Coronabusiness: Wie sich Angst vergolden lässt

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Merchandiseartikel und Fantasiemünzen, Sammelklagen und Spendenkonstrukte: Im Zuge der Coronakrise haben findige Verschwörungsunternehmer lukrative Geschäftsmodelle entdeckt.

Die Freiheit, die sie meinen: Verschwörungsaccessoires aus dem «Stiller Protest»-Webshop. Foto: Florian Bachmann

Steffen Padbergs Versprechen ist verführerisch: ein «Ende der grossen Täuschung», «Wahrheiten über die Corona-‹Pandemie›», den «Deep State» und das «Goldsystem». Die Erlösung aus der «Matrix» – nur einen Klick entfernt. Im November hostete Padberg den virtuellen «Wahrheitskongress», bei dem er neben Reikimeistern und Naturheilerinnen auch Exponenten der deutschsprachigen Verschwörungsszene zusammenbrachte. Geladen waren auch Speaker aus der Schweiz, etwa der Basler Historiker Daniele Ganser und der im Thurgau lebende deutsche Blogger Samuel Eckert.

Auf dem alternativmedizinischen Lebenshilfemarkt boomen virtuelle Treffen schon lange; seit Ausbruch der Coronapandemie dürfte die Nachfrage noch gestiegen sein. Davon zeugen Angebote wie der «Impformationskongress», der «Kinder-und-Corona-Kongress» oder die «Spirit Wochen». Was harmlos klingt, ist oft geprägt von Esoterik und pseudowissenschaftlichen Erklärungen. Und ein lukratives Geschäftsmodell: Wer sich für einen Kongress anmeldet, bekommt einen Gratiszugang zu Videointerviews mit den SpeakerInnen. Wer aber später auf die Aufnahmen zugreifen oder das Bonusmaterial anschauen will, muss zahlen – im Fall des «Wahrheitskongresses» 79 Euro für ein «Basicpaket» und 197 Euro für das «Premiumpaket».

Einmal angemeldet, landen immer mehr Nachrichten für weitere Veranstaltungen oder neue Kaufangebote im Postfach. In einer ausführlichen Recherche spricht das Onlineportal «Medwatch» von «gesundheitsgefährlichen Inhalten und problematischen Marketing-Tricks». Wie viel Geld sich damit verdienen lässt, ist schwer zu sagen. Eine entsprechende Anfrage lässt Steffen Padberg unbeantwortet.

Grosses Sendungsbewusstsein

Jede Krise hat ihre ProfiteurInnen, so auch die aktuelle. Oder wie Katharina Nocun und Pia Lamberty in ihrem Buch «Fake Facts» schreiben: «Verschwörungsideologen können durch beständiges Füttern von Ängsten grossen Einfluss auf ihr Publikum ausüben. Wenn sie dann auch noch für jedes eingeredete Problem das passende Produkt anbieten, ist das quasi eine Lizenz zum Gelddrucken.» Wer aber sind die eifrigsten Gschäftlimacher? Und wo lassen sie sich inspirieren?

Bei ihrer Recherche hat sich die WOZ in eine misstrauische Welt begeben, in der nicht gerne mit den Medien gesprochen wird. Auffallend ist aber, dass sich die Methoden der «Corona-Unternehmer» ähneln, auch über Landesgrenzen hinweg. Einteilen lassen sie sich in mehrere Kategorien: Die einen verkaufen Merchandise, organisieren Bustouren an Demos oder sammeln Spenden. Andere machen ihr Geld mit dubiosen Sammelklagen oder stellen Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht aus. Und wieder andere beschwören den grossen Crash herauf – und bieten Edelmetalle als sicheren Wert an.

Wer die Website von Roger Bittel besucht, findet dort «Factsheets» zur Pandemie, ein «Maskenquiz» – und den Link zu Bittel TV, einem der grossen Infokanäle für die coronaskeptische Szene. Bittel, ein im Kanton Zürich lebender Oberwalliser, ist eines der bekanntesten Gesichter dieses Milieus; auf Telegram folgen ihm mehr als 80 000 Menschen, viele davon aus Deutschland. Laut einer aktuellen Auswertung der NZZ gehört der «Nachtarbeiter gegen das Impfen und 5G» zu den «zehn lautesten Schweizer Coronakritikern».

Bittel, der zurzeit braun gebrannt aus Sansibar vloggt, hat aber nicht nur ein grosses Sendungsbewusstsein, sondern muss seine Arbeit auch finanzieren. Dafür sammelt er Spenden, verkauft Pullover oder Tassen. Wie viel er damit einnimmt, konnte die WOZ nicht in Erfahrung bringen. Bittel war nur zu einem Gespräch bereit, wenn es live auf seinem Kanal ausgestrahlt würde. Eigene Webshops haben auch andere coronaskeptische Gruppierungen in der Schweiz. Beim «Stillen Protest» etwa, dessen AnhängerInnen zuletzt am Samstag durch Chur marschierten, bekommt man Hoodies und Tassen, Aufkleber fürs Auto oder Fahnen.

Schärfere Rhetorik – mehr Geld

Das vielleicht schillerndste Beispiel für findiges Corona-Unternehmertum ist aber jenes von Michael Ballweg, dem Initiator der deutschlandweiten «Querdenker»-Kundgebungen. Gemäss einer Recherche des Onlineportals «Netzpolitik» und des ZDF-Formats «Magazin Royale» bereicherte sich der Stuttgarter an den Früchten seiner selbstgesäten Coronaskepsis. «Querdenken» sei nicht bloss der Name einer Bewegung, sondern eine Merchandisemarke, die Ballweg beim Patentamt eintragen liess. Der IT-Unternehmer habe, so Satiriker Jan Böhmermann im «Magazin Royale», Corona in eine «Corporate Brand Experience» verwandelt.

Ballwegs wohl bester Trick war laut Böhmermann die Initiative «Querschenken»: Statt Spenden zu sammeln, die steuerpflichtig wären, liess er sich Geld schenken – das praktischerweise gleich auf sein Privatkonto ging. Wie zahlungsfreudig seine AnhängerInnen sind, zeigt dabei eine Episode aus dem letzten Frühling. Als Ballweg nach einem mutmasslichen Brandanschlag zum Crowdfunding aufrief, sollen innert weniger Tage über 200 000 Euro zusammengekommen sein. «Ballweg hat wohl aus ideellen Motiven angefangen; aber kein Mensch schafft es, auf Dauer unabhängig zu sein, wenn sich die Unterstützung auf dem Bankkonto bemerkbar macht», sagt der deutsche Jurist Chan-jo Jun, der Ende Dezember gegen «Querdenken» klagte. «Wenn er mit schärferer Rhetorik mehr Geld bekommt, befeuert es ihn, noch eins draufzulegen.»

Während Ballweg also wohl erst unterwegs bemerkt hat, dass die coronaskeptische Bewegung auch ein Geschäftsfeld ist, verfolgten andere von Anfang an monetäre Motive. Als Beispiel nennt Jun Initiativen wie «Das Volk gegen Corona» oder «Anwälte für Aufklärung», die gegen Covid-19-Massnahmen klagen wollen. Diese hätten schnell erkannt, dass sich mit Empörung Geld verdienen lässt. Auch der deutsche Jurist Reiner Fuellmich sorgte für Schlagzeilen, als er eine Sammelklage gegen den prominenten Virologen Christian Drosten und die WHO ankündigte. Für ein Gespräch war auch Fuellmich nicht verfügbar. Dafür erklärt Anwalt Jun das Modell: Wer sich an der Klage beteiligen wollte, musste im Voraus 800 Euro bezahlen. Nachahmer hat Fuellmich offenbar auch in der Schweiz gefunden.

«Die Wahrheit wird euch frei machen», steht in grossen Lettern auf der Website von «Wir klagen an». Wie diese Freiheit erreicht werden soll? Indem man juristisch gegen die Coronamassnahmen des Bundesrats oder die Maskenpflicht vorgeht, aber auch «gegen fremde Mächte» – wobei der letzte Punkt auf der Website «in Bearbeitung» ist. Gegründet hat die Initiative der Zürcher Unternehmer Benedict Schweizer. Weil die Medien in der Vergangenheit «jegliches Wohlwollen missen liessen», ist auch Schweizer nicht zu einem Gespräch bereit. Immerhin beantwortet er die Fragen schriftlich. Entstanden sei sein Verein als Antwort auf die Schweizer Coronapolitik, um «die Richter zu verpflichten, Stellung zu nehmen». Was Schweizer fordert, ist ein Beweis, dass Covid-19 gefährlicher ist als die Grippe. Dass Covid genauso harmlos sei, wurde vielfach widerlegt, hält sich unter CoronaverharmloserInnen aber hartnäckig.

Einen ähnlichen Weg wie Schweizer hat auch der Basler Elektrounternehmer Sven Boenicke mit seiner Initiative «Jetzt klagen» gewählt, die er gemeinsam mit einem prominenten deutschen HIV-Leugner und dem eingangs erwähnten Blogger Samuel Eckert ins Leben gerufen hat. Mit Boenicke hätte ein Gespräch immerhin fast geklappt. Nach einer ersten Zusage wurde der Forderungskatalog während eines mehrtägigen Mailwechsels aber immer länger. So verlangte Boenicke, dass sich eine der beiden Autorinnen für einen früheren Text entschuldige, und wollte den gesamten Artikel «korrekturlesen» sowie einen «schriftlichen Beweis» für die Existenz von Covid-19.

Wie viele Spenden Boenicke erhalten hat und welche Ziele er verfolgt, bleibt somit unbeantwortet. Klar ist jedoch, dass das Budget der Initiative nicht gerade klein sein dürfte, leistete sie sich in Basel doch grossflächige Plakatwerbung. Klar ist auch, dass solche Initiativen wohl wirkungslos bleiben werden. Benedict Schweizer hat eigenen Angaben zufolge vier Klagen eingereicht, an denen man sich «für eine Spende von 50 bis 100 Franken» beteiligen konnte. Eine davon sei als «befremdlich und realitätsfern» zurückgewiesen worden, eine weitere, «ohne auf die Argumente seriös einzugehen», schreibt er.

Die Masche der Crash-Propheten

Wohl keine Gruppe beherrscht das Geschäft mit der Angst so erfolgreich wie die «Crash-Propheten», die in ihren Büchern, Videos und Beiträgen seit Jahren vor «Bargeldabschaffung» und dem «Zusammenbruch der Weltwirtschaft» warnen – und dann oft auch gleich das passende Produkt anpreisen. Mit der Pandemie finden auch sie ein grösseres Publikum. Die Botschaft solcher Leute sei immer die gleiche, sagt Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung. «Misstraut den anderen, der Elite, dem System. Vertraut stattdessen mir, und gebt mir euer Geld.» Stets schwinge in einer solchen Erzählung mit, dass «früher alles besser» gewesen sei und die angebotene Dienstleistung einen wichtigen Beitrag leiste, um die Welt zu einem Ort zu machen, wo «der kleine Mann» wieder das Sagen hat.

Die Kamera stellt scharf, als der Berater im Videocall eine Münze vor den Bildschirm hält. «Canadian Maple Leaf», sagt er, eine «Feingoldmünze» im Wert von rund 1700 Euro. Der Mann, der die verschiedenen Angebote vorführt, arbeitet bei der Firma Kettner-Edelmetalle. Während er in seinem gestreiften Hemd wie ein harmloser Versicherungsvertreter aussieht, ist das, was er sagt, weniger harmlos. Von «manipulierten Goldkursen» ist die Rede, einer «in absehbarer Zeit platzenden Blase». Der Börsenkurs werde sich dann wieder am Goldwert orientieren, denn «die» könnten ja «nicht unendlich viel Geld drucken».

Er sei kein Coronaleugner, sagt der Berater, aber dass «gewisse Ziele» wie die Abschaffung des Bargelds durch die Folgen der Pandemie umgesetzt werden könnten, sei «klar erkennbar». Er wisse, dass das nach Verschwörung klinge; aber in den Theorien um angebliche Seilschaften von Bill Gates und «den Rothschilds» stecke doch «ein Fünkchen Wahrheit». Ähnliche «Wahrheiten» vertreibt Firmenchef Kettner auch auf seinem Youtube-Kanal, auf dem er den über 85 000 AbonnentInnen neben Verschwörungsmythen rund ums Impfen oder Interviews mit Coronaleugnern auch ökonomische Prognosen bietet, die KleinanlegerInnen dazu bringen sollen, ihr Erspartes in Edelmetalle umzuwandeln. Seit Ausbruch der Coronakrise boome das Geschäft, Kettner habe sein Team letztes Jahr ohnehin vergrössern wollen, sagt der Berater. Zum Glück, denn ohne die vier neuen MitarbeiterInnen hätten sie den Andrang niemals bewältigen können.

Auf den Goldzug aufgesprungen sind auch andere, etwa der offen antisemitische Vegankoch Attila Hildmann, derzeit wegen verschiedener Ermittlungen von der Polizei gesucht. Neben Energydrinks und Hoodies wirbt er für «Siegfriedtaler», überteuerte Edelmetallmedaillen, die zu einem Mehrfachen ihres eigentlichen Werts verkauft werden. Problematisch seien nicht nur die finanziellen Verluste durch Edelmetallwertanlagen, sagt Experte Blume, sondern vor allem der tendenziell antisemitische Kern vieler Verschwörungsmythen. Die «Bargeldabschaffung» etwa werde demnach von einer geheimen jüdischen Elite wie «den Rothschilds» vorangetrieben, um die Finanzmärkte zu kontrollieren. «Die Crash-Geschäftsmasche und die Verschwörungserzählungen funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Sie bieten einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge», so Blume.

Die Kooperation

Diese Recherche entstand im Rahmen des transnationalen Zusammenschlusses «Europe’s Far Right» , dem neben der WOZ auch die Tageszeitungen «taz» aus Berlin, «Libération» aus Paris und «Gazeta Wyborcza» aus Warschau sowie die Wochenpublikationen «Falter» aus Wien, «Internazionale» aus Rom und «hvg» aus Budapest angehören. Unterstützt wurde die Recherche durch ein Stipendium des Fonds Investigative Journalism for Europe (IJ4EU).