Flüchtlingspolitik: Schweizer Geld zur Abschottung

Nr. 36 –

Die Mission der «Louise Michel» begann am 18. August, in aller Heimlichkeit. Von einer spanischen Hafenstadt aus segelte der Kahn mit dem leuchtend pinken Anstrich ins zentrale Mittelmeer. Die «Louise Michel» – benannt nach einer Anarchistin der Pariser Kommune – ist das neuste private Seenotrettungsschiff vor den Küsten Europas, gespendet und bemalt wurde es vom britischen Street-Art-Künstler Banksy. In der Schwemme asylpolitischer Hiobsbotschaften ist das eine gute Nachricht.

Nötig ist ihr Einsatz allerdings nur, weil die Staaten ihrer Verantwortung schon lange nicht mehr nachkommen. Stattdessen erhalten libysche Milizen von der EU Geld, um Schutzsuchende in das Bürgerkriegsland zurückzubringen. Mutige SeenotretterInnen hingegen werden seit Jahren kriminalisiert, ihre Schiffe im Hafen blockiert oder gar nicht erst in die Häfen gelassen. Das Handelsschiff Etienne steckt seit fast einem Monat mit Dutzenden Geflüchteten an Bord vor Malta fest: ein trauriger Rekord. In den sozialen Medien kursieren derweil Aufnahmen, auf denen Menschen in seeuntauglichen Booten um Hilfe rufen – Dokumente europäischer Menschenverachtung.

Auch in Griechenland, dem anderen grossen Grenzposten, ist die Lage der Flüchtenden verzweifelt, in den überfüllten Lagern wie auf dem Meer. Was AktivistInnen schon lange wissen, haben Medien kürzlich bestätigt: Demnach fährt die griechische Küstenwache Menschen aufs Meer hinaus, um sie in Schlauchbooten oder auf «Rettungsinseln» ihrem Schicksal zu überlassen. Was sich grausamer kaum denken lässt, ist bloss der Höhepunkt einer jahrelangen Praxis. An den illegalen Pushbacks sind neben griechischen GrenzschützerInnen auch Boote und BeamtInnen von Frontex beteiligt.

Seit ihrer Gründung 2004 dient die Europäische Grenz- und Küstenwache primär dazu, den Kontinent abzuschotten. Priorität erlangte dieses Ansinnen erst recht nach dem Flüchtlingssommer 2015, als das Grenzregime zumindest für kurze Zeit überwunden schien. Dieser Tage jährt sich der «Marsch der Hoffnung» zum fünften Mal. Hunderte machten sich damals auf den Weg von Budapest nach Österreich, schufen so erfreuliche Realitäten.

Seither betonen EU-Offizielle: Was damals geschah, darf sich nicht wiederholen. Deshalb erhielt Frontex mehr Personal, wurde mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet. Wo die Einsatzkräfte früher die nationalen Behörden unterstützten, dürfen sie neu auch selbstständig Menschen an der Grenze zurückweisen. Dafür soll die Agentur bis 2027 auf eine «Reserve» von bis zu 10 000 Personen zurückgreifen können. Im Entstehen sei eine «EU-Ausschaffungsmaschine», warnt die Bürgerrechtsorganisation Statewatch in einem soeben publizierten Bericht.

Konsequenzen hat die aktuelle Frontex-Reform auch für die Schweiz. Vergangene Woche hat der Bundesrat seine Botschaft zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands vorgelegt. Demnach soll Bern künftig statt 14 bis zu 68 Millionen Franken jährlich beisteuern – und mehr eigene BeamtInnen in den Einsatz schicken. Die Festung Europa wird also auch im Binnenstaat Schweiz verteidigt.

Eingebettet ist der Ausbau von Frontex in eine umfassende Reform des Dublin-Systems, die allerdings immer weiter vertagt wird. Nach allem, was bisher bekannt ist, lässt auch sie nicht auf mehr Humanität hoffen. Um sicherzustellen, dass die Schweiz bei der Ausgestaltung der Dublin-Reform mit am Tisch sitzt, eilte Justizministerin Karin Keller-Sutter kürzlich eilfertig nach Berlin. Klar ist: Der wichtigste Pfeiler einer Asylpolitik, die wenig Gemeinsames kennt, ist die Abschottung.

Im Parlament dürfte es die Frontex-Verordnung allerdings schwer haben. Während SVP und Grüne Fundamentalopposition angekündigt haben, knüpft die SP ihre Zustimmung an Bedingungen: die Aufnahme von Kontingentflüchtlingen etwa – oder mehr humanitäre Visa. Wie dringend sichere Fluchtrouten sind, zeigt sich nicht zuletzt eindrücklich am Einsatz der «Louise Michel». Allein in den ersten paar Wochen hat sie mehr als 200 Menschen vor dem Ertrinken gerettet.