Kosovo und Serbien: Aus dem Gefängnis an den Verhandlungstisch

Nr. 24 –

Kosovos Regierungschef Albin Kurti hat den Dialog mit Serbien in der Vergangenheit wiederholt kritisiert – jetzt ist er selbst zu Gesprächen nach Brüssel gereist. Was hat er vor?

Diplomatie lebt von symbolischen Gesten. Die stärkste davon, der Händedruck, ist derzeit tabu. Aleksandar Vucic und Albin Kurti passt das ganz gut ins Konzept. Auch ohne Corona hätten sich die beiden nur widerwillig die Hand gereicht.

Serbiens Präsident und Kosovos Regierungschef sassen einander am Dienstag in Brüssel erstmals für Gespräche gegenüber. Noch vor wenigen Jahren hätten das viele für undenkbar gehalten. Kurtis Partei Vetevendosje (Selbstbestimmung), zuletzt fünfzehn Jahre in Opposition, hatte mit Protesten wiederholt Stimmung gegen einen Dialog mit Serbien gemacht. «Jetzt soll er Kapitel verhandeln, gegen die er früher auf die Strasse gegangen ist», sagt Faruk Ajeti vom Österreichischen Institut für Internationale Politik. Ajeti spricht von einem «Treffen der Giganten», auch deswegen, weil man Vucic und Kurti aufgrund ihrer Biografie als verfeindet bezeichnen kann.

Vucic war der Propagandaminister von Slobodan Milosevic und damit von jenem serbischen Machthaber, der Kurti in jungen Jahren in ein Gefängnis stecken liess. Jetzt fordert ebendieser Kurti einen «Dialog auf Augenhöhe», etwas, das Vucic konsequent ignoriert. Auf Instagram postete er, sich mit dem Ministerpräsidenten einer «provisorischen Institution» getroffen zu haben. Hier liegt die Krux der Verhandlungen: Aus der Sicht Belgrads ist der Kosovo kein Staat.

Spanien anerkennt den Kosovo nicht

Seit zehn Jahren verhandeln Belgrad und Pristina unter Vermittlung der Europäischen Union über ihre Beziehung. Serbien sieht den Kosovo, der sich 2008 für unabhängig erklärte, als abtrünnige Provinz. Mehr als zwanzig Jahre nachdem sie gegeneinander Krieg geführt haben, herrscht heute zwar Frieden, und langsam wächst eine Nachkriegsgeneration heran, die den militärischen Konflikt und die Nato-Bombardements, die ihn 1999 beendeten, nur noch aus Erzählungen kennt. Politisch gelöst wurde der Streit aber nie. Er kreist seit Jahren um die Frage: Unter welchen Bedingungen ist Serbien bereit, den Kosovo anzuerkennen?

Brüssel stellt klar: Beide Länder können nur dann der EU beitreten, wenn sie sich einigen. Dieses Versprechen hat an Strahlkraft verloren, nicht zuletzt deswegen, weil fünf EU-Mitgliedsländer, darunter Griechenland und Spanien, den Kosovo noch immer nicht anerkennen. Warum sollte Serbien in einer Frage nachgeben, in der die EU selbst uneinig ist?

«Was es braucht, sind kreative Ideen und eine Vision, die jeder versteht», fordert Gerald Knaus, Mitgründer des Thinktanks European Stability Initiative. Eine Neuziehung der Grenzen hält er für gefährlich, er fordert das exakte Gegenteil: «Die Grenzen in der Region müssen durchlässiger werden. Die EU muss den Ländern ein konkretes Angebot machen. Zum Beispiel den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum in absehbarer Zeit und damit die Perspektive, irgendwann die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts zu geniessen, den freien Verkehr also von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital.» Weil der EU-Beitritt in weiter Ferne ist, brauche es «eine Integration in zwei Schritten», so Knaus.

Kurti kennt diese Pläne und verkauft sie gekonnt als seine eigenen. Beim Treffen legte er Vucic vier Vorschläge auf den Tisch, darunter ein Friedensabkommen und das Projekt einer Freihandelszone für südosteuropäische Länder. Beide soll der serbische Präsident ignoriert oder abgelehnt haben. Ein Etappensieg für Kurti, der jetzt sagen kann, zumindest irgendeinen Vorschlag gemacht zu haben. Bereits am 10. Juni stellte er in einer Rede in der albanischen Hauptstadt Tirana klar: «Dass Serbien sich weigert, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen, ist ein Hindernis für die regionale Zusammenarbeit.»

Beide Seiten verkaufen sich als Sieger

Für Kurtis Selbstbewusstsein gibt es eine Reihe von Gründen. Erstens: Er macht kein Geheimnis daraus, dass der Dialog für ihn derzeit keine Priorität hat und er stattdessen innenpolitische Reformen angehen will. Zweitens: Nach einem Erdrutschsieg im Februar sitzt er mit absoluter Mehrheit im Sattel. Drittens: Mit der neuen kosovarischen Präsidentin Vjosa Osmani hat Kurti eine Verbündete an seiner Seite, die Ansehen bei der internationalen Gemeinschaft geniesst. Nach jahrelangen Querelen spricht der Kosovo nun mit geeinter Stimme.

Vucic, der Serbien zunehmend autoritär als starker Mann regiert, beeindruckt das wenig. Nach dem Treffen vom Dienstag erklärte er vor JournalistInnen, er werde den Kosovo «niemals» anerkennen. Am 25. Juli sollen die Gespräche weitergehen. Bis dahin werden beide Seiten ihren Auftritt als Sieg verkaufen. Kurti, der bisher vor allem Fundamentalopposition betrieben hat, kann sich als verhandlungsbereiter Pragmatiker inszenieren. Vucic lässt sich in der serbischen Boulevardpresse als Vater der Nation feiern, der für einen Verbleib des Kosovo in Serbien kämpfe «wie ein Löwe». Auffallend leise in diesem Kräftemessen bleibt der slowakische EU-Vermittler Miroslav Lajcak. Für ihn ist es ein Etappensieg, dass die beiden überhaupt an einem Tisch gesessen sind.