort. Dabei gingen von der Stiefelsohle bis nach Sizilien Tausende mit Buhrufen gegen ihren xenophoben Innenminister auf die Strasse. Und weiterhin würde die grosse Mehrheit der ItalienerInnen nicht Salvinis Lega wählen. Ob er bei Neuwahlen zum Regierungschef aufsteigen würde, ist deshalb offen. Trotzdem: Wie hat die Lega es geschafft, in Umfragen seit letztem Sommer von 17,4 auf bis 38 Prozent zu klettern?

Eine tiefere Ursache liegt in der Entpolitisierung der Politik, die in Italien früh eingesetzt hat. Es ist kein Zufall, dass das Land mit Medienmilliardär Silvio Berlusconi, der ab 2001 mit Unterbruch sieben Jahre regierte, einen der ersten erfolgreichen Populisten hervorbrachte. Anfang der Neunziger war der einst mächtige Partito Comunista in die Mitte gerückt und hatte sich mit Teilen der wegen Korruption kollabierten Democrazia Cristiana zu einem Bündnis zusammengetan, aus dem der Partito Democratico (PD) hervorging. Es wurde zum Vorreiter der Weder-links-noch-rechts-Politik, wie sie mit Deutschlands Grosser Koalition oder dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der Linke und Konservative zerschlagen hat, weiterlebt.

Mithilfe des angeblich postideologischen Bündnisses, das die traditionellen Alternativen unter sich begrub, stieg Berlusconis Populismus zur neuen Alternative auf – so wie die Grosse Koalition der AfD zum Aufstieg verhalf und Macron Marine Le Pen zur einzigen Gegnerin erhob.

Die in Wahrheit knallharte Wirtschaftspolitik des Bündnisses, die Berlusconi fortsetzte, legte gleichzeitig den Boden für den weiteren Aufstieg des Populismus. Die Deregulierung des Finanz- und Arbeitsmarkts, die Senkung der Konzernsteuern und die Übernahme des Euro verschärften die Ungleichheit und führten später in die Finanzkrise von 2008, die vor allem den Süden des Landes in die soziale Krise stürzte. Noch immer liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Italien bei 28 Prozent.

In der Finanzkrise wurde offenbar, dass diese Politik auch Italiens Demokratie ausgehebelt hatte – und sozialeren Alternativen den Weg versperrte: Als Berlusconi 2011 die Sparschraube zu wenig anzog, drehten ihm die Investoren den Geldhahn zu. Ein Putsch. Für den Rest sorgte die EU unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie sprang erst ein, als Italien den ehemaligen Goldman-Sachs-Berater Mario Monti ans Steuer liess, der dann die Schraube anzog. Merkel mahnte zur «marktkonformen» Demokratie.

Als die ItalienerInnen 2013 wieder wählen durften, versuchten sie es zuerst mit Matteo Renzi (PD), der jedoch Montis Politik fortsetzte. Also probierten sie es 2018 mit den Cinque Stelle, die mit ihren sozialen Versprechen vor allem im armen Süden punkteten – und seither mit Salvini regieren. Doch auch sie scheiterten mit ihren Versprechen an den Vorgaben der EU. Seither sind sie in Umfragen von 33 auf 18 Prozent gefallen.

Viele ihrer WählerInnen sprangen zum kleinbürgerlichen Salvini aus dem reichen Norden über, er punktet nun auch im Süden, auf den er einst spuckte. Den letzten Umfragesprung schaffte er mit seinem an die deutsche Kapitänin Carola Rackete gerichteten Verbot, mit ihrem Rettungsschiff in Lampedusa anzulegen. Mit seiner Hetze verleiht er den ItalienerInnen das Gefühl, sich die demokratische Handlungsfähigkeit zurückzuholen, die das Land in sozialen Fragen verloren hat, auch gegenüber dem restlichen Europa – das in der Flüchtlingspolitik so unsolidarisch ist wie beim Geld: Italien bleibt für sämtliche Flüchtlinge zuständig, die hier an Land gelangen.

Gleichzeitig macht Salvini aus dem Flüchtlingsthema die neue Verteilungsfrage: Demnach geht es den ItalienerInnen deshalb schlecht, weil die MigrantInnen ihnen den Wohlstand rauben. Wer jedoch zur Entpolitisierung der Politik schweigt, sollte sich nicht über Salvinis Aufstieg empören.