«Jagdzeit»: Aus der Bahn

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Ordentlicher wurde eine Nudelsuppe ausserhalb von Japan wohl nie gegessen. Da sitzt Alexander Maier (Stefan Kurt) im Massanzug auf der Terrasse seiner Luxuswohnung, in einem perfekt abgezirkelten Raum aus Licht und Schatten, den die Herbstsonne auf den Boden malt. Die meditativen Klänge einer Bambusflöte begleiten das Wenige an Handlung, das die Mahlzeit mit sich bringt. Doch so aufgeräumt wie dieses Tableau ist «Jagdzeit» bei weitem nicht.

Das düstere Drama von Sabine Boss («Der Goalie bin ig») erzählt im Gegenteil, wie ein Leben aus der Bahn gerät, das mit sympathischer Dickköpfigkeit an ein paar Grundtugenden festhalten will. Dazu gehören für den Finanzchef eines Schweizer Katalysatorenherstellers nicht nur Bilanzen ohne Kommafehler. Maier will auch, dass Arbeitsplätze geschützt werden und nachhaltig gewirtschaftet wird: Wer sonst soll gegen den Klimawandel ankämpfen, wenn nicht die Autobranche?

Doch das alles gilt nicht mehr, seit der deutsche «Turnaround-Kapitän» Hans-Werner Brockmann das leckgeschlagene Unternehmen wieder auf Kurs bringen soll. Ulrich Tukur spielt diesen geschmeidigen Machtmenschen als Quintessenz helvetischer Ressentiments gegen den grossen Nachbarn: ölig, selbstherrlich und herablassend. Es gehört zu Brockmanns Führungsstil, dass er von seinen Untergebenen absolute Loyalität erwartet. Maier schenkt er deshalb das «Hagakure», den Ehrenkodex der Samurai, der in der Selbstaufgabe die höchste Erfüllung eines Kriegers sieht.

Allerdings steht darin auch, dass grosse Taten nur von einem Mann zu erwarten sind, der sich in einem verzweifelten Zustand befindet, und das trifft auf Maier je länger, je mehr zu. Nicht nur befindet er sich in der Scheidung und ringt um jedes Fitzelchen «Quality Time», das er mit seinem Sohn verbringen kann. Er will sich auch nicht als nützlicher Idiot instrumentalisieren lassen, um das Unternehmen auf dem Altar des Shareholder Value zu opfern.

«Die Welt ist ein Traum», heisst es im «Hagakure». Man kennt dieses Zitat auch aus Jim Jarmuschs «Ghost Dog», mit Forest Whitaker als modernem Samurai. In «Jagdzeit» mit seinen sterilen Interieurs und verkümmerten Innenleben ist dieser Traum definitiv auf den Hund gekommen. Natürlich drehe sich alles um wertschätzende Kommunikation, schnödet Brockmann, aber was spreche schon gegen mehr Geld? Maier kennt die Antwort. «Humanismus war schon immer altmodisch», sagt er und isst Nudelsuppe, als gäbe es kein Morgen.

In: Solothurn, Reithalle, Fr, 24. Januar 2020, 21 Uhr, und Konzertsaal, Mo, 27. Januar 2020, 17.30 Uhr. Ab 20. Februar 2020 im Kino.

Jagdzeit. Regie: Sabine Boss. Schweiz 2020