City Card: Schützt diese Karte vor neugierigen PolizistInnen?

Nr. 47 –

Die Stadt Zürich hat sich zur Einführung der City Card durchgerungen. Weiterhin aber betont die Stadtregierung ihre Vorbehalte – auch dort, wo nun offensives Handeln angesagt wäre.

Der Zürcher Stadtrat hat doch noch eingelenkt. Letzte Woche kommunizierte er seinen Entscheid für die «Züri City Card». Dass er sich hinter das Projekt stellt, das einen Ausweis für alle StadtbewohnerInnen vorsieht, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, ist ein später Erfolg für die Kräfte, die Sans-Papiers zu mehr Schutz und Rechten verhelfen wollen.

Eine Motion der linksgrünen Parteien im Stadtparlament beantwortete der Stadtrat vor zwei Jahren noch mit dem Einwand, man dürfe den Betroffenen keine falschen Hoffnungen machen. Auch stellte die Stadtregierung die Rechtsgültigkeit eines Stadtausweises grundlegend infrage. Dennoch überwies der Gemeinderat Ende Oktober 2018 den verbindlichen Auftrag an die Exekutive. Der Stadtrat war also zum Handeln gezwungen – auch weil eine von ihm in Auftrag gegebene Studie in der Zwischenzeit die rechtlichen Zweifel ausgeräumt hatte.

«Man muss die Polizei schulen»

Was also bringt die City Card? Für illegalisierte Menschen lautet das Kernanliegen Aufenthaltssicherheit. Peter Nideröst, Jurist und Mitglied des Vereins Züri City Card, sagt, man sei grundsätzlich sehr zufrieden mit dem Vorschlag des Stadtrates. Die Kommunikation über die Bedeutung der City Card bei Polizeikontrollen beurteile man aber kritisch. In ihren Communiqués betont die Stadt stets, dass das Vorzeigen der City Card nichts nütze, wenn ein Anfangsverdacht auf illegalen Aufenthalt bestehe. In diesem Fall sei die Stadtpolizei dennoch verpflichtet, den Aufenthaltsstatus genauer abzuklären. «Von Amtes wegen», sagt Christof Meier, Leiter der städtischen Integrationsförderung, am Telefon. Wer sich dem verweigere, mache sich der Begünstigung strafbar. Tatsächlich herrschen in der Schweiz andere Voraussetzungen als in den USA, wo sich «Sanctuary Cities» wie New York weigern, mit den nationalen Ausschaffungsbehörden zu kooperieren. In den USA räumt ein Urteil des Obersten Gerichtshofs den Städten dieses Recht ein, in der Schweiz herrscht die Verpflichtung zur Kooperation mit den zuständigen kantonalen Behörden.

Die City Card könnte dennoch Abhilfe schaffen. Die Stadt hat mit ihrem Vorbehalt des Anfangsverdachts zwar recht. Die grosse Frage aber lautet: Wann ist ein solcher gegeben? Nideröst sagt dazu: «Die Rechtspraxis zeigt, dass es ihn nur geben kann, wenn jemand angezeigt wird, meist vom kantonalen Migrationsamt.» Bei zufälligen Strassenkontrollen hingegen könne es gar keinen Anfangsverdacht auf illegalen Aufenthalt geben. «Ausser man betreibt Racial Profiling.» Das Gutachten, das der Stadtrat bei der Universität Zürich in Auftrag gegeben hat, kommt zum klaren Schluss, dass alleine das Vorzeigen der City Card keinen Anfangsverdacht begründe. Für die Praxis heisst das: Wer in eine Polizeikontrolle gerät und sich mit einer City Card ausweist, darf allein deswegen nicht weiter überprüft werden. Hat jemand hingegen keine Papiere vorzuweisen, steht die Polizei unter Handlungszwang. Nideröst ist deshalb sicher, dass die Einführung des städtischen Ausweises auch vielen BeamtInnen entgegenkommen wird. «Ich habe schon mit einigen Polizisten geredet, die solche Kontrollen unangenehm finden. Die City Card erlaubt es ihnen, die Prüfung des Aufenthaltsstatus bleiben zu lassen.» Man müsse nun die PolizistInnen entsprechend anweisen und schulen.

Hohe Hürden im Weg

Der Schutz der Sans-Papiers hat freilich Grenzen: So agiert etwa die Kantonspolizei autonom auf Zürcher Boden. Sie wird unter den derzeitigen politischen Verhältnissen im Kanton die City Card kaum anerkennen. Auch geht Nideröst von relativ hohen Hürden zur Ausstellung des städtischen Papiers aus: «Dafür werden wohl Papiere aus dem Herkunftsland nötig sein» – was zum Beispiel viele abgewiesene Asylsuchende nicht vorweisen können.

Es ist augenscheinlich: Die Stadt Zürich scheut sich, offensiv für die Vision eines urbanen Zufluchtsortes einzustehen. Dieses Wort gebrauche er nicht, sagt Christof Meier von der städtischen Integrationsförderung. «Unsere Vision ist, dass alle Leute, die hier leben, Zugang zu zentralen Grund- und Menschenrechten sowie zu den städtischen Dienstleistungen erhalten.» Zudem fordere die Stadt die Regularisierung langjähriger Sans-Papiers. «Insbesondere auf nationaler Ebene gibt es aber auch politischen Gegendruck, und oft geht es darum, weitere Verschlechterungen abzuwehren.»

Das erklärt, warum der Stadtrat bei der Lancierung der City Card statt von Auslieferungsschutz von einem «Potenzial für die Gesamtbevölkerung» spricht. Man wolle digitale Schnittstellen schaffen, wo sich ZürcherInnen für städtische Sommerprogramme oder Kinderkrippenplätze anmelden könnten. Potenzial für einen verbesserten Zugang für Sans-Papiers sieht der Stadtrat etwa bei Notunterkünften oder städtischen Stipendien.

Aktivitäten in Bern, Luzern, St. Gallen

Trotz der kommunikativen Zurückhaltung: Der Zürcher Entscheid ist ein Signal an andere Städte, die ebenfalls über die Einführung der City Card nachdenken und so einen Schritt Richtung Urban Citizenship gehen. Das ist ein Konzept, das Städte als politische Räume betrachtet, in denen alle BewohnerInnen dieselben sozialen und politischen Rechte haben.

Bern ist in Sachen City Card bereits weiter als Zürich. Die Idee wurde dort von der Exekutive lanciert. Die Stadtregierung legte ihre Einführung im «Schwerpunkteplan Integration 2018–2021» als Ziel fest und setzte eine Arbeitsgruppe ein, die seither an der Umsetzung arbeitet. Leiterin Susanne Rebsamen sagt, man sei sich auch in Bern der zahlreichen rechtlichen Grenzen bewusst. Sie spricht etwa das Ziel des Justizzugangs an – das aufgrund der kantonalen Zuständigkeit jedoch nur schwer erreichbar sein wird. Rebsamen sagt jedoch: «Die Stadt Bern hat immer an die City Card geglaubt.» Damit verbunden sei eine Zukunftsvision. «Es geht um eine Haltung, ein Bekenntnis. Wir müssen uns fragen: Wo wollen wir mit der Karte hin? Und dann geht es darum, Schritt für Schritt auszuloten, was möglich ist und wie wir weiterkommen.» In Bern war das Projekt zwar nie vom Zürcher Entscheid abhängig – man sei aber in stetem Austausch, sagt Rebsamen.

In St. Gallen beginnt die Stadtregierung erst damit, die Einführung einer City Card zu prüfen. Das Stadtparlament hat im September ein entsprechendes Postulat für erheblich erklärt. Sozialvorsteherin Sonja Lüthi schreibt: «Unser Bericht wird am 22. September 2022 fällig. Wir müssen nun die Erwägungen von Zürich genau studieren und dabei auch prüfen, ob die Situation in St. Gallen und Zürich die gleiche ist.» Aktiv wird man auch in der Stadt Luzern: Sozialdirektor Martin Merki: «Die Stadt Luzern verfolgt die Bemühungen in Bern und Zürich mit grossem Interesse. Sobald bekannt ist, was die City Card dort alles umfassen wird, werden wir eigene Abklärungen starten.»

In Zürich geht es nun an die konkrete Umsetzung. Das Stadtparlament muss den Vorschlag des Stadtrats beraten und die rechtlichen Grundlagen für die «Züri City Card» schaffen. Die Frage nach den Polizeikontrollen bleibt dabei zentral: Nutzt die Stadt ihren Spielraum, wäre das für die betroffenen Sans-Papiers ein riesiger Fortschritt.