Porn Studies: «Pornos sind immer ein super Sündenbock»

Nr. 13 –

Madita Oeming ist eine der ersten Kulturwissenschaftlerinnen im deutschsprachigen Raum, die Pornos erforschen. Im Gespräch sagt sie, warum es neue Pornos braucht, die Panik über angebliche Pornosucht übertrieben und die hypersexualisierte Jugend eine Mär ist.

WOZ: Madita Oeming, in diesem Semester haben Sie einen Kurs in Berlin gegeben unter dem Titel «Porn in the USA», mit schönen Grüssen an Bruce Springsteen. Darauf gab es heftige Reaktionen. Was war da los?
Madita Oeming: Beatrix von Storch war los! Die AfD-Politikerin hat die Ankündigung meines Seminars bei Twitter geteilt und mir damit meinen ersten richtigen, primär rechten Shitstorm beschert.

Was genau ist der Vorwurf von Frau von Storch?
Sie wirft mir vorsätzliche Schädigung des Steuerzahlers und gezielte «Verdoofung» der Akademiker vor. Sie bemängelte, geradezu in Trump-Manier, dass man, während die Chinesen «Hunderte Millionen Ingenieure und Programmierer» ausbilden, in Deutschland dagegen nur lerne, Pornos zu schauen. Klingt fast lustig, aber die Folgen für mich waren es nicht.

Sie wurden auch antisemitisch angefeindet. Wie hat sich das geäussert?
Auf einmal fragten reihenweise fremde Twitter-User nach meiner Herkunft. Ist sie Jüdin? Sie muss Jüdin sein! Menschen fingen an, mich zu googeln, um Indizien zu finden. Jemand fischte zum Beispiel aus meinem Lebenslauf, dass ich jüdisch-amerikanische Literatur unterrichtet habe. Es folgten Vergasungswünsche, Weimar-Vergleiche, Hakenkreuze, das volle Programm.

Was, glauben Sie, hat das ausgelöst?
Ich fürchte, es war einfach der Wunsch, mich noch besser zum Feindbild stilisieren zu können. Es wurde auch von vielen gerätselt, ob ich denn nicht trans sei. Sie wollten einfach, dass ich optimal ins rechte Abwertungssystem passe. Um noch besser hetzen zu können.

Geht es den Porn Studies da wie den Gender Studies? Die werden ja ebenfalls massiv von rechts angefeindet. «Genderwahn» ist eine Schlüsselparole in den neuen Kulturkämpfen.
Absolut. Das bekomme auch ich ständig zu hören. In deren Augen ist das, was ich tue, quasi die absurde Krönung der Gender Studies. Auf dem rechten Blog «Die Freie Welt» gab es einen Artikel über mich, da heisst es, die Porn Studies seien die «schamlose Erfüllung» der Gender Studies. Natürlich nutze ich durchaus auch Ansätze aus diesem Bereich, aber vieles, was wir in so einem Seminar besprechen, hat gar nichts mit Genderfragen zu tun.

Kürzlich berichtete die NZZ über einen neuen «Krieg gegen Porno» in den USA und sah darin einen Beleg für die sogenannte Hufeisentheorie, nach der sich rechte und linke Extreme annähern. Der Autor schrieb: «Pikant an der neuerlichen Kampfansage an die Adresse von Porno ist, dass sich umstrittene Argumente einer radikal-feministischen Gegnerin von Pornografie und Prostitution wie [Andrea] Dworkin (…) denen von religiös-konservativen Moralisten annähern – les extrêmes se touchent.» Ist da etwas dran?
Grundsätzlich stimmt die Beobachtung, aber das ist keine neue Entwicklung: Schon seit den siebziger Jahren kämpfen in den USA die sogenannten radikalen Feministinnen Hand in Hand mit der religiösen Rechten. Das bestätigt aber nicht die Hufeisentheorie, sondern zeigt nur, dass der Radikalfeminismus weniger links zu verorten ist, als viele annehmen. Das zeigt sich zum Beispiel in der Kopftuchdebatte sehr deutlich. Dazu äussert sich Alice Schwarzer ähnlich antimuslimisch wie die AfD.

Apropos Alice Schwarzer. Bei Feminismus und Pornografie denken wahrscheinlich viele Leute an die PorNO-Kampagne, die Schwarzer 1987 ins Leben gerufen hat. Was sagen Sie dazu?
Es wird oft übersehen, dass sich der Feminismus damals gespalten hat. Alle waren sich einig, dass das Frauenbild, das in den meisten Pornos gezeigt wird, schwierig ist. Aber während die Anti-Porno-Feministinnen, wie Schwarzer in Deutschland oder Catharine MacKinnon in den USA, sie deshalb verbieten wollten, hatten die Pro-Porno-Feministinnen einen anderen Ansatz: Lasst uns eigene, andere Bilder machen, in denen wir uns wiederfinden.

Damit haben Sie eine berühmte Parole umschrieben: Die Antwort auf schlechte Pornos ist nicht keine Pornos, sondern bessere.
Genau, das ist ein berühmtes Zitat von Annie Sprinkle, einer Pionierin des feministischen Pornos. Dieser unterscheidet sich vom althergebrachten Porno vor allem durch den Einbezug weiblicher und queerer Lust. Pornografie wurde über Jahrzehnte durch und für den männlichen Blick kreiert. Das wollten die feministischen Pornografinnen ändern.

Was ist demnach ein guter Porno?
Grundsätzlich meide ich diese Formulierung. Denn sie wird oft benutzt, um den guten Femporn vom bösen Mainstreamporn abzuheben. Das stört mich. Ich finde auch in Mainstreamproduktionen Feminismus, und mittlerweile gibt es dort auch etliche erfolgreiche Produzentinnen. Am Ende ist für mich ein guter Porno schlicht einer, der mir gefällt und mich erregt. Aber das ist natürlich komplett subjektiv. Objektiv wichtig finde ich, dass ein Porno ethisch produziert wurde. Dass auf Consent und Sicherheit Wert gelegt wird. In feministischen Produktionen wird darauf geachtet, dass Frauen und Queers am Produktionsprozess beteiligt sind, dass sie auch hinter, nicht nur vor der Kamera stehen. Und die sexuellen Präferenzen der Darstellenden werden oft mit einbezogen. Das trägt natürlich auch dazu bei, dass sich alle wohlfühlen.

Und wie überträgt sich das auf den Bildschirm?
Was die Bilder selbst anbelangt, sollten wir offen sein. Man hört manchmal den Begriff «frauenfreundlicher Porno». Das finde ich grauenhaft. Und sehr sexistisch. Frauen wollen die unterschiedlichsten Dinge sehen und nicht unbedingt etwas anderes als Männer. Aber aus feministischer Perspektive würde ich auf Diversität achten von Körpern, Geschlechteridentitäten, sexueller Orientierung und Herkunft. Aber auch Perspektiven. Wir sehen heterosexuellen Sex sehr selten aus dem wortwörtlichen Blickwinkel der Frau. Sogenannter POV-Porno ist zum Beispiel sehr beliebt. Da hat der männliche Darsteller quasi die Kamera um den Kopf geschnallt, und wir sehen alles durch seine Augen. So gut wie nie ist es umgekehrt. Ich wünsche mir eine Demokratie der Bilder.

Wenn Sie von Diversität sprechen, welche Rolle spielen Pornos für die LGBTIQ-Community?
Eine grosse. Es geht um Sichtbarkeit. Darum, dass der eigene Körper und die eigenen Bedürfnisse dargestellt werden, mitgemeint werden. Gerade wenn sie in vielen Medien und im öffentlichen Diskurs permanent ausgeklammert werden. Und natürlich ist es auch eine Möglichkeit, Vorlieben sicher und ungestört für sich zu erforschen. Viele queere Menschen berichten, dass sie durch Pornografie verstanden und auch akzeptiert haben, welche Sehnsüchte sie haben. Manchmal müssen wir etwas erst mal als Möglichkeit sehen, bevor wir merken, dass wir es begehren.

Was sagt uns der anhaltende, massenhafte Boom von Pornografie eigentlich über die Gesellschaft, in der wir leben?
Der Konsum von Pornografie und das öffentliche Interesse daran sind ja nicht aus sich heraus so massiv angestiegen, sondern weil die Pornografie durch das Internet so leicht verfügbar geworden ist. Anonym, umsonst, schnell. Also eher eine technologische Veränderung, die eine gesellschaftliche mit sich bringt. Wir sollten das nicht überbewerten. Wir Menschen nutzen eben jedes Medium, das uns zur Verfügung steht, zur Darstellung von explizitem Sex. Von der Höhlenmalerei über die Fotografie bis hin zum Internet. Es scheint ein grundlegendes Verlangen zu sein, das lediglich neue Formen und dadurch auch neue Ausmasse annimmt.

Wie beurteilen Sie den Einfluss von Pornos auf unsere Körperbilder? Sie schreiben über den Trend zur Designervulva oder, das klingt auf Englisch besser, die «designer vagina».
Klingt besser, ist aber eigentlich falsch. Ich weise immer wieder gerne darauf hin, dass wir permanent Vagina sagen, wenn wir Vulva meinen. Denn die Vagina ist nur der innen liegende Schlauch. Die Vulva hingegen ist alles von aussen Sichtbare. Und darum geht es bei diesem Trend, nämlich um die chirurgische Reduktion der inneren Vulvalippen. Sie werden so zurechtgeschnitten, dass sie nicht mehr vor den äusseren hervorschauen, sondern die Vulva wie eine geschlossene Muschel aussieht. Es wird immer wieder behauptet, dieses sogenannte Brötchen-Schönheitsideal würde dem Porno entspringen. Aber das ist schlicht falsch. Genau genommen ist der Porno in unserer Mainstreamkultur sogar der einzige Ort, wo wir eine grosse Vielfalt an Vulven sehen können. Grundsätzlich denke ich, dass Pornos unsere Körperbilder, und auch unsere Vorstellungen von Geschlechterrollen, weniger katastrophal beeinflussen als Werbung und Hollywood. Ich wünschte, da würden wir auch mal so kritisch hinschauen! Aber Pornos sind eben immer ein super Sündenbock.

Was Sie da ansprechen, wird im Englischen als «moral panic» bezeichnet. Damit beschäftigen Sie sich auch in Ihrer Doktorarbeit.
Ja, ich beschäftige mich mit Pornosucht als Moralpanik in den USA. Dort ist das Thema in den Medien sehr präsent. Obwohl Pornosucht bislang keine anerkannte Diagnose ist, haben etliche US-Staaten Pornografie als öffentliche Gesundheitsgefährdung deklariert. Als Kulturwissenschaftlerin interessiert mich, warum dieses Narrativ so gut funktioniert. Und welche Rollen verschiedene Medien dabei spielen, es zu verbreiten.

Madita Oeming

Welche Effekte hat die Internetpornografie auf junge Leute?
Das lässt sich empirisch noch nicht beantworten. Aber ich finde es wichtig zu sagen, dass auch hier eine Panik um dieses Thema herrscht, die so nicht berechtigt ist. Die angeblich durch Dauerpornokonsum hypersexualisierte Jugend zeichnet sich nirgendwo ab. Im Gegenteil. Statistisch gesehen haben Jugendliche heute eher später Sex und weniger Sex. Das eigentliche Problem ist die mangelhafte Sexualaufklärung. Auch Pornografie selbst gehört für mich als Thema in den Schulunterricht. Ich glaube an Bildung, nicht an Zensur. Ich denke auch, dass wir jungen Menschen mehr zutrauen sollten. Sie sind durchaus in der Lage, zu verstehen, dass Comics oder Actionfilme Fiktion sind. Das könnte man ihnen auch bei Pornos erklären. Sie sind medienkompetenter, als wir denken.

Die Pornoforscherin

Madita Oeming (33) ist eine der ersten Pornoforscherinnen im deutschsprachigen Raum. An der Universität Paderborn lehrt und forscht sie zu Porn Studies. Derzeit schreibt sie ihre Dissertation über Pornosucht als «Moralpanik des digitalen Zeitalters» in den USA.

Pornoindustrie in Coronazeiten : Alles nur Marketing?

«Ich will keinen Unfall riskieren, wir müssen uns schützen», sagt der Mann zur Frau, die in freudiger Erwartung zur Tür hereingekommen ist. Sie ist darüber nicht besonders erfreut: «Ich hasse Kondome.» Aber so hat er es gar nicht gemeint. Zuerst erklärt er ihr, dass mit diesem Virus nicht zu spassen sei, dann spielt im Hintergrund eine Liebesballade aus den Achtzigern, und er, der bereits eine Atemschutzmaske trägt, nimmt eine zweite hervor und bindet sie der Frau ums Gesicht. Dann haben sie Sex.

«Covid-19 Coronavirus: Horny Slut Has To Use Protection During Outbreak!» heisst dieser Film, der sich auf einer grossen Pornoseite findet, und es scheint darin eher um Witz und vielleicht sogar Belehrung zu gehen als um die Erregung der ZuschauerInnen. Überraschend ist es nicht, dass die Zugriffszahlen von Pornoseiten in die Höhe schnellen, seit die Leute in immer mehr Ländern zu Hause bleiben müssen. Die Anbieter wiederum machen sich die Krise geschickt zunutze, indem sie gratis Premiumzugänge anbieten.

Doch wie bei jenem Film reagiert die Pornoindustrie nicht nur mit Marketing auf den Ausnahmezustand. Auf der Plattform «Pornhub» war kürzlich zum ersten Mal ein nichtpornografischer Dokumentarfilm zu sehen: «Shakedown», der auch an der Berlinale gezeigt wurde, porträtiert einen lesbischen, schwarzen Stripclub in Los Angeles. Regisseurin Leilah Weinraub gehört selber zur queeren Community und hat diese über zehn Jahre lang mit der Kamera begleitet. Vielleicht erinnert sich die Pornoindustrie in dieser Krise ja auch ein bisschen daran, wie emanzipatorisch ihr offener Umgang mit dem nackten Körper einst war.

David Hunziker