Auf allen Kanälen: Basler Gegengewicht

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«Bajour» erkämpft sich seinen Platz in der Basler Medienlandschaft. Das Finanzierungsmodell könnte in der MäzenInnenstadt aufgehen.

Als Erstes springt ein Hashtag ins Auge: «#Flockdownbasel». Soeben ist der Winter über die Schweiz gekommen, und die Community soll ihre besten Bilder aus dem Schneegestöber teilen. Gleich daneben: eine Reportage von der Strasse, zu Besuch in der Kälte bei den Obdachlosen der Stadt. Nochmals weitergescrollt, und es erscheint ein Bericht zu Ausfallentschädigungen für Kulturschaffende in der Coronakrise. Der erste Eindruck, den «Bajour» vermittelt: locker flockig und ernsthaft zugleich, journalistische Recherche neben offensichtlichem Effort zur KundInnenbindung.

Das Basler Gratis-Onlineportal «Bajour» kommt weitgehend ohne Werbeanzeigen aus. Das Geschäftsmodell basiere auf Identifikation, sagt Chefredaktorin Andrea Fopp, und mittlerweile sei man damit in Basel voll angekommen: Allein im Dezember habe man 500 neue GönnerInnen und Member gewinnen können, die Klickzahlen waren rekordhoch. «Wir haben im Herbst nach dem zweiten Regierungsratswahlgang Vollgas gegeben bei der Politberichterstattung», sagt Andrea Fopp. «Seither scheint es, als würde alles aufgehen.» Was wirklich ziehe, sei der klassische Lokaljournalismus. Das ist die ermutigende Botschaft.

Raus aus dem Internet

Gestartet ist «Bajour» im Spätsommer 2019, nachdem es sich die Unterstützung der Basler Stiftung für Medienvielfalt gesichert hatte: als Nachfolgeprojekt der «TagesWoche», die 2018 eingestellt worden war. Somit ist «Bajour» der nächste Versuch, in der umkämpften Basler Medienlandschaft ein neues Projekt zum Fliegen zu bringen und damit eine Art Gegengewicht zu den beiden bürgerlichen Tageszeitungen zu etablieren, die heute in den Händen von Tamedia und CH Media sind, wie auch zu zwei ebenso bürgerlichen Onlineangeboten, die es in der Stadt gibt. Die Nische, die sich «Bajour» bietet, scheint gross; seit dem Einfall Christoph Blochers und Markus Somms vor elf Jahren ist das Bedürfnis nach eigenständigem Lokaljournalismus gewachsen.

Der Weg von «Bajour» war nicht vorgespurt, auch wenn die finanzielle Ausgangslage einigermassen feudal ist: Eine Million Franken erhält das Medium von der Stiftung für Medienvielfalt bis 2022 jedes Jahr. Das anfänglich vierköpfige Team suchte von Anfang an nach kreativen Ansätzen. Weil es nicht nur im Internet stattfinden sollte, wurden im physischen Raum Veranstaltungen organisiert. Für Reichweite sorgte bald auch das «Basel Briefing»: ein Newsletter, der frühmorgens einen Überblick zu Basler Tagesaktualitäten liefert. Als im Frühling 2020 der Lockdown über die Schweiz kam, reagierte «Bajour» blitzschnell: Mit «Gärn gschee» wurde eine Hilfsplattform lanciert, für die kurzerhand neue Stellen geschaffen und zwischenzeitlich die Löhne gekürzt wurden.

Journalistische Interventionen

Klar, dass ein neues kostenloses Onlinemedium in einer überschaubaren Stadt mit überschaubarem Medienkuchen auch für Irritationen sorgt. Vielleicht, weil die fürstlichen Stiftungsgelder gute Gehälter zulassen: dreizehn Monatslöhne à 7100 Franken. Auch für die Chefin, so Fopp. Gemäss Businessplan muss die jährliche Stiftungsmillion letztlich durch zusätzliche Einnahmen verdoppelt werden, wozu eine freiwillig zahlende Community von GönnerInnen und Membern sowie ein Crowdfunding beitragen. Der Rest soll durch Sponsoring und zusätzliche Stiftungsgelder zusammenkommen. Das Konzept scheint zu funktionieren: Den Businessplan fürs letzte Jahr habe man übertroffen, sagt Andrea Fopp. Die Stellenprozente auf der Redaktion wurden jüngst auf 790 erhöht, das Team wächst laufend. Gut möglich, dass die «Bajour»-Rechnung in Basel, der Stadt des Daigs und des Mäzenatentums, auch nach Ablauf der Anschubfinanzierung aufgeht.

Auch von ausserhalb lohnt sich übrigens ein Besuch auf «Bajour»: Sei es wegen der nonbinären Kolumne von Sascha Rijkeboer, wegen der engen Begleitung der städtischen Mindestlohndebatte oder des regelmässigen Generationengesprächs der jungen Klimaaktivistin Pauline Lutz mit der arrivierten Politikerin Anita Fetz. Und wenn «Bajour» über die Basler Nazifrei-Prozesse berichtet oder sich der bizarren Bettelverbotsdebatte annimmt, kommt dies journalistischen Interventionen gleich. Ob man dafür im Kunstfaserschlafsack neben einer obdachlosen Romafamilie übernachten muss und wie geschmackvoll man den eingebetteten Spendenaufruf («Hesch uns 40 Stutz?») findet, ist hingegen Ansichtssache.