Italienische Regierungskrise: Vollmachten für den kleinen Diktator
Mitten in den Sommerferien hat Matteo Salvini Italien in eine Krise gestürzt. Wie es nun weitergeht, ist offen. Doch gegen die Politik seiner rechtsextremen Lega macht sich Widerstand breit.
«Prima gli italiani» – die Italiener zuerst: Matteo Salvinis nationalistischer Slogan begleitet auch die von ihm selbst ausgelöste Regierungskrise. In der Stunde der Entscheidung appelliert er an das Volk: «Jetzt frage ich die Italiener, ob sie mir alle Vollmachten (pieni poteri) geben, um ohne Verzögerung und ohne Fussfesseln das zu tun, was wir versprochen haben.» Den Auftrag sollen sie per Stimmzettel erteilen – eine Parlamentswahl als Plebiszit über den selbsternannten Führer, der nicht weniger fordert als ein Ermächtigungsgesetz: Das ist, wie KritikerInnen zu Recht anmerken, Rhetorik im Stil Benito Mussolinis.
Salvinis Entscheidung, die Koalitionsregierung der Lega mit der Fünf-Sterne-Bewegung nach nur vierzehn Monaten für gescheitert zu erklären, war schon länger erwartet worden. Denn seit den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai haben sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Koalitionsparteien gekehrt: Während die Lega mit 34 Prozent ihren Stimmenanteil gegenüber der Parlamentswahl im März 2018 fast verdoppeln konnte, schrumpften die Cinque Stelle von 32 auf 17 Prozent. Aktuelle Umfragen sehen die Lega gar bei 36 Prozent oder mehr. Zusammen mit den Stimmen für die neofaschistischen Fratelli d’Italia könnte das für eine Mehrheit der Mandate in Abgeordnetenkammer und Senat reichen. Salvini wäre neuer Regierungschef.
Misslungene Tricks
Um die Regierungskrise auszulösen, reichte ihm ein Vorwand: die – lange bekannten – gegensätzlichen Positionen der beiden Regierungsparteien zum Bau der umstrittenen Hochgeschwindigkeitstrasse TAV von Turin nach Lyon. Sie wird seit jeher von der Lega unterstützt, von den Fünf Sternen aber abgelehnt. Letztere brachten – scheinbar besonders trickreich – einen Antrag gegen die Trasse ins Parlament ein, der die Regierung zu nichts verpflichtete, sondern nur verloren gegangene Sympathien bei der breiten No-TAV-Bewegung zurückerobern sollte, ohne Salvini zu verärgern. Beides misslang.
Obwohl dieser Antrag, wie beabsichtigt, im Parlament keine Mehrheit bekam, tobte Salvini, er könne nicht länger mit einer Partei zusammenarbeiten, die immerzu alles blockiere. Anders die Cinque Stelle: Sie hätten liebend gern weitergemacht – vor allem, weil sie bei Neuwahlen mit erheblichen Stimmenverlusten zu rechnen hätten und die jetzigen MandatsträgerInnen laut Statut nicht noch einmal kandidieren dürften.
Die weiteren Schritte zur Bewältigung der Krise sind offen. Mehrere Szenarien sind möglich, theoretisch sogar eine alternative Mehrheit aus Cinque Stelle und der grössten Oppositionspartei, dem Partito Democratico (PD). Wahrscheinlicher ist die Bildung einer von Staatspräsident Sergio Mattarella eingesetzten «institutionellen» Übergangsregierung, deren Hauptaufgabe die Organisation von Neuwahlen wäre. Diese könnten frühstens Ende Oktober stattfinden.
Zunächst muss das Parlament nun den Bericht des parteilosen Premiers Giuseppe Conte zur Regierungskrise abwarten – und über das Misstrauensvotum des PD gegen Salvini befinden, das mit dessen mutmasslich illegalen Russlandkontakten begründet wird. Mit einer Amtsenthebung könnte Salvini allerdings gut leben: Er hätte dann, wie er süffisant anmerkte, noch mehr Zeit für den Wahlkampf und trüge keine Verantwortung für das Haushaltsgesetz, das bis Ende Oktober der EU-Kommission zur strengen Prüfung vorgelegt werden muss. Die nötigen siebzehn Milliarden Euro zur Finanzierung der von der Lega versprochenen «Flat Tax» – nur noch fünfzehn Prozent Einkommenssteuer bis zu einem Familienjahreseinkommen von 55 000 Euro – werden darin nicht enthalten sein.
Begeisterte Massen
Materiell «gelohnt» hat sich für die Lega-WählerInnen ihr Votum bislang ohnehin nicht. Umso alarmierender sind die steigenden Zustimmungswerte für die Lega und ihren Capo, auch im Zusammenhang mit der «Sea Watch 3»-Affäre und Salvinis skrupellosen Tiraden gegen Seenotretterin Carola Rackete. Nun ist es das zum Gesetz erhobene Sicherheitsdekret, das die aufgehetzten Massen begeistert. Es enthält hohe Haft- und Geldstrafen von bis zu einer Million Euro für die Rettung von Menschen auf hoher See sowie die Beschlagnahmung der dabei eingesetzten Schiffe.
Dass die angedrohten Strafen weder mit dem internationalen Seerecht noch mit der italienischen Verfassung vereinbar sind, ist den Regierenden in Rom zweifellos bewusst. Ganz offensichtlich dienen die angedrohten Verschärfungen vor allem zur Abschreckung der RetterInnen und zur Aufhetzung der rechten Klientel.
Gegen die Lega und die von ihr planmässig angeheizten faschistoiden Massenstimmungen wächst allerdings der Widerstand. Beppe Grillo, der Gründer von Cinque Stelle, ruft zum Kampf gegen die «Barbaren», und auch von links und aus dem PD kommen Aufrufe zu einer Art «antifaschistischer Einheitsfront», um das Schlimmste zu verhindern.
Wenn es dafür nicht schon zu spät ist. Der mittlerweile 83-jährige Publizist Giampaolo Pansa, jahrzehntelang Meinungsmacher einflussreicher Blätter wie «La Repubblica», «L’Espresso» oder «Panorama», ist pessimistisch: «Wir sind gerade erst am Anfang einer üblen Geschichte, die Jahre dauern wird.»